JERUSALEM (inn) – Das israelische Parlament hat in erster Lesung für einen Gesetzesvorschlag gestimmt, das die Beanstandung von Minister-Ernennungen in die Hände der Abgeordneten legt, während Richter dabei keine Rolle spielen. Der Vorschlag zu einem Zusatz zum Grundgesetz über die Regierung erhielt am Montag 63 Stimmen und 55 Gegenstimmen. Er kommt nun in den Verfassungsausschuss der Knesset und dann für die letzten beiden Abstimmungen zurück ins Plenum.
Laut dem Vorschlag darf die größte Oppositionspartei ein Plenum einberufen, um im Fall von Kritik über mindestens ein Viertel der Minister abstimmen zu lassen. Außerdem können 40 Abgeordnete ein Plenum einberufen, in dem der Premierminister den Abgeordneten Rede und Antwort bezüglich seiner Ernennungen stehen muss.
Zusätzlich können Abgeordnete die Entlassung eines Ministers beantragen, sofern sie dafür 40 Stimmen zusammenbekommen. Der Antrag braucht in einem nächsten Schritt eine Mehrheit im Hausausschuss der Knesset und anschließend im Plenum.
Unmut gegen Urteil
Unmittelbarer Anlass für die Neuregelung ist die Kritik des Obersten Gerichtshofes an der Ernennung von Arje Deri. Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud) hatte den Schass-Vorsitzenden als Innen- und Gesundheitsminister vorgesehen. Doch die Richter betrachteten die Ernennung als „extrem unangemessen“. Deri hatte sich im Januar 2022 wegen Steuerhinterziehung schuldig bekannt und den Richtern zugesagt, sich aus der Politik zurückzuziehen – so verstanden diese jedenfalls seine Äußerung, als es um einen Gerichtsdeal ging. Bei der Knessetwahl im November trat er dann aber wieder an.
Der Richterspruch sorgte für Unmut bei den Koalitionsparteien. Aus deren Sicht ist damit der Wille der Wähler unberücksichtigt geblieben. Deri trat aber zunächst von beiden Ministerämtern zurück. Mit dem neuen Gesetz könnte er die Posten wiedererlangen.
Lapid: Glücklicher Tag für Kriminelle
Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) bezeichnete die Bewilligung des Gesetzes in der ersten Lesung als „glücklichen Tag für Kriminelle“. „Das ist das einzige, womit sich die Regierung befasst: Nicht mit den Lebenshaltungskosten, nicht mit Gesundheit, nicht mit Sicherheit, sondern nur mit korrupten Gesetzen und garantierten Interessen.“
Unterdessen mehren sich die kritischen Stimmen zur angestrebten Justizreform weiter. In den israelischen Medien kursierte am Dienstag ein Bericht der „Jewish Telegraph Agency“ über auswanderungswillige Israelis. Anfang Januar hatte Justizminister Jariv Levin (Likud) die Reformen angekündigt. Seither habe sich die Zahl der Anträge zur Unterstützung bei der Auswanderung vervierfacht.
Umfrage: Nachwuchswissenschaftler auswanderungswilliger
Am Montag wurde dem Wissenschaftsausschuss eine Umfrage unter Nachwuchswissenschaftlern vorgelegt, die zu diesem Trend passt. Demnach hat sich der Wille, das Land zu verlassen, bei 73 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht.
Zur Frage des Wissenschaftsstandorts Israel waren sich die Experten uneinig. Peretz Lavie wies darauf hin, dass 57 Prozent der Forschung und Entwicklung durch Gelder aus dem Ausland zustande kommt. Lavie befürchtet, dies könne sich mit der Justizreform ändern. Der Generaldirektor des Wissenschaftsministeriums, Gadi Arieli, widersprach dieser Ansicht laut einer Mitteilung der Knesset. Wissenschaftsminister Ofir Akunis (Likud) habe sich seit Amtsantritt mit zahlreichen Botschaftern und Staatenlenkern getroffen, und die Justizreformen seien dabei nie ein Thema gewesen.
Robert Aumann, der im Jahr 2005 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hatte, gehört indes zu den Befürwortern der Reform. Er bezeichnete das Oberste Gericht in seiner jetzigen Form als „Gefahr für die Demokratie“. „Die Richter sind nicht gewählt, dennoch entscheiden sie über Dinge, die umstritten sind. Wir suchen lediglich einen Ausgleich.“
Levin: Richter sollen Reform nicht beanstanden
Die Regierung zeigt sich indes weitgehend unbeeindruckt vom heftigen Widerstand gegen die Reformen. Neben wenigen Anpassungen änderte sie aber den Fahrplan: Nun soll vor Pessach lediglich die Frage der Richterernennung durch das Parlament. Die anderen angedachten Reformen sollen anders als geplant nach Pessach zu einem Abschluss in der Knesset kommen.
Am Montag warnte Justizminister Levin die Richter des Obersten Gerichtshofes davor, die Gesetze zur Justizreform zu beanstanden. Dies würde „alle roten Linien“ überschreiten. Es gebe keine Rechtfertigung, eine Verfassungskrise auszurufen. Der Oppositionspolitiker Gideon Sa’ar (Nationale Einheit) nannte Levins Äußerung eine „rote Linie“. „Eine Regierung, die ein Richterurteil nicht achtet, verliert ihre Legitimität.“ (df)
Eine Antwort
Lapid hat Recht: Jetzt kann sich sogar Netanjahu RECHTMÄSSIG verurteilen lassen – Ministerpräsident kann er auch dann werden!
Justizminister Levins entlarvende Äußerungen sind nicht mehr nötig, da diese Regierung des Rechtsstaat bzw. den Supreme Court sowieso verfassungsrechtlich völlig demontieren will.