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Herzog: „Bringt unsere Gefolterten aus den Terrortunneln zurück!“

Vor der UN-Generalversammlung fordert der israelische Präsident Herzog am Holocaust-Gedenktag die Freilassung aller Geiseln. Eine Jüdin erzählt vom Überleben ihrer Eltern.
Von Israelnetz

NEW YORK / AUSCHWITZ (inn) – Israels Staatspräsident Jizchak Herzog hat am Montag vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die 90 noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln gebetet. Er sprach anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages vor dem Gremium. Dieser wird am Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und damit am 27. Januar begangen.

„Neben meinem Herzen eine gelbe Anstecknadel“, begann Herzog seine Ansprache bei der Gedenkveranstaltung in New York. „Ein Anstecker, der Erwartung, Hoffnung und einen widerhallenden Schrei an die gesamte Menschheit symbolisiert: Bringt unsere gefolterten Kinder und Alten, unsere Frauen und Männer, aus den Terrortunneln in Gaza zurück – nach Hause, nach Israel.“

Münzen wurden zur Geiselschleife

Er erzählte von dem israelischen und amerikanischen Staatsbürger Omer Neutra, dessen Schicksal über ein Jahr lang unbekannt gewesen sei. Dessen Urgroßvater Josef Neutra habe die Schoa überlebt und am Ende nur ein paar Münzen in der Tasche gehabt. Daraus habe Omers Tante Louise eine Geiselschleife gefertigt, umgeben von Stacheldraht.

„Die Münzen, die den dunkelsten Abgrund der Menschheit überlebten, wurden die Leinwand für einen Anstecker, der die Geschichte einer Nation symbolisiert. Ein Symbol des Überlebens, des Glaubens, der Hoffnung, der Sehnsucht, der Erinnerung“, sagte Herzog. „Ein Symbol des Aufschreis: des Aufschreis so vieler Generationen, die nach Gerechtigkeit rufen, nach Menschlichkeit.“

Die Eltern Orna und Ronen Neutra nahmen an der Gedenkveranstaltung teil. „Mehr als 400 Tage lang trug Ronen den Anstecker an seinem Revers, während er auf die Rückkehr seines Sohnes hoffte und dafür betete“, fuhr der Präsident fort. Vor ein paar Wochen hätten sie erfahren: „Hauptmann Omer Neutra fiel heldenhaft in den Kämpfen des 7. Oktober. Sein Leichnam wird von mörderischen Terroristen in Gaza festgehalten.“

Geiseln erdulden „Bedingungen von Untermenschen“

Herzog appellierte an die Versammelten: „Ich rufe alle Repräsentanten in dieser Generalversammlung auf, alle, die sich als Teil der zivilisierten Welt betrachten, Ihren Einfluss geltend zu machen, um die Rückkehr unserer Geiseln in ihr Zuhause zu gewährleisten.“ Die Geiseln erduldeten „Bedingungen von Untermenschen, ohne grundlegende gesundheitliche Ersthilfe, ohne Besuche vom Roten Kreuz und ohne jegliche Übereinstimmung mit dem internationalen Recht, Verträgen oder Abkommen“.

Das Staatsoberhaupt sprach ein Gebet, das Rabbi Klonymus Kalman Schapira, der „Rebbe von Piaseczno“, kurz vor seinem Tod verfasst hatte. Er wurde im November 1943 bei der „Aktion Erntefest“ in Polen von Nazionalsozialisten ermordet.

Das Gebet lautet: „Allmächtiger Gott. Höre auf die Stimme unseres Weinens und das Seufzen unserer Herzen. Unsere Lieben, Frauen und Kinder, Väter und Mütter, Brüder und Schwestern, wurden aus unsrer Mitte gerissen. Sei Du – Allmächtiger Gott – der Beschützer aller Gefangenen. Beschütze sie vor jeder Schwierigkeit und Notlage. Gib ihnen Stärke, um Qual zu ertragen, und gewähre ihnen Leben, damit sie würdig sind, zu ihren Familien zurückzukehren. Amen.“

Der UN-Vollversammlung warf Herzog moralischen Bankrott vor. Bereits vor 50 Jahren habe sie Zionismus zu „einer Form von Rassismus“ erklärt. Heute entschieden sich Einrichtungen wie der Internationale Strafgerichtshof „für unerhörte Heuchelei und den Schutz der Täter der Gräueltaten. Sie verwischen die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Dabei schaffen sie eine verzerrte Symmetrie zwischen dem Opfer und dem mörderischen Monster“. Dabei hätten diese Einrichtungen einst als Anti-Nazi-Allianz begonnen.

Überlebende: Ungarischer Nazi verschonte Mutter

Die 1942 in Ungarn geborene Jüdin Marianne Miller schilderte das bemerkenswerte Überleben ihrer Eltern. „Alfred und Violetta Nobel waren ein junges Paar, das schwer verliebt war. Bevor mein Vater in ein Arbeitslager gebracht wurde, wollte meine Mutter schwanger werden. Mein Vater war dagegen.“ Er habe kein Kind in eine Welt setzen wollen, wo ihm an jeder Ecke der Tod auflauere. Doch die Mutter war der Ansicht: Vielleicht überlebt einer, dann hat er eine Erinnerung an den anderen. „Unter diesen Umständen kam ich auf die Welt – eine Welt, in der mir an jeder Ecke der Tod auflauerte.“

Die Mutter marschierte im Dezember 1944 in Budapest mit vielen anderen Müttern und Kindern zu einem Bahnhof. „Dann geschah etwas Beispielloses“, zitiert die Nachrichtenagentur JNS aus der Rede. „Mit einer plötzlichen Bewegung riss sich meine Mutter den gelben Stern ab und rannte aus der Schlange, dabei hielt sie mich in den Armen. Sie versteckte sich unter einem Tor und dachte, niemand habe sie gesehen.“

Doch ein junger ungarischer Nazi sei hinterhergelaufen und habe sie mit einer Waffe bedroht: Er werde das Kind vor ihren Augen töten. Dann werde sie allein in die Schlange zurückkehren. Die Mutter habe ihm daraufhin ihren Ehering hingehalten: „Ihr tötet Menschen und nehmt ihren Schmuck, aber dieser Ring ist anders – er ist nicht mit Blut bedeckt. Er glänzt, weil Sie niemanden dafür getötet haben. Nehmen Sie ihn. Es liegt ein Segen darauf. Sie haben einer Mutter und ihrem Kind das Leben gegeben.“ Nach diesen Worten habe er sie gehen lassen, sagte die Tochter.

Der Vater wiederum habe im Konzentrationslager Bergen-Belsen mit einer Scheibe Brot pro Woche auskommen müssen. Er habe es in sieben kleine Stücke geteilt und die Willenskraft aufgebracht, jeden Tag nur eines zu essen. Bei der Befreiung habe er 35 Kilogramm gewogen.

In ihrer Rede flehte die Überlebende die internationale Gemeinschaft an: „Bitte, helfen Sie uns, unsere Geiseln zurückzubringen. Hassen Sie nicht. Lieben Sie.“

Große deutsche Delegation Auschwitz

Auch in Auschwitz gab es am 80. Jahrestag der Befreiung eine Gedenkveranstaltung. Israel wurde dort von Bildungsminister Joav Kisch (Likud) vertreten. Aus Deutschland kam eine so große Delegation wie an keinem Gedenktag zuvor in die Gedenkstätte: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne), Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD), Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) .

Steinmeier thematisierte den Anstieg antisemitischer Straftaten in Deutschland, der besonders seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg im Gazastreifen wahrzunehmen sei. „Nichts zeigt deutlicher, dass Erinnerung kein Ende kennt und deshalb Verantwortung keinen Schlussstrich“, sagte er gemäß einem Bericht des „Tagesspiegel“.

Offizielle Reden von Politikern waren in Auschwitz-Birkenau nicht vorgesehen. Der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Marian Turski, zog einen Bogen von der Schoa zum Terrorangriff am 7. Oktober. Er forderte die Zuhörer dazu auf, mutig aufzutreten, wenn die Hamas die von ihr begangenen Massaker leugne. (eh)

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7 Antworten

    1. Ja, es ist leider viel leichter, einfach mal sich in Auschwitz sehen zu lassen, als vor den UN wirklich Flagge zu zeigen. Wir pflegen lieber (Schoah-) Denkmäler, als lebende Juden in D und IS tatkräftig und ehrlich zu schützen und für die Geiseln zu kämpfen. Verlogen!

      7
  1. Sehr bewegende Worte von Präsident Herzog. Aber kommen sie an, bei den UNO-Mitgliedern ? Tropfen in einem Ozean von Hass und Ignoranz.

    20
  2. In dieses Gebet, das Herzog sprach, stimme ich mit ein. 🙏🎗
    Danke für den Bericht, der berührt. Ich hab die Übertragung im TV gesehen und Bibi Nethanjahu vermisst.

    16
  3. Es sind sehr bewegende, und sehr mutige Worte vom Israelischen Präsidenten Herzog.
    Ich wünsche mir mal in anderen Ländern so gute Repräsentanten wie Herzog in Israel !
    Der Bericht über die Überlebende ist sehr wichtig, ich hoffe, dass auch in Zukunft diese Geschichte in Erinnerung bleibt.

    6

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