WETZLAR (inn) – An Glauben hat es den israelischen Handballnationalspielern am Mittwochabend in Wetzlar sicherlich nicht gefehlt. Aber die biblische Parallele zum Duell zwischen David und dem riesenhaften Goliath lag in der Rittal-Arena nahe: Im EM-Qualifikationsspiel gegen das übermächtige Deutschland, deren Spieler immer einen Kopf größer und einige Stufen härter im Zweikampf wirkten, fehlte den Israelis eher eine sportliche Waffe in Form einer Steinschleuder.
Die große israelische Handball-Legende Avischai Smoler, der in der Bundesliga für die HSG Wetzlar und den TBV Lemgo gespielt hatte, beendete vor fünf Wochen seine Karriere. Der beste aktuelle Handballer Israels, Chen Pomeranz, der von 2008 bis 2015 in Deutschland spielte, fehlte verletzt. Eine neue junge Generation durfte sich im mit 4.347 Zuschauern ausverkauften Hexenkessel gegen eine deutsche Mannschaft ausprobieren, die zurück in die Weltspitze drängt. Das klare Endergebnis lautete 37:21 für Deutschland. Für die Israelis war das aber zweitrangig. Unter dem neuen Trainer Oleg Boutenko, der zuvor die israelische U-18-Mannschaft coachte, galt es, die tolle Atmosphäre aufzusaugen und an der herausfordernden Aufgabe zu wachsen.
Israelischer Trainer: „Morgen machen wir es besser“
„Es war eine großartige Erfahrung für uns, gegen eine der besten Mannschaften der Welt zu spielen“, sagte Boutenko nach der Partie. Es sei ein schwieriges Spiel für seine Mannschaft gewesen, die alles gegeben habe. „Aber wenn es nicht gereicht hat, werden wir es morgen besser machen“, sagte der Trainer, der während des Spiels viel auf dem Boden kniete, um einen weiteren Blickwinkel auf die Aktionen seiner Mannschaft zu gewinnen.
Handball ist ein Spiel der Phasen: Eine Mannschaft zieht davon, die andere zieht nach und überholt den Gegner, der wiederum kontert. Die Mathematik des Qualifikationsspiels war, dass jedem geworfenen Tor der Israelis zwei deutsche Tore vorausgingen. Zur Halbzeit hieß das schon 19 zu 9. Boutenko probierte viel aus und nahm gegen Ende der Halbzeit auch immer wieder den eigenen Torhüter raus. Die Logik dahinter ist es, einen weiteren Feldspieler einzuwechseln, um zahlenmäßige Überlegenheit zu bekommen. Die nicht konsequent mit Torabschlüssen zu Ende gespielten Angriffe der Israelis hatten aber zur Folge, dass die Deutschen wiederholt auf ein leeres Tor werfen konnten.
Pomeranz-Bruder Gil war Lichtblick
Ein Lichtblick auf der Linksaußen-Position war der 26-jährige Gil Pomeranz, der kleine Bruder des israelischen Starspielers Chen Pomeranz. In diesem jungen Kader von Spielern, die allesamt noch in der Heimat auflaufen, wo Handball neben Fußball und Basketball eher ein Nischendasein fristet, ist Gil ein Führungsspieler. Immer wieder drang er von ganz außen an den Kreis vor und warf insgesamt fünf Tore. Er forderte auch wiederholt seine Mitspieler auf, die Hände in der Verteidigung hoch zu nehmen, um dem Gegner ständige Bereitschaft und Einsatz zu signalisieren. Auf der Pressekonferenz nach der Partie sagte er auf Deutsch: „Es war eine sehr gute Erfahrung für unsere jungen Spieler.“ Wetzlar habe eine „Wahnsinnsatmosphäre“ geboten.
Es war am Mittwochabend die insgesamt 17. Partie zwischen Israel und Deutschland. Einmal schaffte das Land aus dem Nahen Osten dabei ein Unentschieden. Historisch betrachtet fand bereits relativ früh ein sportlicher Austausch statt: Im Jahr 1937 gab es laut der „Rheinischen Post“ Wettkämpfe zwischen deutschen Makkabi-Vereinen und Sportlern aus Palästina unter britischem Mandat. Die Mannschaft von Maccabi Petach Tikva spielte auf einer Tour in Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main und Köln. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlaubte das israelische Innenministerium erst im Jahr 1969 wieder sportliche Beziehungen mit Deutschland.
Israelische Jugendmannschaft in Halbzeit beklatscht
Der sportliche Austausch ist heute dagegen sehr fruchtbar. Die israelischen Jugendnationalmannschaften machen Trainingslager in Deutschland und pflegen Kooperationen mit deutschen Vereinen. In der Halbzeitpause beim Qualifikationsspiel wurde auch eine der Juniorenmannschaften der Israelis auf das Feld geholt, die seit mehreren Monaten an einem Gemeinschaftsprojekt teilnimmt und durch Deutschland tourt. Sie erhielt anhaltenden Applaus vom Publikum.
Es war das Auftaktspiel der EM-Qualifikationsgruppe, in der sich auch Polen und der Kosovo befinden. Die beiden Erstplatzierten fahren im Jahr 2020 zur EM nach Norwegen, Schweden und Österreich. Das nächste Spiel der Israelis ist am 28. Oktober gegen Polen in Tel Aviv. Die deutsche Mannschaft reist für das Rückspiel im kommenden Juni nach Israel.
Von: Michael Müller