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Israelis besuchen trotz Warnungen ukrainischen Pilgerort

Für viele Anhänger der chassidischen Sekte von Rabbi Nachman gehört eine Pilgerreise zu dessen Grab in der Ukraine zum jüdischen Neujahrsfest. Davon lassen sie sich auch durch den Krieg nicht abhalten.
Von Elisabeth Hausen

Vor mehr als 200 Jahren lehrte ein Rabbiner in Osteuropa seine Schüler, es sei besonders wichtig, dass sie das jüdische Neujahrsfest Rosch HaSchanah mit ihm feiern. 1810 starb Rabbi Nachman von Brazlaw in der ukrainischen Stadt Uman und wurde dort begraben. Seine Anhänger nahmen die Anweisung wörtlich und begannen mit Wallfahrten zu der Grabstätte. Viele Juden lassen sich selbst durch den Ukraine-Krieg nicht an der Reise nach Uman hindern.

„Dies ist ein Ort, den wir nicht aufgeben können“, sagt Chaim Weizhandler aus der Siedlung Beitar Illit im Gespräch mit der israelischen Rundfunkanstalt „Kan“. „Ob Coronavirus oder nicht, ob Krieg oder nicht – ich habe nicht einmal darüber nachgedacht, nicht zu fliegen.“

Die Tradition begann direkt nach Rabbi Nachmans Tod im Alter von 38 Jahren. Zunächst kamen nur wenige Anhänger seiner chassidischen Sekte ans Grab, doch ihre Anzahl wuchs schnell. Schließlich pilgerten jährlich Tausende zu Rosch HaSchanah nach Uman. Unterbrochen wurde dies nach der kommunistischen Revolution von 1917. Erst die Öffnung des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er Jahre machte die Wallfahrt wieder möglich.

Viele Pilger reisten nun aus Israel an. Wegen des großen Andrangs richtete der jüdische Staat 2018 für das Fest vorübergehend ein Konsulat in der Region zwischen der Hauptstadt Kiew und Odessa ein. Es kümmerte sich unter anderem um Israelis, die ihren Pass verloren hatten. Auch eine kleine Abordnung der israelischen Polizei war zugegen.

Corona: Pilger strandeten an Grenze

Als die Ukraine 2020 infolge der Corona-Pandemie ihre Grenzen schloss, schlugen zahlreiche israelische Anhänger von Rabbi Nachman die Warnungen vor möglichen Infektionen in den Wind. Sie reisten nach Belarus – in der Hoffnung, irgendeinen Weg über die Grenze zu finden. Doch die Männer strandeten im Niemandsland, kampierten ein paar Tage in Zelten und kehrten schließlich nach Israel zurück. Den belarussischen Behörden hinterließen sie dabei einen Haufen Müll, schreibt die Onlinezeitung „Times of Israel“.

Ein Jahr später war die Einreise unter Auflagen erlaubt, dazu gehörten Impfnachweise und andere medizinische Richtlinien. Etwa 30.000 Chassidim nutzten die Gelegenheit, nicht alle hielten sich an die Regeln. Von der Wallfahrt kehrten viele Infizierte mit falschen negativen Tests von Uman nach Israel zurück.

Israel warnt vor Krieg: Keine Garantie für Rettung

In diesem Jahr gibt es erneut Warnungen, diesmal wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Die Außenministerien von Israel, den USA, der Ukraine und Russland sind sich hier einig: Sie wiesen die Juden an, nicht nach Uman zu kommen. Die Stadt wurde in den ersten Kriegstagen von Raketen getroffen, im August starb in dem Bezirk ein Zivilist bei Kampfhandlungen.

Die russische Regierung beteuerte, sie werde keine absichtlichen Angriffe auf den Wallfahrtsort verüben, könne aber nicht die Sicherheit etwaiger Pilger garantieren. Das israelische Außenministerium warnte vor Luftangriffen und appellierte an seine Bürger: „Vermeiden Sie vollständig Reisen ins ukrainische Gebiet, auch in die Stadt Uman und ihre Umgebung.“ Falls Israelis zwischen die Fronten gerieten, bestehe keine Garantie, dass das Ministerium sie retten könne.

Doch die Anhänger von Rabbi Nachman ignorieren die Warnungen. Der 51-jährige Avraham Burstein sagte in Jersualem der Nachrichtenagentur AFP: „Es ist wie verliebt sein, ich muss einfach hinfahren.“ Er ergänzte: „Für uns wäre es schön, wenn er in London oder in Amsterdam beerdigt wäre, sogar in Berlin. Aber er hat sich dafür entschieden, dort zu sein. Und er hat uns gebeten, jedes Jahr an Rosch HaSchanah zu kommen, also müssen wir hinfahren.“

So wurden in den vergangenen Wochen in Uman trotz des Krieges Herbergen für jüdische Pilger eröffnet. Hinzu kommen koschere Restaurants und andere grundlegende Diensteinrichtungen. Etwa 10.000 Juden werden zum Fest erwartet, das am Sonntagabend beginnt. Die meisten sind aus Israel. Direktflüge in die Ukraine gibt es nicht, deshalb fliegen die Pilger in Nachbarländer wie Rumänien oder die Republik Moldau.

Juden feiern Erschaffung der Welt

Der hebräische Ausdruck „Rosch HaSchanah“ bedeutet „Kopf des Jahres“. Das Neujahrsfest ist am 1. und 2. Tag des Monats Tischrei.

Juden feiern damit die Erschaffung der Welt vor 5.783 Jahren. Laut der Tradition hat Gott Adam und Eva an Rosch HaSchanah erschaffen. Am selben Tag habe der Mensch auch die erste Sünde begangen, indem er gegen das göttliche Verbot verstieß, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Zwar wurden Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben. Doch dadurch kam auch die Möglichkeit zur Reue und Umkehr in die Welt.

Ferner ist „Akedat Jitzchak“, die Bindung Isaaks, mit diesem Tag verbunden. Der Stammvater Abraham war bereit, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, weil Gott dies geboten hatte (1. Mose 22). Die biblische Geschichte spielt bei dem Fest eine besondere Rolle.

Buße und Freude

Rosch HaSchanah leitet die zehn Bußtage ein, die mit dem Großen Versöhnungstag Jom Kippur enden. Aber auch fröhliches Feiern gehört dazu. Deshalb hat sich die Tradition nicht durchgesetzt, an Neujahr zu fasten.

Das biblische Buch Nehemia schildert, wie der Schriftgelehrte Esra dem Volk Israel aus der Tora vorliest. Die Israeliten reagieren erfreut, weinen aber auch. Dann heißt es: „Und Esra sprach zu ihnen: Geht hin und esst fette Speisen und trinkt süße Getränke und sendet davon auch denen, die nichts für sich bereitet haben; denn dieser Tag ist heilig unserm Herrn. Und seid nicht bekümmert; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10) Diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Festfreude beziehen jüdische Gelehrte auf Rosch HaSchanah. In dem Fall solle „heilig“ ausdrücken, dass der Tag anders und von den anderen Tagen abgesondert ist.

Rosch HaSchanah gilt als Gerichtstag, an dem Gott das Urteil über Juden und Nichtjuden fällt. Es wird am Jom Kippur besiegelt. Vom 1. bis zum 10. Tischrei besteht die Möglichkeit zur Selbstbesinnung, Reue und Bitte um Versöhnung. An den ersten Tagen des Jahres begrüßen Juden einander mit dem Wunsch: „Mögest du zu einem guten Jahr ins Buch des Lebens eingetragen und besiegelt sein“. Dieser Gruß bezieht sich auf das Buch, in dem Gott nach jüdischem Verständnis die Taten der Menschen notiert.

Dass Gott zur Vergebung bereit ist, verdeutlicht die Tradition des „Taschlich“. Vor dem Nachmittagsgebet des ersten Tages von Rosch HaSchanah nehmen Juden kleine Steine in ihren Kleidertaschen mit und werfen sie in einen Fluss oder See, in dem es Fische gibt. Dies erinnert an Gottes Versprechen, die Sünden der einsichtigen Menschen zu vergessen: „Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.“ (Micha 7,19) Umkehr eines einzelnen Menschen kann an jedem Tag des Jahres geschehen, wenn jemand die Notwendigkeit empfindet. Aber als Tag mit nationalem Charakter erinnert Neujahr in besonderer Weise an diese Möglichkeit.

Schofar zum Lob des Schöpfers

Die Bibel bezeichnet Rosch HaSchanah als „Tag des Posaunenschalls“ (4. Mose 29,1). An anderer Stelle ist die Rede von „Posauneblasen zum Gedächtnis“ (3. Mose 23,24). Das Widderhorn Schofar, das an Rosch HaSchanah geblasen wird, ruft zur Besinnung auf und dient dem Lob des Schöpfers. In der Synagoge dominiert die weiße Farbe, die für Reinheit steht. Viele Juden tragen weiße Kleidung.

Foto: Вальдимар | CC BY-SA 3.0 Unported
Ein Schofarbläser in Uman

Das jüdische Jahr richtet sich nach dem Mond. Es hat zwölf Monate und durchschnittlich 354 Tage. Alle zwei bis drei Jahre wird im Frühjahr nach dem Monat Adar ein zusätzlicher Monat „Adar II“ eingeschaltet, damit die Differenz zum Sonnenjahr ausgeglichen wird – das geschieht auch wieder im jetzt beginnenden Jahr 5779. Dadurch können die Juden ihre Feste in den passenden Jahreszeiten feiern.

Die Tage beginnen jeweils mit dem Sonnenuntergang, denn im biblischen Schöpfungsbericht (1. Mose 1) heißt es: „und es ward Abend, und es ward Morgen …“. In Psalm 55,18 betet David zudem: „Des Abends, morgens und mittags will ich klagen und heulen; so wird er meine Stimme hören.“

Am Abend leiten das Anzünden der Kerzen sowie der Segen über den Wein, der Kiddusch, die feierliche Mahlzeit ein. Nach dem Segen über das Brot streuen Juden nicht – wie sonst üblich – Salz darauf. Stattdessen tauchen sie es an diesem Abend in Honig. Zum Festmahl gehören Äpfel, die ebenfalls mit Honig gegessen werden. Dies drückt die Hoffnung auf ein „süßes“ Jahr aus. Hinzu kommen andere Früchte wie Granatäpfel oder Datteln. Auch Fischgerichte gehören bei vielen Juden zum Fest, denn der Fisch gilt als Symbol der Fruchtbarkeit.

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4 Antworten

  1. Am 9. September ist erst ein Jude aus Israel in der Ukraine bei einem Busunfall ums Leben gekommen,
    als sie eine Hl. Stätte besuchten.
    Die Chassidischen hören nicht auf Israels Warnungen vor dem Krieg in der Ukraine,
    der sich jetzt erst recht zuspitzen könnte, indem was Putin gerade Unfassbares veranstaltet.

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    1. Die ganz Fanatischen lassen sich niemals stoppen, liebe M. .

      Bei den Juden nicht, den Muslimen ohnehin, meiner Einschätzung nach bei vielen „Christen“ aber genauso wenig.

      / Zu Putin fällt mir noch ein, dass die Russen (ich wohnte bis Anfang der Achtziger östlich des „Eisernen Vorhangs“) ab Mitte/Ende der Achtziger unter Gorbatschow -RIP- erfolgreiche Anstrengungen unternahmen, ein halbwegs menschliches Gesicht für westliche Massstäbe zu bilden. Selbst Jelzin konnte dieses bessere „Renommee“ nicht auslöschen. Aber Wladimir Wladimirowitsch hatt es geschafft: Wir sehen im Westen Russland wieder als Wodka&Gewalt liebende Mittelaltler… . Traurig für viele einfache, aber grundehrliche Russen… .

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  2. OT
    Lieber Eddie, vor 26 Jahren war ich mal in Moskau/ St. Petersburg. Was mir auffiel war,
    dass viele Russen ein Buch in der Hand hatten, also ein belesenes Volk.
    Was mehr als nervig war, dass nachts Nutten im Zimmer anriefen… sorry, aber auch in den Hotels
    sprachen sie ständig Touristen an im Foyer.
    Letzte Woche wurde 1 x die Wahrheit ausgesprochen, als sich Putin, der Chinese und ein Mullah trafen,
    dass sie die Weltordnung des Westens ändern werden. Demokratie ade? Putin ist ein Wahnsinniger.
    Bin gespannt, was heute in Italien geschieht.
    Ich hoffe, dass DE die flüchtenden Russen nicht aufnimmt. Warum protestierten sie nicht am 24.2.?
    Jetzt da es um ihre eigene Haut geht, laufen sie weg. DE-Politiker machen die “ Arme“ auf. Unfassbar.
    Polen nimmt keine auf.
    Wünsche dir ein schönes Neujahrsfest 5783. Shana towa

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  3. Das wünsche ich Dir auch. SHANA TOWA !

    Ich verbringe den jüdischen Jahreswechsel auf der Insel Norderney.
    Auf der es bis 1941 eine gar nicht so kleine jüdische Gemeinde gab (Man sprach vom „Judenbad“),
    was ua Theodor Fontane (sic) zu bitterer Kritik veranlasste.

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