Zumindest äußerlich hat er sich verändert. Während des Wahlkampfes Anfang des Jahres, als Nummer Eins auf der Hamas-Wahlliste "Wandel und Reform", war Ismail Hanije noch oft in der traditionellen arabischen Kleidung, der langen Ghalabije und dem warmen Kamelhaarumhang zu sehen. Seit er nach dem überwältigenden Wahlsieg der Hamas am 25. Januar 2006 als neuer palästinensischer Premierminister im Gespräch ist, zeigt sich der jüngste Hamas-Führer mit dem kurz gestutzten grauen Bart immer häufiger im westlichen Anzug mit Krawatte.
1962 wurde Ismail Hanije im Al-Schati-Flüchtlingslager westlich von Gaza-Stadt geboren. Seine Familie stammt ursprünglich aus dem Gebiet um Aschkelon und ist 1948 während Al-Nakba, "der Katastrophe", wie die Palästinenser den Unabhängigkeitskrieg Israels nennen, in den Gazastreifen geflohen. Wie 70 Prozent der Einwohner des Gazastreifens ernährte sie sich seitdem von den monatlichen Zuwendungen der UNWRA, der UNO-Flüchtlingshilfsorganisation für die Palästinenser.
Seit Anfang der 80er Jahre hat Ismail Hanije an der islamischen Universität in Gaza-Stadt arabische Literatur studiert, wo er auch mit der islamischen Bewegung vertraut wurde. Kurz nach seinem Studienabschluss 1987 brach der erste Palästinenseraufstand, die erste "Intifada", aus. Hanije wurde eines der jüngsten Gründungsmitglieder der islamischen Widerstandsbewegung Hamas, deren Studentenbewegung er entscheidend mit prägte.
Nur kurze Zeit arbeitete er als Rektor an einer Schule, bis er 1988 erstmals von Israel für sechs Monate inhaftiert wurde. 1989 wurde er wieder von israelischen Sicherheitskräften gefangen genommen und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ismail Hanije kam erst wieder frei, als er im Dezember 1992 zusammen mit 400 weiteren Hamas-Aktivisten in den Libanon, nach Mardsch al-Sahur, deportiert wurde. In dieser Zeit wurde die sunnitische Hamas nicht nur durch die Medien weltweit bekannt, sondern lernte auch von der schiitischen Hisbollah, wie Selbstmordattentate durchgeführt werden. Nach seiner Rückkehr aus dem libanesischen Exil im Dezember 1993 setzte Ismail Hanije seine akademische Laufbahn als Dekan an der islamischen Universität in Gaza fort.
1997 schlug ein Anschlag des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad auf den Chef des Hamas-Politbüros Chaled Maschal in der jordanischen Hauptstadt Amman fehl. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sah sich gezwungen, den Gründer und geistigen Ziehvater der Hamas-Bewegung, Scheich Achmed Jassin, aus israelischer Haft zu entlassen. Ismail Hanije wurde nach der triumphalen Rückkehr Jassins in den Gazastreifen zu dessen Assistent und ab 1998 sein Bürochef. Bald schon profilierte sich der ruhige und redegewandte Akademiker als "Stimme und Gesicht der Hamas" und etablierte sich bis 2001 als einer der höchsten politischen Vertreter der Hamas.
Nach Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) infolge der Abkommen von Oslo seit September 1993 wurde Hanije mehrfach von palästinensischen Sicherheitskräften inhaftiert. Ganz im Sinne seines Vorbildes Scheich Achmed Jassin hatte sich Ismail Hanije von Anfang an gegen den Osloprozess ausgesprochen und wurde so von der PA als Bedrohung für die damit verbundenen nationalen Bestrebungen der Palästinenser gesehen.
Trotzdem wurde Scheich Ismail Hanije, wie er von seinen Anhängern angesprochen wird, im Laufe der "zweiten Intifada" seit September 2000 zum Vertreter der Hamas gegenüber der PA und der Fatah. Im Namen seiner radikal-islamischen Bewegung handelte er einen Waffenstillstand mit der eher säkularen Fatah aus, und als sich 2005 die Beziehung zwischen Fatah und Hamas gefährlich zuspitzte, soll die innerpalästinensische Situation dank Hanijes Verhandlungsgeschick nicht außer Kontrolle geraten sein.
"Ich muss jetzt aufhören, denn ich höre Helikopter", beendete er im Juni 2003 abrupt ein Telefoninterview. Tatsächlich war er als profilierter Hamas-Führer Zielscheibe des israelischen Militärs und entging im September 2003 gemeinsam mit Scheich Jassin nur knapp und leicht verletzt einem israelischen Luftangriff auf einen Wohnblock in Gaza-Stadt. Nur wenige Sekunden vor dem Bombeneinschlag konnten die beiden Männer das Gebäude verlassen, nachdem sie die israelischen Flugzeuge gehört hatten.
Scheich Achmed Jassin wurde am 22. März 2004 und sein Nachfolger Abdel Assis Rantisi weniger als einen Monat später, am 17. April, von israelischen Raketen tödlich getroffen. Danach beschloss die Hamas, die Namen ihrer Führer nicht mehr bekannt zu geben. Laut palästinensischen Quellen gehörte Premierminister Ismail Hanije allerdings zur "kollektiven Führung" der Hamas, gemeinsam mit Mahmud A-Sahar, dem heutigen PA-Außenminister, und Sajid al-Sajam, der heute als Innenminister über diejenigen palästinensischen Sicherheitskräfte bestimmt, die nicht direkt dem Vorsitzenden der PA unterstehen.
Am 16. Februar 2006 wurde Ismail Hanije zum Premierminister der ersten frei gewählten radikal-islamischen Regierung designiert und am 28. März 2006 vereidigt. Internationale Medien bemühen sich zu betonen, dass der Vater von zwölf Kindern, der bis heute unter bescheidenen Bedingungen im Schati-Flüchtlingslager wohnt, als gemäßigt einzustufen ist.
In einem Interview mit den amerikanischen Zeitungen "Newsweek" und "Washington Post" am 26. Februar 2006 versprach er, im Falle eines Rückzugs Israels auf die Waffenstillstandslinien von vor dem Sechstagekrieg im Juni 1967 einen "Frieden in Stufen" einrichten zu wollen, was er als "langfristigen Waffenstillstand" definierte. In den vergangenen Wochen hat Hanije die USA und Europa wiederholt aufgefordert, ihre Embargodrohungen gegen die Hamas-geführte Palästinensische Autonomiebehörde nicht wahr zu machen. Ohne das Existenzrecht des jüdischen Staates anzuerkennen, will er "einen gerechten Frieden in der Region, ein Ende der Besatzung und die Wiederherstellung aller Rechte" des palästinensischen Volkes verfolgen.