JERUSALEM (inn) – Die Farbe Blau kommt in der Bibel kein einziges Mal vor. Erwähnt wird da nur „tchelet“ für Himmelblau. Aber „kachol“, das heutige Wort für Blau, existiert nicht. Gleichwohl ist die israelische Flagge ebenso wie ein traditioneller jüdischer Gebetsmantel mit zwei blauen Streifen geschmückt – und mit einem blauen Davidstern dazwischen. Für das Jerusalemer Bibelland-Museum waren die blauen Streifen der Staatsflagge der Anlass, zum 70-jährigen Bestehen des Staates der Geschichte der Farbe Blau nachzugehen.
Vor Jahrtausenden gab es Schmuck in blauer Farbe nur aus Lapislazuli. Diese Halbedelsteine wurden in Afghanistan gefunden und von dort nach Mesopotamien und Ägypten exportiert. Damals bestand der Wunsch, auch Kleidung blau oder purpurn zu färben, und Tontöpfe blau zu bemalen. Wegen der Farbe des Himmels, wo gemäß dem Glauben mancher alter Völker die Götter residierten, war den Israeliten gar befohlen, Geräte und Mauern des Jerusalemer Tempels mit blauen Tüchern zu bedecken.
Die Farbe war so selten, dass sie wegen horrender Herstellungskosten zu einem Statussymbol geworden war. Jahrhundertelang war die biblische Methode, blaue Farbe für das Färben herzustellen, in Vergessenheit geraten. In der Ausstellung wird eine einzigartige Krone des persischen Königs Darius I. gezeigt. Auch rund 2.000 Jahre alte blaugefärbte Stoffe aus Wüstenhöhlen bei Massada und der Judäischen Wüste sind zu sehen.
Lukrative Industrie der Antike
Für die modernen Forscher entstand die Herausforderung, das Geheimnis dieser Blaufärbung im Altertum zu erkunden. Es stellte sich heraus, dass vor 2.000 Jahren die blaue Farbe aus einer winzigen Drüse der Herkuleskeule gewonnen wurde, auch Murexschnecke genannt. Die war im östlichen Mittelmeer sehr verbreitet, also vor der Küste Phöniziens und des heutigen Israel. Fischer züchteten sie in Meerwasser-gefüllten Becken nahe dem Strand. Um den Grundstoff für das Färben zu extrahieren, wurden die Muscheln mit den kleinen Hörnchen entweder „gemolken“ und zurück ins Wasser geworfen, oder sie wurden aufgebrochen, um den Inhalt aufzuessen. So entstand eine äußerst lukrative Industrie, zumal die Nachfrage nach blauer Kleidung wegen des Statussymbols vor allem im alten Rom sehr groß war.
Das Extrakt aus den Murex-Muscheln wurde erst getrocknet und dann in winzigen Mengen mit heißem Wasser vermengt. Weitere Chemikalien wurden dazugegeben, bis sich das Gemisch gelb verfärbte. Bei einer Vorführung des Verfahrens im Bibelland-Museum stopfte ein Rabbiner Wollfäden in das Reagenzglas. Sowie das Bündel gelbe Farbe angenommen hatte, holte er es heraus und hielt es einige Minuten in die Sonne. Dank der UV-Strahlen verfärbte sich daraufhin der Wattebausch in ein Lila-Blau.
Weil für ein einziges Gewand Tausende Murex-Muscheln gemolken oder aufgebrochen werden müssen, handelte es sich um eine äußerst lukrative Industrie, die den Römern schließlich ein Dorn im Auge war. Im 4. Jahrhundert wurde das Tragen blauer Gewänder verboten und sogar unter Todesstrafe gestellt. Das hat diesem Industriezweig den Garaus gemacht. Und damit ging dann auch das strenggehütete Geheimnis um das komplizierte Herstellungsverfahren verloren. Erst 1982 gelang es jüdischen Forschern auf der Suche nach dem legendären Blau der Gebetsmäntel und der heutigen Nationalflagge, das antike Herstellungsverfahren mitsamt der Drüse der „Herkuleskeule“ und dem Trocknen in der Sonne zu rekonstruieren.
Von: Ulrich W. Sahm