JERUSALEM (inn) – „Fast vier Jahre habe ich diese Ausstellung vorbereitet und nun ist sie Wirklichkeit.“ Kuratorin Sigal Barkai ist glücklich, als sie die neue Ausstellung im Museum für Islamische Kunst in Jerusalem vorstellt. Die neue Sammlung zeigt Werke von Frauen, die aufgrund ihrer Herkunft noch vor wenigen Jahren keine Chance hatten, sich künstlerisch zu entfalten.
Barkai erinnert sich: „Als ich vor vielen Jahren mit dem Studium an der Bezalel-Kunsthochschule begann, waren alle Studenten jüdisch. Heute lehre ich dort und wir haben Studenten aus allen gesellschaftlichen Bereichen: säkulare und religiöse Juden, Araber, Drusen, Christen, Muslime, Männer und Frauen.“
Dementsprechend habe sich in den vergangenen Jahren auch die Kunstszene in Israel gewandelt. „Es sind gute Künstler und vor allem die Werke der Frauen verweisen oft auf die Besonderheiten der jeweiligen Herkunft. Oft müssen diese Frauen für ihre Kunst kämpfen. Sie müssen sich Freiräume schaffen. Viele arbeiten von zu Hause oder aus dem Keller, manchen steht eine ganze Wohnung zur Verfügung, anderen ein Raum im Dorf.“
Bereits aus dem Titel der Ausstellung wird ersichtlich, wie diffizil die Bedingungen für manche Künstlerinnen sind: Der englische Titel „Trespassing“ bedeutet soviel wie Hausfriedensbruch. Dementsprechend heißt das hebräische „Messigot Gvul“ Hausfriedensbrecherinnen. Der arabische Titel „Tahaddi al-Hudud“ hingegen bedeutet lediglich Grenzherausforderung. Auf Deutsch lässt sich der ganze Titel vielleicht am besten mit „Grenzüberschreitend – Frauen schaffen eine neue Wirklichkeit“ wiedergeben.
Der eigene „Klang der Stille“
Barkai erklärt: „In der westlichen Welt sind unsere Vorstellungen von Künstlern doch recht klar vorgegeben: Ein weißer Mann sitzt in seinem großen lichtdurchfluteten Studio und drückt sich selbst – meist auf eine aggressive Art und Weise – aus. Frauen dagegen bringen ihren eigenen ‚Klang der Stille‘ mit. Die Frauen haben etwas zu erzählen. Ihrer modernen Kunst wollte ich eine Bühne bieten.“
Die sechs jüdischen Künstlerinnen und neun arabischen Frauen entstammen einem konservativen, häufig patriarchalisch geprägten, Umfeld. Überwiegend haben sie einen religiösen Hintergrund.
Hanna Goldberg ist ultra-orthodoxe Jüdin: Früher habe sie sich versteckt, hinter den Kindern, hinter ihrem Mann. Ihre eigenen Wünsche habe sie oft nicht ernstgenommen. „Doch ich habe irgendwann gemerkt, dass wir Frauen auch Vorteile haben: Männer müssen immer ernsthaft sein, indem sie sich mit der Tora beschäftigen. Uns Frauen bringt man grundsätzlich nicht so viel Respekt entgegen. Also dürfen wir ruhig auch mal ein bisschen spielen. Wenn Männer künstlerisch tätig werden wollen, ist es für sie viel schwerer. Uns hingegen nimmt man nicht so ernst, also dürfen wir uns auch mit weniger ernsten Dingen beschäftigen.“ Mütter seien eigentlich permanent mit Pflichterfüllungen beschäftigt und überhaupt spielten sie oft eine Nebenrolle.
Eine ultra-orthodoxe Betrachterin fällt Goldberg empört ins Wort: „Aber das stimmt doch gar nicht. Es ist doch eine wichtige Tradition, dass die Mutter die Königin ist.“ Goldberg lächelt nachsichtig. „Ich versuche hier meine Geschichte zu zeigen. Es ist Kunst, ich habe nicht den Anspruch, die allumfassende Wirklichkeit abzubilden.“ Und dann schiebt sie noch nach: „Und vielleicht ist es ja Aufgabe der Königin, immer für andere da zu sein?“
Ihr Mann sei anfangs sehr kritisch gegenüber ihrer kreativen Art gewesen: „Inzwischen hat er akzeptiert, dass es ein untrennbarer Teil von mir ist. Und nun, wo die Kinder groß sind, habe ich auch mehr Freiraum.“
Leben von Vorschriften geprägt
Hila Karabelnikov-Pas wohnt in dem ultra-orthodoxen Tel Aviver Vorort Bnei Brak. Auf knapp zwei Meter großen Flächen hat sie Klebeband auf Tapete geklebt. Das wiederkehrende Thema in ihren Werken ist das Leben der orthodox-jüdischen Frau innerhalb ihrer Gesellschaft. Mit ihren Bildern erzählt sie aus ihrem von jüdischen Vorschriften geprägten Leben, wie zum Beispiel einem Ausflug an den Frauenstrand oder dem Besuch in der Mikve, dem rituellen Reinigungsbad.
Eine Videoprojektion zeigt Filme von Rawan Abu Filat. Sie lebt mit Albinismus und thematisiert die Vorstellung der Farben schwarz und weiß. Barkai erklärt: „Die Künstlerin ist auch Hauptdarstellerin dieser Produktion. Doch durch die manipulierten Bilder dient ihr Körper als Subjekt. Die nebelartigen Filter sorgen für eine Transparenz, die für sie symbolisch für die sozialen Konventionen steht. Der schwarze Filter hingegen macht die Organe sichtbar, die der restliche Körper in der Leere hält. Ähnlich wie in der Projektion dargestellt, fühlt Abu Filat sich häufig in der Schwebe zwischen einer mentalen Stille und dem emotionalen Aufruhr.“
Auch die Drusin Amira Sijan stellt sich die Frage nach dem Rollenbild der Frauen in ihrer Gesellschaft. Auf Glas hat sie das Foto einer jungen Frau aus ihrem Dorf projiziert: Einerseits ist sie jung, hübsch und geschminkt. Andererseits ist ihr Gesicht ausdruckslos und ein Rostfilter liegt über dem Bild, sodass das Gesicht verwaschen ist. Offensichtlich trägt sie ein Brautkleid und die Künstlerin hat über ihrer Brust einen Lichtschalter eingefügt. Sie fragt: „Kann man uns einfach an- und ausschalten, wie und wann es einem Mann beliebt?“. Kunstliebhaber erinnert das große Wandbild vielleicht an das Klimt-Werk „Goldene Adele“. Und beim Betrachter kommt die Frage auf: Versucht die Künstlerin mit ihrem Werk darzustellen, dass sich die Frau einfach auslöschen lässt?
Eine weitere Projektion zeigt drei Bildschirme, auf denen Miriam Barzesky in Videos in einer wüstenähnlichen Landschaft zu sehen ist. Nach langen Jahren der Abwesenheit kehrt Barzesky an ihren Heimatort Ofakim zurück. In einer Sequenz geht sie barfuß einen Baumstamm entlang, in einer anderen rennt sie einen Sandhügel rauf und runter. In dem dritten Teil lässt sie lediglich Sand durch ihre Finger rinnen. „Diese Bilder bilden einen starken Kontrast zu ihrem Alltag. Als mehrfache Mutter und Teil der ultra-orthodoxen Gesellschaft ist sie permanent damit beschäftigt, den Ansprüchen ihrer Umwelt zu genügen“, so sagt Barkai. „Hier, in der Umgebung, in der es nichts als Sand zu geben scheint, stellt sie ihre Gesellschaft in Frage und wünscht sich in ihre Kindheit zurück.“
Es sind teilweise verstörende Bilder, die beim Betrachter einerseits Fragen nach den Geschichten hinter den Werken hinterlassen. Andererseits machen sie Mut, trotz offensichtlichen Widerständen das eigene Leben in die Hand zu nehmen und positiv zu gestalten. So wie es Channa und Hila getan haben. Und Rawan, Amira und Miriam. Die Ausstellung ist bis zum 3. Mai im Museum für Islamische Kunst zu sehen.
Von: mh