JERUSALEM (inn) – „Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten.“ Dieser Aufruf stammt aus der Enzyklika „Laudato Si“, die Papst Franziskus im Mai 2015 veröffentlicht hat. Folgerichtig spricht er sich für eine Erziehung zu Umweltbewusstsein und Friedensbereitschaft aus. Seine Gedanken waren Grundlage einer Konferenz an der Hebräischen Universität Jerusalem, die das dort angesiedelte Truman-Institut und die Vatikan-Initiative „Scholas Occurrentes“ in dieser Woche veranstaltet haben.
Während der Eröffnungszeremonie zitierte Universitätspräsident Menahem Ben-Sasson den biblischen Propheten Joel (4,10): „Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße!“ Wissenschaft kenne keine Grenzen oder Nationalitäten, fügte er hinzu. Der Präsident der „Scholas“-Stiftung, José María del Corral, bekundete seine Freude über den internationalen Geist und die interreligiöse Gestaltung der Konferenz. Diese stand unter dem Thema: „Zwischen Universität und Schule. Frieden stiften durch eine Kultur der Begegnung“.
Zum Auftakt sprachen ein Muslim, ein Christ und ein Jude je ein Friedensgebet aus ihrer Tradition: der Vorsitzende der Scharia-Gerichte in Israel, Kadi Ijad Sahalka, der Apostolische Nuntius für Israel, Monsignore Giuseppe Lazzarotto, sowie Rabbi Schlomo Dov Rosen vom Gemeindezentrum „Jakar Jerusalem“. Anschließend entzündeten sie Kerzen. Musikbeiträge gab es von Teilnehmern aus Burundi und dem Kongo, vier palästinensischen Schülerinnen sowie israelischen Musikstudenten.
Religiöse Vertreter in politischen Friedensprozess einbinden
Der Sekretär der vatikanischen Bildungskongregation, Monsignore Angelo Zani, sagte, der internationale Terror schüre Gefühle von beiderseitigem Hass und Misstrauen. Bildung sei die richtige Antwort auf fundamentale Strömungen. Das Zweite Vatikanische Konzil, das 1965 endete, habe eine neue Phase des interreligiösen Dialogs eröffnet.
Der Vorsitzende der Religiösen Nahostinitiative für Frieden, Rabbi Michael Melchior, sprach sich dafür aus, religiöse Vertreter in einen politischen Friedensprozess einzubeziehen, auch wenn dadurch die Probleme größer würden – sonst werde das „Friedenszelt kleiner“. Er habe in den vergangenen Jahren als Zionist viele islamistische Führer getroffen, auch von Hamas und Muslimbruderschaft – ein Gespräch sei möglich. Wichtig sei es, die jeweilige jüdische, christliche und islamische Identität zu stärken, und gleichzeitig „zu entdecken, dass wir so vieles gemeinsam haben“. Dies führe zu gegenseitigem Respekt, und dann bestehe kein Anlass für Terror.
Erzbischof: Durch Dialog eigene Identität stärken
Auch der internationale Direktor für interreligiöse Angelegenheiten des „American Jewish Committee“, Rabbi David Rosen, befürwortete Treffen mit religiösen Führern im politischen Prozess. Zudem lobte er den historischen Israelbesuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000. Besonders eindrücklich sei gewesen, dass dieser um Vergebung für die Sünden der katholischen Kirche an den Juden gebeten und die israelischen Oberrabbiner getroffen habe. Rosen repräsentiert das Oberrabbinat im 2005 gegründeten Rat der religiösen Institutionen im Heiligen Land, der als erste derartige Einrichtung Juden, Christen und Muslime vereint. Er erwähnte, dass das Gremium sich verpflichtet habe, Angriffe gegen alle drei abrahamitischen Religionen gemeinsam zu verurteilen.
Der Apostolische Administrator des Lateinischen Patriarchates von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, ließ die Zuhörer an seinen eigenen Erfahrungen teilhaben. Er sei in einem norditalienischen Dorf in einem katholischen Kontext aufgewachsen und habe viele Jahre keinerlei Kontakt mit Nichtkatholiken gehabt. Erst das Bibelstudium an der Hebräischen Universität habe ihn ins Gespräch mit religiösen Juden gebracht. Für ihn sei bis dahin alles klar gewesen: „Jesus ist in Bethlehem geboren, in Jerusalem gestorben und danach auferstanden.“ Doch die Fragen seiner Mitstudenten dazu habe er nicht beantworten können. Eine Begegnung mit Gläubigen anderer Religionen hilft nach seiner Beobachtung, sich selbst besser zu verstehen.
Imam Beytullah Colak vom Islamischen Institut von Texas stellte die Broschüre „Die Farben von San Antonio“ vor, die jeden Monat erscheint. Darin präsentieren sich die unterschiedlichen religiösen Gruppen der Stadt mit ihren aktuellen Aktivitäten. Die Vielfalt sei begrüßenswert, sagte der Muslim in seinem Vortrag.
Der emeritierte Lateinische Patriarch von Jerusalem, Monsignore Fuad Twal, sprach über die christlichen Schulen im Heiligen Land. Sie müssten eine Grundlage für Frieden legen. Er befürwortete einen Dialog zwischen Schülern, Lehrern und Familien sowie Respekt vor kultureller Vielfalt. In Jordanien besuchten deutlich mehr muslimische als christliche Kinder die katholischen Schulen, im Westjordanland überwiege teilweise die Zahl der Christen, teilte er auf Anfrage aus dem Publikum mit.
Ein weiteres zentrales Thema der Konferenz war die nachhaltige Entwicklung. Akademiker aus Brasilien, Kenia oder Italien stellen Projekte vor, bei denen ihre Universitäten mit der Bevölkerung zusammenarbeiten. Der Umweltethiker Emilio Chuvieco von der Universität Alcalá de Henares in Spanien forderte einen Dialog zwischen Wissenschaft und Religiösen. Mit Bezug zur Enzyklika sagte er, diese Welt sei ein Geschenk von Gott, um das die Menschen sich kümmern müssten. Es sei nötig, die Verbindung zur Natur wiederzuentdecken und die Schönheit der Welt zu sehen. In anderen Beiträgen ging es um die Flüchtlingsproblematik, Ausbeutung und Klimagerechtigkeit.
Projekte für eine gerechtere Gesellschaft
Mit sozialem Engagement befasste sich unter anderem der Vortrag von Frère Martinien Bosokpale von der Katholischen Universität des Kongo. Die Hochschule sehe sich im Dienst für die Gesellschaft, führte er aus. Sie wolle eine gerechtere, menschlichere, christlichere Gesellschaft erreichen und das Evangelium von Jesus Christus verkündigen. Vor Weihnachten und Ostern besuchten Dozenten und Studenten ein Heim für von Eltern verlassene Kinder und ähnliche Einrichtungen. Die Anschaffung von Spielen für eine von Gewalt geprägte Schule habe dazu geführt, dass Harmonie zwischen Kindern aus verschiedenen Stämmen entstand.
Auch Projekte für die Förderung von Kinderrechten oder für die Erziehung zu einem verantwortlichen Umgang mit Geld wurden vorgestellt. Eine weitere Initiative ermöglicht es begabten Abiturienten aus ärmlichen Regionen in Chile, kostenlos eine Universität zu besuchen. In Kolumbien erhalten ehemalige Guerilla-Kämpfer, die sich nach dem Friedensschluss in die Gesellschaft eingliedern wollen, Lesestoff. Ziel sei es, christliche Werte wiederzubeleben. Überdies ging es um Projekte, die indigene Kommunen in dem südamerikanischen Land stärken sollen.
Den Sport als friedenstiftendes Element nutzt der mexikanische Profifußballspieler Gustavo Méndez. Er hat sich für ein Studium der Technologie entschieden und trainiert Kinder aus Problembezirken in Mexiko. Dadurch will er nach eigener Darstellung dazu beitragen, dass die Jungen und Mädchen zu guten Bürgern erzogen werden.
Fußball dient auch dem Peres-Friedenszentrum in Jaffa als Mittel für eine Verständigung. Dessen Mitarbeiterin Tamar Hay-Sagiv bezeichnete den Sport auf der Konferenz als „internationale Sprache“. Wichtig sei dem Zentrum, dass nicht Israelis gegen Palästinenser spielen. Deshalb würden immer gemischte Mannschaften gebildet, die dann gegeneinander anträten.
Nobelpreisträger: Die richtigen Anreize für Konfliktlösung geben
Einen besonderen Akzent auf dem Kongress setzte der Ökonom Robert J. Aumann von der Hebräischen Universität. Der Israeli hatte 2005 gemeinsam mit dem im vergangenen Dezember verstorbenen US-Amerikaner Thomas Schelling den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. In seinem Vortrag stützte er sich auf die damalige Nobelpreisrede. Menschen hätten seit Anbeginn der Geschichte gegeneinander gekämpft, stellte er fest.
Aumann plädierte dafür, richtige Anreize für eine Konfliktlösung zu geben. Zugeständnisse hält er allerdings nicht für allzu sinnvoll. Bei der Münchener Konferenz 1938 habe Adolf Hitler die Konzessionen als Signal der Schwäche gedeutet. Das lade zur Aggression ein. Auch der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen vor zwölf Jahren habe Krieg gebracht.
Abrüstung sei ebenfalls kein probates Mittel, ergänzte der 87-Jährige. Vielmehr könne Abschreckung zum Ziel führen. Die Pax Romana, die dem Römischen Reich über 200 Jahre lang Frieden bescherte, habe nur auf dem Grundsatz funktioniert: „Si vis pacem, para bellum.“ (Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.) So habe die in greifbarer Nähe vorhandene Atombombe im Kalten Krieg den Kriegsausbruch verhindert. Die Schweiz habe seit 400 Jahren Frieden und trotzdem ein funktionierendes Militär. Dass das Land „bis an die Zähne bewaffnet“ sei, schütze es vor Krieg. Aumann hatte den Nobelpreis für die sogenannte „Game Theory“ (Spieltheorie) erhalten, die sich aus ökonomischer Sicht mit Konfliktlösung befasst.
Mit dem Wirtschaftswissenschaftler auf der Bühne waren auch Teilnehmer des Jugendkongresses „Interreligiöse Nationalitätsbegegnung“. Dieser fand gleichzeitig im Truman-Institut statt und wurde ebenfalls von „Scholas“ mitorganisiert. Jugendliche und Studenten aus acht Ländern, darunter Israel, sowie der Palästinensischen Autonomie nahmen daran teil. Zum Auftakt wurde durch die persönliche Frage „Was ist dein Talent?“ deutlich, dass jeder Mensch besondere Begabungen hat. Diese setzten die jungen Leute während der Veranstaltung in Kunst, Musik, Bewegung und Worte um.
Die beiden viertägigen Konferenzen in Jerusalem endeten am Mittwochabend mit einer Videobotschaft des Papstes. Darin ermutigte Franziskus Israelis und Palästinenser, einander vorurteilsfrei zu begegnen. Die rund 150 Wissenschaftler, Religions- und Jugendvertreter auf dem Kongress hätten bewiesen, dass Einheit trotz bestehender Unterschiede möglich sei. Kinder und Jugendliche müssten träumen und spielen können: „Wenn wir nicht zulassen, dass das Kind spielt, ist es, weil wir selbst nicht spielen können, und wenn wir nicht spielen können, verstehen wir weder Dankbarkeit noch Uneigennützigkeit noch Kreativität.“ Als Zeichen des Friedens pflanzten Organisatoren der Konferenz auf dem Gelände der Hebräischen Universität einen Olivenbaum.
„Scholas Occurrentes“ begann im August 2013 als Vatikan-Initiative, um mit Technologie, Kunst und Sport die soziale Integration von Kindern und Jugendlichen aus armen Verhältnissen zu fördern. Die Stiftung entstand allerdings schon früher auf Betreiben des damaligen Erzbischofs von Buenos Aires Jorge Mario Bergoglio, der heute Papst ist. Mittlerweile ist sie in der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften angesiedelt. Das Truman-Institut für die Förderung von Frieden will einen Beitrag zur wissenschaftlichen Konfliktforschung leisten – unter anderem durch Konferenzen.
Von: Elisabeth Hausen