September 2020: Die Israelis Ajala und Nathanael stehen einer Klasse von Bibelübersetzern und Übersetzungshelfern in Togo gegenüber. Ajala teilt ihren in Israel gebliebenen Freunden über den Kurznachrichtendienst WhatsApp mit: „Das Unterrichten macht Freude. Schon am Ende der ersten Woche verstehen die Studenten, was wir ihnen auf Bibelhebräisch erklären.“ Fast jeden Tag sängen sie einen neuen Psalm, was den Togolesen viel Freude bereite, schreibt Ajala. Doch auch an Herausforderungen mangelt es nicht. So stellt der vorgeschriebene Mund-Nase-Schutz eine Schwierigkeit dar. „Auch der Wissensgrad bei den Studenten ist unterschiedlich. Manche haben schon klassische Hebräischkurse an Universitäten absolviert, andere haben noch Mühe, die Schrift zu lesen.“
Die Israelis treffen sich mit lokalen Bibelübersetzern. Sie selbst sind keine Fachleute, haben aber als Muttersprachler den entscheidenden Vorteil: Auch wenn sie nicht alle Bibeltexte ohne Weiteres verstehen – für sie ist Hebräisch Teil ihres Lebens, sie mussten nicht erst mühevoll Vokabeln pauken, um die Bibel lesen zu können.
Das Land als Klassenzimmer nutzen
Dass Ajala und Nathanael zu dieser Zeit in Togo sind, ist Teil der Vision von Baruch Kvasnica. Seiner Beobachtung nach haben die meisten Bibelübersetzer kein Gefühl für die hebräische Sprache – oder können gar kein Hebräisch, sondern übersetzen die Bibel aus anderen Sprachen. „Darum müssen wir israelische Lehrer in die Welt senden, um Bibelhebräisch-Kurse zu den Bibelübersetzern der Welt zu bringen. Das ist eine riesige Aufgabe!“
Der Amerikaner kam 1994 als 22-Jähriger nach Israel. Geschichte und Religion hatte er in den USA studiert, in Israel wollte er dieses Studium vertiefen. Er blieb, heiratete eine Israelin – deren Vater in der Bibelorganisation Wycliff tätig war – und baute ein Reiseunternehmen auf: „Die Arbeit damit macht mir viel Freude. Aber ich habe die vielen Pastoren gesehen, die ins Land kamen und so wenig verstanden von dem, was hier vor sich geht. Ich glaube, dass das Verständnis des biblischen Urtextes wesentlich dazu beiträgt, das Land und die Texte besser zu verstehen.“
Kvasnica gründete die Bibelschule „Jerusalem Seminary“, deren Motto lautet: „Das Land ist unser Klassenzimmer, die Bibel unser Leitfaden. Lasst uns zusammen entdecken!“ Kvasnica ist überzeugt: „Wer in das Land der Bibel kommt, wird in seinem Bibelstudium davon profitieren. Es wird seine Sicht verändern und seine Gottesbeziehung wachsen lassen.“ Der gebürtige Methodist sieht das theologische Institut als Ergänzung zu den existierenden katholischen Einrichtungen im Heiligen Land. Es bildet eine Schnittstelle zwischen Christen und messianischen Juden.
Immer wieder arbeitete Kvasnica für und mit Bibelübersetzern, doch als Nicht-Muttersprachler kam er bei seinen eigenen Bemühungen oft an seine Grenzen. „Israelis jedoch können auf diesem Gebiet massiv etwas verändern, denn seit dem Kleinkindalter sind sie mit der hebräischen Sprache vertraut. Das Bibelhebräisch ist nicht allzu weit entfernt von dem, was sie ohnehin jeden Tag sprechen. Es wäre toll, wenn messianische Gemeinden in Israel ihre jungen Leute aussenden, um den Bibelübersetzern in der Welt zu dienen.“
Große Nachfrage
Deshalb gründete Kvasnica 2018 mit einem kleinen Team „Ivrit laAmim, Hebrew4nations“ beziehungsweise „Hebräisch für die Völker“. Das Projekt ist ein Programm der Bibelschule „Jerusalem Seminary“ und arbeitet eng mit dem Jüngerschaftsprogramm „Lech lecha“ („Geh aus“, 1. Mose 12,1) sowie dem „Jerusalemer Zentrum für Bibelübersetzer“ (Jerusalem Center for Bible Translators, JCBT) zusammen. Das „Jerusalem Seminary“ wurde als amerikanische Organisation gegründet und gilt seit Mitte August auch in Israel als gemeinnützig.
Die Nachfrage ist groß: „Von einzelnen Bibelübersetzern sowie Organisationen, die Bibeln übersetzen, wurden wir in den vergangenen Jahren immer wieder gebeten, ein Training für Bibelübersetzer aus dem Hebräischen zu entwickeln. Unsere Organisation ,Ivrit laAmim‘ möchte helfen, diesen Bedarf zu decken“, sagt Kvasnica.
Auch säkulare Israelis nehmen teil
Einer, der sich seit Jahrzehnten im Bereich der Bibelübersetzung engagiert, ist Jochanan Ronen: „In der Welt gibt es etwa 7.000 Sprachen. Doch eine Übersetzung der vollständigen Bibel gibt es nur in etwa 700 Sprachen. Die meisten davon sind aus europäischen Sprachen und nicht etwa aus dem Urtext Hebräisch angefertigt worden“. Der amerikanische Sprachwissenschaftler leitet das JCBT. Seit 25 Jahren bringt es christliche Bibelübersetzer nach Israel, damit diese Hebräisch lernen, um den TaNaCH, die Hebräische Bibel, aus dem Urtext in andere Sprachen zu übersetzen.
Bei „Ivrit laAmim“ treffen sich die israelischen Studenten ein knappes halbes Jahr lang jede Woche für vier Stunden. Der Großteil der Studenten gehört der messianisch-jüdischen Bewegung an, doch es nehmen auch christliche oder säkulare Israelis daran teil. Der erste Kurs wurde 2018 mit zwölf Teilnehmern durchgeführt. Jeweils zwei Absolventen gingen anschließend in die Mongolei und nach Nigeria, um dort ihrerseits den Kurs für biblisches Hebräisch in einem Monat mit örtlichen Bibelübersetzern durchzuführen.
Talia Bar-David, Mitbegründerin von „Ivrit laAmim“, erklärt ihre Motivation: „Für uns Israelis ist es selbstverständlich, dass wir die Bibel auf Hebräisch lesen. Uns kommt gar nicht in den Sinn, dass viele Menschen die Bibel nicht in ihrer Muttersprache lesen können.“ Die Absolventin des Kurses von 2018 bildet heute weitere Studenten aus: „Als mir das deutlich wurde, wusste ich, dass ich mich in diesem Bereich engagieren wollte.“ Die Mittdreißigerin studiert zudem an der Hebräischen Universität in Jerusalem die Entstehungsgeschichte der Bibel, Archäologie sowie Nahost-Kulturen und -Schriftgut der Antike.
„Ivrit laAmim“ ist so konzipiert, dass die Studenten das antike Bibelhebräisch nur in dieser Sprache mit Elementen des modernen Hebräisch (Ivrit) lernen. Ähnlich wie kleine Kinder ihre Muttersprache verinnerlichen, sollen hier Erwachsene einen gewissen Wortschatz des biblischen Textes lernen und dadurch ein Gespür für die Sprache bekommen.
Unterricht auf Hebräisch
Kvasnica weiß um die Herausforderungen in der Lehre: „Israel ist bekannt für die Institution des Ulpan, die Sprachschulen, in denen Neueinwanderer in nur wenigen Monaten die hebräische Sprache erlernen. Doch für das Bibelhebräisch muss etwas Neues her.“ Als Hauptdozent für die Israelis ist Ejal Nahum engagiert. Seit einigen Jahren unterrichtet der Philologe mit einem eigenen Skript am „Jerusalemer Institut für antike Sprachen Polis“. Kvasnica erinnert sich an sein eigenes Sprachstudium: „Oft konnte ich alle Verben durchkonjugieren, aber ich wusste nicht, warum bestimmte Wörter an manchen Stellen verwendet wurden und an anderen nicht. Ich hatte kein Gefühl für die Sprache. Auf Englisch gibt es viele gute Bücher, die die Hebräische Sprache lehren.“ Als hebräischer Muttersprachler unterrichtet Ejal Bibelhebräisch in seinem Buch ausschließlich auf Hebräisch. Seine Studenten profitieren von seiner langjährigen Erfahrung als Ulpan-Lehrer und Dozent am Polis-Institut.
Seit 2018 haben 45 Israelis das neue Programm absolviert. Der dritte Kurs begann im Januar, die 15 Studenten schlossen ihn – trotz der Corona-Einschränkungen – im Juni ab. Einer von ihnen ist Tal: „Anfangs habe ich die Herausforderung unterschätzt. Was sollte an diesem Kurs schon so schwer sein? Immerhin bin ich in Israel mit Hebräisch aufgewachsen!“, erzählt der Sohn amerikanischer Einwanderer. Tal ist zudem Fremdenführer.
„Ich wohne in Be‘er Scheva und hatte anfangs Bedenken, ob ich an allen Abenden teilnehmen könnte. Weil Corona dafür sorgte, dass keine Touristen mehr ins Land kamen und wir den Großteil des Kurses ohnehin über Videotelefonie absolvierten, war die Teilnahme dann kein Problem mehr“, erzählt der Mittzwanziger fröhlich: „Doch wie hatte ich mich getäuscht, was die Inhalte anging! Das Bibelhebräisch weist so viele feine Nuancen auf – Bedeutungen, von denen selbst wir als Muttersprachler des Neuhebräischen einfach wenig Ahnung haben.“
So wie Ajala und Nathanael in Togo waren, sollte es im Herbst weitere Kurse für Mexiko und Nigeria geben. Aufgrund der Corona-Situation sind diese nun auf 2021 verschoben. Über die Anerkennung als gemeinnützige Organisation sagt Kvasnica im Sommer 2020: „Viele Menschen haben uns auf diesem langen Weg begleitet und mit gebetet. Nun dürfen wir das Ergebnis sehen.“ Erleichtert ruft er aus: „Preis dem HERRN! Immer mehr erfüllt sich Micha 4,2: ‚Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.‘ Ich glaube, dass das Programm dazu dient, Christen zu helfen, die Bibel besser zu verstehen.“
Von: mh
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