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„Israel schätzt deutsche Hilfe“

Vier Jahre lang war Jossi Peled israelischer Staatsminister. Zu einem trinationalen Schülerprojekt über den schwedischen Judenretter Raoul Wallenberg kam er Ende 2012 nach Nürnberg. Mit Israelnetz sprach der Likud-Politiker über die Erinnerung an die Schoah, Brückenbauen und libanesische Flüchtlinge in Israel.
Der israelische Staatsminister a.D.  Jossi Peled macht sich für die Südlibanesische Armee stark.

Israelnetz: Schalom, Jossi Peled. Was verbindet Sie mit Raoul Wallenberg?

Jossi Peled: Was meine Verbindung zu Raoul Wallenberg ist? Furchtbar einfach. Ich gehöre zum jüdischen Volk. Und das, was Raoul Wallenberg unter Gefährdung seines Lebens getan hat, das hat er für Juden getan. Ich bin selbst ein Schoah-Überlebender. Es lohnt sich, Leute nicht nur in der persönlichen Perspektive wertzuschätzen. Ich gehöre zu dem Volk, für das Raoul Wallenberg sein Leben riskiert hat. Das ist meine Verbindung.

Was erhoffen Sie sich von Projekten wie dem Workshop mit Schülern aus Deutschland, Ungarn und Israel in Nürnberg?

Ich habe sehr hohe Erwartungen. Die Beziehungen zwischen dem jüdischen Volk, dem deutschen Volk und anderen Völkern hier wie dem ungarischen Volk gründen sich in meinen Augen auf der Fähigkeit, eine gemeinsame Zukunft zu bauen, dass Leute zusammen leben können. Juden, Muslime, Christen, Europäer und Asiaten. Aber dafür muss man sich an die Vergangenheit erinnern. Und aus ihr die Schlüsse ziehen. Es gibt in Tel Aviv das Diaspora-Museum, ich bin viele Male dort gewesen. Am Eingang gibt es an der Wand eine große Inschrift. Dort steht geschrieben: „Sich an die Vergangenheit erinnern, die Gegenwart leben und an die Zukunft glauben.“ Das ist zwar eine sehr einfache, aber trotzdem sehr komplizierte Lebensphilosophie. Sie sagt: Um eine bessere Zukunft zu bauen, muss man die Vergangenheit überwinden. Philosophisch kann man das so ausdrücken: Wir, die wir die Gegenwart leben, sind die Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Die Brücke, um eine Zukunft zu bauen, die besser ist als die Vergangenheit. Dass Völker wie das deutsche Volk, junge Deutsche und junge Israelis, einen Bedarf und eine Fähigkeit finden, sich zu treffen, um über die sehr schwere Vergangenheit zu lernen.
Ich persönlich habe meine gesamte Familie in der Schoah verloren. Nie habe ich meinen Vater gesehen. Doch trotz dieser schweren Vergangenheit, die wir nicht vergessen werden, heißt das nicht, dass wir nicht eine gemeinsame bessere Zukunft bauen könnten und müssten. Man kann nicht vergessen! Warum nicht? Weil die Erinnerung ein Gast ist, der ohne Einladung kommt. Ich wäre froh, wenn die Erinnerungen nicht mehr kämen, aber die Erinnerungen kommen ohne Einladung. Die Erinnerung kann mitten in der Nacht im Traum kommen oder aber auch am Morgen oder Abend, also kann man nicht vergessen. Was aber doch möglich ist, ohne zu vergessen, ist überwinden. Aus einem Verständnis heraus, dass man eine bessere Zukunft bauen muss. Ich bin froh, junge Juden, Deutsche und Ungarn zu sehen, wie sie zusammensitzen und sprechen.

Sie haben 70 Jahre nach der Wannseekonferenz an einem Kongress mit dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff teilgenommen. Wie bewerten Sie den Umgang in Deutschland mit dem Erbe der NS-Zeit?

Ja, ich habe an dieser Veranstaltung teilgenommen, als die deutsche Regierung beschloss, 70 Jahre Wannseekonferenz zu begehen. Ich war damals Mitglied der israelischen Regierung und vertrat sie bei dieser Veranstaltung. Nebenbei nutzte ich diese Veranstaltung auch für ein persönliches Anliegen: Nach der Rede des deutschen Präsidenten sprach ich. Eine Szene hat man 24 Stunden lang jede Stunde in den deutschen Fernsehkanälen wiederholt. Ich habe wie gesagt meinen Vater nicht getroffen. Und ich sagte damals der Versammlung in Gegenwart des deutschen Präsidenten, dass ich niemals ein Kaddisch für meinen Vater gesprochen habe. Also bat ich alle Anwesenden bei der Veranstaltung, einschließlich des deutschen Präsidenten, sich Kippot aufzusetzen, und alle standen auf. Ich sprach das Kaddisch nicht nur für meinen Vater, sondern für alle sechs Millionen, die dort waren, und das war in meinen Augen ein sehr dramatisches Bild, auch sehr historisch und symbolisch. Dass die deutschen Sender es immer und immer wieder ausstrahlten, der deutsche Präsident mit der Kippa auf dem Kopf, und er hört das Kaddisch, selbstverständlich auf Hebräisch, dass das deutsche Volk mit dem deutschen Präsidenten es für notwendig hielt, an 70 Jahre Wannseekonferenz zu gedenken, ist Teil dessen, was wir vorher gesagt haben.
Wir werden nicht vergessen, aber wir werden lernen, gemeinsam die Zukunft zu bauen. Wir werden aber auch nicht vergessen, dass die deutsche Regierung heute, vor allem unter der Führung der Kanzlerin Merkel, den Staat Israel unterstützt, offen und mit vielem, was die Leute nicht wissen. Aber auch das wissen wir zu schätzen. Ich weiß es zumindest zu schätzen.

In Belgien hat Ihnen eine christliche Familie während der Verfolgung Zuflucht gewährt. Haben Sie noch Kontakt?

Im Alter von einem halben Jahr haben mich meine Eltern an eine christliche Familie übergeben, damit ich leben konnte. Ich wuchs bis zum Alter von sieben, acht als christlicher Junge auf, wusste nichts über Juden. Es ging mir gut. Ich war in einer christlichen Familie. Ich war ein glückliches christliches Kind. Ich hatte Essen, Kleidung, Spielsachen, ich hatte alles – eine gute Familie. Und heute, als erwachsener Mensch – das klingt ein wenig zynisch – sage ich, dass ich ein glückliches Kind war, bis eines Tages ein jüdischer Charakter in mein Leben kam. Warum? Weil man mir im Alter von acht Jahren sagte: Junge, diese Christen sind nicht deine Eltern. Ohne Vorbereitungen. Du bist überhaupt kein christlicher Junge, du bist ein jüdischer Junge. Und alles, was du gelernt hast, wie dich jeden Tag bekreuzigen, in die Kirche gehen, ein Kreuz auf das Brot machen – plötzlich war das alles verboten. Nicht nur, dass es nicht mehr mein Leben war, es war verboten. Ich erinnere mich, dass das sehr schwer war. Mit den Eltern war ich in Verbindung, sie sind nicht mehr am Leben. Aber ich habe drei Schwestern und einen Bruder. Ich habe sie vor ein paar Jahren getroffen. Wir hielten auch Kontakt. Nicht täglich, nicht monatlich, aber von Zeit zu Zeit. Es gibt keine wirkliche Verbindung.

Ein anderes Thema: Vor dem israelischen Rückzug aus dem Südlibanon im Jahr 2000 hatten Sie eine hohe Position beim Militär. Damals flohen viele Libanesen vor der Hisbollah nach Israel. Sie haben sich beim zehnten Jahrestag für die Südlibanesische Armee eingesetzt. Was ist aus Ihrer Resolution geworden?

Als der Rückzug aus dem Libanon im Mai 2000 begann, war ich schon nicht mehr in der Armee. Aber ich nahm an diesen Libanesen persönlichen Anteil, weil ich fünf Jahre lang Offizier im Norden war. Ich war tagtäglich in Kontakt mit der Südlibanesischen Armee. Als sich Israel zurückzog, kamen etwa 2.000 libanesische Familien zu uns, die alles im Südlibanon verließen und nach Israel kamen, weil sie um ihr Schicksal fürchteten, um das Schicksal ihrer Familien. Ich denke, dass der Staat Israel ihnen sehr viel zu verdanken hat. Nicht weil sie für uns gekämpft hätten. Sie haben nicht für die Israelis gekämpft, sondern für sich selbst. Als wir in dem Gebiet im Südlibanon waren, das wir Sicherheitszone nannten, lebten dort etwa eine Viertel Million Libanesen. Eine Viertel Million Libanesen, die wollten, dass ihre Kinder in die Schule gehen, dass die Frauen geschützt sind, dass es Krankenhäuser gibt, dass sie leben können. Also wurde die Südlibanesische Armee eingerichtet, die kämpfte, um ihre Interessen zu wahren. Wir kämpften, um die Interessen des Staates Israel zu wahren. Und hier trafen Interessen aufeinander.
Es gibt etwa 200 solche Familien von den 600, die geblieben sind, denen der Staat Häuser zur Verfügung gestellt hat. Trotz alledem haben sie es schwer. Ich verstehe sie. Vor allem die ältere Generation. Die Jüngeren, die sich schon nicht mehr an den Libanon erinnern, die 18-, 20-Jährigen, das ist eine völlig andere Generation. Sie sind in jeder Hinsicht Israelis. Wer sie trifft, weiß noch nicht einmal, dass sie Libanesen sind. Sie studieren an den Universitäten. Wir haben ihnen Zahlungen organisiert, Gelder für die Zeit, die sie in der Südlibanesischen Armee gedient hatten, alle haben die israelische Staatsbürgerschaft erhalten. Wir haben sehr viel getan, aber nicht genug. Die erste Generation fühlt sich noch nicht zu Hause. Aber heute leben in Israel etwas mehr als 2.000 von ihnen, und wenn man sie fragt: „Möchte jemand, dass wir in den Libanon zurückkehren?“, dann werden 80 Prozent sagen: Auf keinen Fall.

Im September haben Sie Ihren Ministerposten und das Mandat in der Knesset niedergelegt. Nun sind Sie für die Pipeline zwischen Eilat und Aschkelon verantwortlich. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Nicht alles im Leben muss man erklären. Ich habe nach fast vier Jahren in der Regierung beschlossen, dass es Orte gibt, die interessanter sind. Ich war in der Armee und ein wenig in der Politik. Ich denke, dass Energie in der ganzen Welt eines der zentralen Themen sein kann. Es gibt die alten Energien, die wir kennen, Kohle und Erdöl, es gibt neue, vor allem Gas, Solar und so weiter. Und ich will an den Gebieten der Energie beteiligt sein. Wissen Sie, im Staat Israel hat man im Meer große Mengen natürliches Gas gefunden. Wirklich große Mengen. Das geht sogar über den Bedarf des Staates hinaus. Das kann man nach Europa oder in den Fernen Osten exportieren. Und ich wollte bei dieser Sache mitmachen.

Jossi Peled, wir wünschen Ihnen viel Kraft für Ihre Aufgaben und danken für das Gespräch.

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