Die Forscher haben berechnet, dass die israelische Raumsonde „BeReschit“ (Im Anfang) am heutigen Donnerstag zwischen 21 bis 22 Uhr ihr Landemanöver auf dem Mond startet. Dazu gibt es einen Live-Stream auf YouTube. Im Israelnetz-Interview kommentiert das Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Hansjörg Dittus, das Projekt und spricht über Zusammenarbeiten zwischen Deutschland und Israel bei der Raumfahrt.
Israelnetz: Können Sie den Plan hinter der israelischen Weltraumsonde „BeReschit“, die am Donnerstag auf dem Mond landen soll, erläutern?
Hansjörg Dittus: Das ist eine Mission, die mit relativ bescheidenen Mitteln zu Stande kam. Bescheiden heißt in diesem Fall rund 100 Millionen Dollar. Man hat eine eigentlich nicht für solche Flüge geeignete Rakete, eine Falcon 9 von der amerikanischen Firma SpaceX, verwendet. Die israelische Sonde wurde in einen elliptischen Orbit gebracht, der durch dauernde Umkreisungen der Erde die Schwerkraft nutzte, um weiter nach oben zu kommen. Nach sechs Wochen kam die Sonde im Gravitationsfeld des Mondes an. Die Wissenschaftler bremsten dafür die Sonde und schwenkten ein. Das war nochmal ein ziemlich kritisches Manöver.
Was erwarten Sie sich von der Landung?
Die Landung wird klassisch wie schon zu Zeiten der Apollo-Mission passieren: Die Sonde wird absteigen und mit Landetriebwerken so verzögern, dass sie relativ weich auf der Mondoberfläche aufsetzt. Sie wird dort einige Tage „überleben“ können und dann wahrscheinlich den Hitzetod „sterben“.
Was halten Sie von dem Projekt?
Das ist eine hochspannende Geschichte, weil das nicht jeder jeden Tag macht. Für uns ist das natürlich auch spannend zu verfolgen. Das ist schon eine sehr bedeutende Mission. Israel wäre dann die vierte Nation, die sich in die Riege von Ländern einreiht, die eine weiche Landung auf dem Mond hinbekommen haben. Eingeflogen sind schon viele, aber die weiche Landung haben noch nicht so viele geschafft. Wenn es gelingt, kann man sicher aufrichtig gratulieren.
Die Raumsonde ist nach dem ersten Buch Mose benannt worden. Ist das eine Namensgebung, die auch bei einem ähnlichen Projekt in Deutschland möglich wäre?
Wahrscheinlich nicht. Raumfahrt-Namen sind häufig politisch gewählt. Aber warum nicht. Das ist doch nett. Irgendwie dienen solche Missionen auch immer dafür, unsere Genesis naturwissenschaftlich zu verstehen.
Das Mondlandeprojekt der Israelis geht auf einen internationalen Wettbewerb von Google zurück, bei dem ein Preisgeld ausgeschrieben war. Alle Firmen scheiterten. Aber beim israelischen Projekt gab es dann finanzielle Unterstützung durch einen Milliardär aus Südafrika. Ist das ein gewöhnlicher Weg in der Raumfahrt?
Der Weg ist völlig ungewöhnlich und unterstreicht die Besonderheit dieses Projekts. Das ist das erste Mal, dass das überhaupt der Fall ist. Es kommt noch dazu, dass das eine so umfangreiche Finanzierung ohne jeglichen kommerziellen Hintergrund ist.
Wie haben es die Israelis geschafft, ihre Mondmission im Vergleich zu früheren Projekten anderer Nationen so günstig zu finanzieren?
Es gab von vornherein nicht den Anspruch, eine sehr wissenschaftliche Mission umzusetzen. Die Sonde enthält kaum wissenschaftliches Gerät. Es ist eine reine kleine Technologie-Demonstration. So war es auch geplant im Wettbewerb von Google. Der Wettbewerb hatte zum Ziel, dass eine Firma 20 Millionen Dollar hätte gewinnen können, die es privatwirtschaftlich finanziert schafft, auf dem Mond zu landen und eine Strecke von 500 Metern zurückzulegen. Die Idee der israelischen Sonde war also, dort zu landen und die Distanz mit einem kleinen Raketentriebwerk zu überwinden. Als das niemand innerhalb der vorgegebenen Zeit schaffte, wurde das Projekt trotzdem weiter finanziert.
Es ging dann um eine Reduzierung auf das Wesentliche?
Ja, die Wissenschaftler verzichteten auf den Fortbewegungsaspekt des Vehikels. Es wurde überall da herunterskaliert, wo es hohe Kosten gab. Das hat das israelische Team schon dadurch gemacht, dass die Sonde sieben Wochen unterwegs ist. Bei einer wissenschaftlichen Zielsetzung würde man das nicht unbedingt so machen – vor allem nicht, wenn Menschen auf den Mond fliegen. Die Israelis gingen überall dort, wo man sparen konnte, Risiken ein. So kamen sie auf einen annehmbaren Preis. Die wissenschaftlichen Geräte an Bord sind die eigentlichen Kostentreiber bei solch einer Mission.
Erwarten Sie sich trotzdem wissenschaftliche Erkenntnisse?
Es ist ein Magnetometer an Bord. Das muss eine sehr hohe Auflösung haben, weil der Mond ein sehr schwaches Magnetfeld hat. Magnetische Feldmessungen sind dort nicht so einfach. Aber wenn man die machen könnte, dann wäre das durchaus ein interessantes Ergebnis. Es sind auch kleine Laserreflektoren an Bord. Das heißt: Sie können die Sonde vom Boden aus mit Laserlicht anblitzen. So können sie Abstandsmessungen zwischen der Erde und dem Mond vornehmen. Das hat man schon zu Apollo-Zeiten eingeführt. Das sind dieselben Reflektoren. So können die Wissenschaftler einen direkten Nachweis für die Anwesenheit der Sonde auf dem Mond führen. Das ist mehr eine Spielerei. Aber die Sonde ist auch nicht primär gebaut worden, um eine wissenschaftliche Mission auf dem Mond durchzuführen.
Sehen Sie einen gewissen Vorbildcharakter des Projekts für andere Nationen?
Sicher, das wird jetzt Nachahmer finden. Es wird Länder geben, die sagen: Das machen wir noch einfacher, billiger und besser. Es ist ein Weg, den man gehen kann, wenn man Technologien ausprobieren will. Wir würden es wahrscheinlich anders machen. Wir sagen: Wir haben ein Wissenschaftsziel. Nur zu landen, wäre für eine so große Organisation wie die unserige wohl etwas zu wenig. Jede Raumfahrtagentur würde sagen, das man das mit Steuergeld nicht machen kann.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) war auch zum Teil an der israelischen Mondmission beteiligt. Worin lag die Kooperation?
Wir sind nur am Rande beteiligt. Aber immerhin sind die Tests dieser Landesonde in unserem Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen an der dortigen Landeversuchsanlage durchgeführt worden. Wenn die Sonde auf dem Mond landet, besitzt sie Federbeine. Diese muss man ausprobieren. Unsere Anlage ermöglicht die Simulation des Mondgravitationsfeldes.
Wie funktioniert das?
Die Sonde hängt bei der Simulation an einem Haken und wird von einer Robotervorrichtung so geführt, als würde sie auf dem Mond frei fallen. Sie fällt also etwas langsamer als auf der Erde, weil die Schwerkraft auf dem Mond nur ungefähr ein Sechstel beträgt. Auch unsere Empfangsstation in Weilheim ist in das Netzwerk mit den Israelis eingebunden. Wir helfen gerne aus.
Wie groß würden Sie den Prestigeerfolg bewerten, wenn Israel als erst vierte Nation der Welt eine weiche Landung auf dem Mond gelänge?
Wir haben das in Europa bisher nicht geschafft. Insofern ist das schon eine bedeutende Raumfahrtmission. Man fängt immer klein an und beginnt sich zu steigern. Die ganze israelische Mission ist ein Experiment. Der Wert liegt in der Tatsache, dass man es überhaupt so probiert hat.
Israel schickt mit der Sonde unter anderen seine Unabhängigkeitserklärung, Hymne und Flagge auf den Mond. An Bord hat sie auch eine digitale Ausgabe der Hebräischen Bibel. Sind diese nationalen Heiligtümer vergleichbar mit Utensilien früherer Mondmissionen?
Natürlich. Es stehen amerikanische Flaggen auf dem Mond. Die sind auch fast ein Heiligtum. Wenn man versuchen würde, die auf die Erde zurückzubringen, gäbe es Ärger. Das sind Symbole, die man bei solchen Missionen sicher einsetzen muss. Das gehört dazu, dass sich Gesellschaften dort für die Ewigkeit repräsentieren. Wir haben ähnliche Symboliken bei den Voyager-Sonden betrieben, die Datenplatten an Bord hatten. Die könnten dann fremden Kulturen, wenn sie dort in ein paar Millionen Jahren ankommen, zeigen, was wir können. Für mich persönlich ist die Symbolik nicht sehr wichtig, aber für viele ist sie das.
Sehen Sie die israelische Mission als Teil eines weltweiten Trends, dass sich die Menschen und vor allem die Staaten wieder vermehrt für Weltraummissionen interessieren?
Ja, sicher. Am 26. März gab es die Äußerung des amerikanischen Vize-Präsidenten Mike Pence, der die NASA aufgefordert hat, in fünf Jahren wieder auf dem Mond zu sein – und zwar mit Menschen. Es werden jetzt viele technologische Anstrengungen unternommen – weit über das hinaus, was sich bisher in dieser Richtung getan hat. Das wird wieder ein Ziel werden, auf das sich die Menschheit verstärkt konzentriert. Natürlich passiert das auch unter einem bestimmten Wettbewerbscharakter. Das wird zwar immer abgestritten, aber es ist so.
Wettbewerb ist das eine. Aber gibt es von Ihrer Seite auch weitere Zusammenarbeiten mit Israel?
Wir unterhalten viele Kontakte nach Israel. Wir haben aber auch viele Kontakte zu israelischen Universitäten und Institutionen, die über das ganze Land verteilt sind. Die Beziehung zur israelischen Raumfahrtagentur ist sehr eng. Wir sind an verschiedenen Projekten gemeinsam beteiligt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt demnächst den Erstflug der Orion, der neuen astronautisch bemannten Raumkapsel der NASA. Dabei werden zwei Puppen – eine deutsche und eine israelische – mitfliegen, von denen eine eine Weste trägt, die in Israel entwickelt worden ist. Bei dem gemeinsamen Projekt MARE vom DLR und der Israelischen Raumfahrtagentur soll die Strahlenbelastung auf Astronauten gemessen werden. Und es wird untersucht, inwieweit die Reduktion der Strahlenbelastung durch solch eine Weste möglich ist. Auf dem Mond haben Sie eine tausendfach stärkere Strahlenbelastung als auf der Erde: Ein Monat Mondflug ohne Schutz entspricht dabei ungefähr einem Leben auf der Erde.
Planen Sie weitere Kooperationen?
Ich würde mich freuen, wenn wir die Kooperationen noch ein bisschen ausbauen könnten. Da sind wir dran mit den israelischen Kollegen. Momentan konzentriert sich vieles auf das Thema Mond. Aber ich würde mich freuen, wenn sich ein Land wie Israel langfristig auch an Themen wie die Internationale Raumstation wagt. Die Menschen, die auf dem Mond landen wollen, müssen auf die Flüge vorbereitet werden. Bei der Internationalen Raumstation ist jede Unterstützung wertvoll.
Waren Sie selbst schon einmal in Israel?
Ich bin ab und zu in Israel. Beim letzten Besuch war ich auf dem Berg Hermon, der höchsten Erhebung Israels. Wir nahmen dort an einer Besichtigung einer kleinen Forschungsstation teil, die sich um hochenergetische Partikelstrahlen aus dem Weltraum kümmert. Wir haben auch ein Projekt mit der Universität in Tel Aviv begonnen. Wir haben viele solche Forschungsprojekte, die übrigens auch von beiden Regierungen gut gefördert werden.
Und privat?
Ich habe keine privaten Verbindungen nach Israel, bin dort auch noch nie im Urlaub gewesen. Aber ich habe mir vorgenommen, das mal zu machen. Das ist schon ein sehr interessantes Land. Städte wie Jerusalem oder Tel Aviv faszinieren mich schon sehr. Dort lebt viel Geschichte. Aber es ist auch eine gute Verbindung zwischen geschichtsträchtigen Bereichen und hochmoderner Technologie.
Was kann das DLR von Israel lernen?
Wir lernen immer voneinander. Für uns ist immer wichtig, wie so ein Betrieb läuft. Das israelische Projekt verfolgen wir eng. Dann versuchen wir die Fehler zu vermeiden, die vermeintlich gemacht wurden. Und wir werden natürlich das übernehmen, was gut gelaufen ist. Mich hat beeindruckt, mit welch einfachen Mitteln die Israelis diese Mission machen konnten, wenn man nur gründlich genug nachdenkt.
Und andersherum?
Was wir beitragen können, ist natürlich unser Know-How, das groß ist, weil wir viel mehr Leute im Bereich Raumfahrt haben. Auf Anfrage bringen wir gerne unsere Erfahrungen ein. Aber die israelische Raumfahrt ist auch sehr gut aufgestellt. Es gibt viele gute Firmen in Israel, die Raumfahrt-Komponenten für den Weltmarkt produzieren.
Was sind das für Komponenten?
Es gibt in Israel natürlich starke Bestrebungen im Bereich militärische Raumfahrt. Das machen alle Nationen, die Raumfahrt betreiben, die Forschung auch für militärische Zwecke einzusetzen. Da gibt es eine militärische und zivile Doppelnutzung.
Wie beurteilen Sie die Auswirkung, die der Tod des israelischen Astronauten Ilan Ramon im Jahr 2003, beim Auseinanderbrechen der Raumfähre Columbia, auf die israelische Raumfahrt hatte?
Das hat damals eine große Erschütterung ausgelöst. Wenn Menschen auf so tragische Weise bei Raumflügen ums Leben kommen, sind das doch auch Helden. Das hat viel Eindruck bei den Menschen hinterlassen – aber nicht nur negativ. In solch einer Situation wird einem immer wieder bewusst, dass wir das, was wir da mit den Menschen im Weltraum machen, auch gefährlich ist. Vieles, was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, ist im Grunde genommen sehr riskant. Auch bei uns hat das Spuren hinterlassen. Das hat jeden damals getroffen, der das im Fernsehen miterlebt hat, der weiß noch heute, was er an dem Tag gemacht hat. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich die Fernsehbilder gesehen habe.
Da könnte die kommende Mondlandung der Israelis einen schönen Kontrapunkt in der kollektiven Erinnerung setzen. Werden Sie die Landung live im Fernsehen oder Internet anschauen?
Ich werde versuchen, mir im Internet einen Live-Stream anzusehen. Ich habe mir noch nicht genau angeschaut, wann die Landung ist. Aber ich werde es sicher verfolgen. Das interessiert uns sehr.
Der südafrikanische Milliardär Morris Kahn hat für seine finanzielle Unterstützung der Raumsonde „BeReschit“ angegeben, dass es ihm vor allem darum gehe, junge Israelis zu inspirieren und ihnen zu zeigen, dass alles möglich ist. Wie wichtig sind solche Projekte für eine Gesellschaft?
Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Raumfahrt. Raumfahrt ist zwar ein Technikgebiet, das viel Nutzen stiftet. Sie können sich heute einen normalen Arbeitstag auf der Erde nicht mehr ohne Satelliten vorstellen, was vielen Menschen aber gar nicht so bewusst ist. Satelliten steuern weitgehend unser Leben in vielen Bereichen wie Kommunikation und Navigation. Neben dieser großen Komponente gibt es aber auch die kleine Komponente, wo Technik für Projekte wie den Mondflug entwickelt werden kann. Das ist ein Technikbereich, in dem man noch ein wenig träumt.
Das kann sehr reizvoll sein.
Das lockt viele junge Menschen an, weil sie auch neue Ideen einbringen können. Sie müssen hier Dinge tun, die noch nie jemand vor ihnen getan hat. Das ist hochattraktiv. Für mich als junger Mensch war das attraktiv. Da konnte ich mich kreativ einbringen. Ich wurde nicht gegängelt, dass gleich Profit daraus zu entstehen hat.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Michael Müller