GENF (inn) – Erstmals seit elf Jahren hat ein Sonderberichterstatter der UNO zu Gewalt gegen Frauen Israel und die Palästinensergebiete besucht. Dubravka Šimonović stellte bei ihrem zwölftägigen Aufenthalt einige positive Entwicklungen fest. Vieles bereite ihr jedoch Sorge, schreibt sie in ihrem vorläufigen Bericht.
In Israel besuchte Šimonović die Städte Jerusalem, Tel Aviv, Be‘er Scheva, Haifa und Nazareth. Positiv sieht sie eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen, um Verbote und Präventivmaßnahmen zu verbessern: „Verbesserungen gab es beim Gesetz zu Vergewaltigung und sexueller Belästigung.“ Sie lobt die aktuelle Arbeit an der Ratifizierung der Istanbul-Konvention zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen.
Besorgnis äußert die Kroatin angesichts der religiösen Gesetze, die Heirat und Scheidung regeln. Vor allem geht es ihr um den jüdischen Scheidebrief „Get“, bei dem der Ehemann einer Scheidung zustimmen muss. „Ich bin auf den ‚Get-Missbrauch‘ aufmerksam gemacht worden“, zitiert die Tageszeitung „Jerusalem Post“ aus dem Bericht. „Das ist eine Form der Gewalt, die von Ehemännern gegen ihre Frauen während Scheidungsprozessen angewandt wird.“ Šimonović spricht sich dafür aus, eine zivile Option für Heirat und Scheidung zu schaffen.
Beduininnen: Frühe Heiraten und Hauszerstörungen
Ferner geht es um Frauen in arabischen und beduinischen Gemeinschaften in Israel. „Polygamie und Eheschließungen von minderjährigen Mädchen werden in verschiedenen religiösen Gesetzen legitimiert“, schreibt Šimonović. Auch werde nicht genügend getan, um Verbrechen im Namen der „Ehre“ zu bekämpfen.
Die Berichterstatterin zeigt ein weiteres Problem auf: „Beduinische Gemeinden in nicht anerkannten Dörfern können keine Baugenehmigungen oder Pläne für Wohnungsbau erhalten. Dies zwingt sie dazu, ihre Häuser illegal zu bauen. Sie sind deshalb dem Risikio von Zwangsvertreibungen und Hauszerstörungen ausgesetzt.“ Dies wirke sich besonders auf Frauen aus. Asylbewerberinnen wiederum erhielten nicht ausreichend Schutz. Dabei seien viele aus ihren Ländern geflohen, weil sie Gewalt aufgrund ihres Geschlechtes erlitten hätten.
Negative Auswirkungen der Besatzung
In den Autonomiegebieten prangert die Mitarbeiterin des Menschenrechtsrates Missstände an, die sie auf die israelische Besatzung zurückführt. Dabei betont sie: „Die Besatzung befreit den Staat Palästina nicht von seiner Verpflichtung, mit angemessener Sorgfalt Gewalttaten aufgrund des Geschlechtes zu verhindern, zu untersuchen, zu bestrafen und Heilmittel dafür zu bereitzustellen für die Gebiete und Personen unter seiner Rechtsprechung.“ Ihre Beobachtungen stützen sich auf Begegnungen in Ramallah, Bethlehem, Hebron, Jericho, Ostjerusalem und Gaza.
Demnach führten Hauszerstörungen durch die israelische Armee dazu, dass palästinensische Familien bei Verwandten unterkommen müssten. Die Enge in den überfüllten Wohnungen erhöhe den Druck, was wiederum zu mehr Gewalt gegen Frauen führe. Hier geht Šimonović auf Razzien ein, die Frauen besonders beeinträchtigten: „Eine Frau erzählte mir zum Beispiel, dass sie vollständig bekleidet schlafe, falls sie durch nächtliche Razzien geweckt werde und von Soldaten gesehen werden könne.“
Die Sonderberichterstatterin sprach unter anderen mit Lehrerinnen und Schülerinnen der Kurduba-Schule in Hebron. Diese klagten über ständige Angriffe, Bedrohung und Demütigung durch Siedler in der Nachbarschaft. Mitglieder der israelischen Sicherheitskräfte nähmen solche Gewalt anscheinend hin. Manche Mädchen würden auf dem Schulweg so sehr von Siedlern belästigt, dass ihre Familien sie lieber nicht zum Unterricht schickten.
Verwurzelte Probleme
Ein weiterer Abschnitt in dem Bericht ist überschrieben mit „Besetzte palästinensische Gebiete/Staat Palästina“. Hier lobt die UN-Mitarbeiterin den vorbehaltlosen Umgant mit der Frauenrechtskonvention (CEDAW). In der Tat existierten Gesetze gegen Gewalt. Doch deren Umsetzung sei eine Herausforderung, weil eine formale Regierungsbehörde in bestimmten Regionen des besetzten Gebietes fehle.
Auch würden Opfer sexueller Gewalt in der palästinensischen Gesellschaft stigmatisiert. Ein Vergewaltiger könne in manchen Fällen straflos ausgehen, wenn er das Opfer heirate. Als Missstände nennt Šimonović „häusliche Gewalt, frühe Heiraten, sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Inzest, ebenso wie Morde im Namen der ‚Ehre‘“. Diese seien teilweise in der Gesellschaft verwurzelt.
Das palästinensische Rechtssystem sei „überholt“, wenn es um Gewalt gegen Frauen gehe, merkt die UN-Vertreterin an. Palästinensische Mädchen könnten mit 15 heiraten. „Kinderehen sind eine schädliche Praxis, die Mädchen in verletzliche Positionen versetzen können. Das Risiko, dass sie Gewalt und frühe Schwangerschaften erleben, wird dadurch verschlimmert.“ Vergewaltigung in der Ehe gelte zudem nicht als Verbrechen. „Frauen sehen sich auch in den Bereichen Erbe, Scheidung und Sorgerecht für die Kinder Diskriminierung ausgesetzt.“
Nach Angaben des Menschenrechtsrates traf die Berichterstatterin Vertreter der jeweiligen Regierungen und Behörden, aber auch Opfer von Gewalt. Sie suchte Häuser auf, die als Zufluchtsorte für misshandelte Frauen dienen. Israelis und Palästinenser rief sie dazu auf, einen Friedensprozess zu beginnen, an dem Frauen vollständig beteiligt werden. Berichte mit abschließenden Befunden und Empfehlungen will sie im Juni 2017 dem Menschenrechtsrat in Genf präsentieren. (eh)