Die Bundeslade ist zweifellos die bedeutendste Reliquie der Menschheitsgeschichte. Es handelt sich um jene Truhe, in die Moses die auf dem Sinai empfangenen Steintafeln mit den Zehn Geboten gelegt hatte. Das Volk Israel trug sie mit sich vom Sinai bis ins Heilige Land. König David holte sie aus Kiriat Jearim ab, wo sie sich zwischendurch befand. Er brachte sie nach Jerusalem, wo sie dann etwa 1.000 Jahre lang im „Allerheiligsten“ des von König Salomon errichteten Tempels stand. Im Jahr 70 zerstörten die Römer Jerusalem und plünderten den Tempel.
Heute behaupten manche Wissenschaftler, dass die Bundeslade irgendwo im Untergrund des Tempelberges versteckt liege. Auf dem römischen Titusbogen ist sie abgebildet als Trophäe bei einer Siegesparade durch Rom. Dann sei sie im Vatikan aufbewahrt worden, bis der geplündert und die Bundeslade nach Karthago in Nordafrika gebracht worden sei. Niemand weiß Genaues. Auch die biblischen Geschichten rund um die Bundeslade lassen sich nicht wirklich nachprüfen.
Umso amüsanter ist die Tatsache, dass ausgerechnet der Tel Aviver Archäologie-Professor Israel Finkelstein als Co-Direktor einer wissenschaftlichen Ausgrabung in Kiriat Jearim eingesetzt wurde, um eine massive künstliche Plattform aus dem 8. Jahrhundert vor Christus zu erforschen, auf der angeblich die Bundeslade gestanden habe.
Archäologie-Professor bezweifelt Existenz von Bundeslade
Finkelstein ist bekannt als notorischer Zweifler und erbarmungsloser Kritiker seiner Archäologen-Kollegen, wenn sie massive Bauten aus biblischer Zeit finden und dann erklären, dass es sich um einen schon in der Bibel erwähnten Palast des Königs David in Jerusalem handeln könnte. Jetzt hat Finkelstein behauptet, dass er nicht daran glaube, dass jene berühmte und oft in der Bibel erwähnte Bundeslade überhaupt existiert habe.
Neben einem katholischen Kloster in Zentralisrael könnte das entdeckte monumentale Podium dennoch in biblischer Zeit als Schrein für die Bundeslade gedient haben. Der arabische Name des Ortes, Deir el-Asar, erinnere an den biblischen Elasar, der zum Wächter der Bundeslade bestellt worden war. Überreste eines erhöhten Podiums wurden auf einem jüdischen Hügel freigelegt, der lange Zeit mit dem Standort des biblischen Kiriath-Jearim verbunden worden war. Die gemeinsame Expedition der Universität Tel Aviv und des College de France ist jedoch nicht der Bundeslade auf der Spur. Vielmehr sucht sie nach physischen Beweisen für die geopolitische Situation in der Grenzstadt zwischen den beiden monotheistischen Königreichen Judäa und Israel vor fast drei Jahrtausenden.
Die große, erhöhte Plattform, glaubt Finkelstein, wurde vom nördlichen Königreich als Schrein für die biblische Bundeslade errichtet. Laut Thomas Römer, einem international bekannten Experten für die hebräische Bibel, dienten die biblischen Geschichten um die Bundeslade pragmatisch politischen Zwecken. „Der Kern der ursprünglichen Erzählung war es, Kiriath-Jearim als neues Heiligtum des Schreins nach der Zerstörung oder Aufgabe von Schilo zu legitimieren“, schrieb Römer in einer E-Mail an die Onlinezeitung „The Times of Israel“.
Bis zur jüngsten bahnbrechenden Entdeckung der riesigen, von Menschenhand geschaffenen Plattform hatten frühere Ausgrabungen keine signifikanten Funde oder Bauten zum Vorschein gebracht. Das erhöhte rechteckige Podium könne auf eine Größe von etwa 110 bis 150 Metern und einer Fläche von circa 1,65 Hektar rekonstruiert werden. Es wurde mit typisch eisenzeitlichen Mauern von drei Metern Breite und zwei Metern Höhe errichtet und ist genau nach Nord-Süd und Ost-West ausgerichtet. Das sei eine Kuriosität im Königreich Juda gewesen, das laut Bibel über Kiriath-Jearim regierte.
Die Analyse der bisher freigelegten Artefakte lässt wenig Zweifel daran aufkommen, dass dies die biblische Ortschaft Kiriath-Jearim ist. Der Name wird in mehreren Büchern der hebräischen Bibel erwähnt, darunter eine detaillierte Geschichte in den I. Chroniken 13,5–8, in der König David die Lade jubelnd nach Jerusalem transportiert.
Das moderne Kiriat Jearim grenzt an Abu Gosch, ein israelisch-arabisches Dorf, das für seine Hummuslokale bekannt ist. Es ist nahe der Autobahn Tel Aviv-Jerusalem strategisch günstig auf einem Hügel gelegen, auf dem sich das französische Kloster befindet. Der Blick reicht bis nach Tel Aviv und zum Mittelmeer.
Bayerische Luftaufnahmen sollen helfen
Um den erfolgversprechendsten Grabungspunkt zwischen den Gebäuden des Geländes zu finden, konsultierte das Team sowohl bayerische Luftbildaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg als auch modernes Luftbildmaterial und erstellte ein Hightech-Orthofoto mit Drohne und digitalem Höhenmodell.
Während das Team unzählige Artefakte ausgegraben hat, war die Entdeckung der Mauern der eisenzeitlichen Plattform eindeutig der größte Erfolg. Die Töpferscherben in der Nähe der Mauer stammen aus der Eisenzeit IIB (900–700 vor Christus), sagten die Archäologen. Der Zeitpunkt des Baus könnte auch auf das nördliche Königreich hinweisen: „Eine erhöhte Plattform in Kiriath-Jearim hätte von Israel nach der Unterwerfung Judas durch Joasch gebaut werden können“, wie in 2. Könige 14,11–13 erwähnt.
Eine Plattform, um sie alle zu beherrschen
Die zweite Grabungssaison beginnt im August 2019 mit einem ebenso großen Team von Fachleuten und Freiwilligen. „Auch diesmal wollen wir den Schwerpunkt auf die großen Wände legen, die die erhöhte Plattform tragen“, sagt Finkelstein. Finkelsteins Co-Direktor bei der Grabung, Römer, erwog: „Die Erzählung wurde in die Bibel aufgenommen, weil sie in ihrer jetzigen Form Jerusalem als das einzige ,offizielle‘ Heiligtum von YHWH legitimiert, da David nach der biblischen Erzählung die Bundeslade von Kiriath-Jearim dorthin brachte.“
Die große Plattform in Kiriath-Jearim sei multifunktional gewesen – sowohl als Schrein als auch als Herrschaftszentrum, sagten die Ausgräber. Finkelstein glaubt, dass die Geschichte der Bundeslade „der Ideologie des Nordreichs in der Zeit Jerobeams II. und den tatsächlichen territorialen Bedürfnissen entsprach, die sich aus der Herrschaft über Juda ergaben“. Es dürfte damit die erste Ausgrabung der Geschichte sein, bei der Beweise für die Existenz einer 3.000 Jahre alten „Ideologie“ gesucht werden.
von: Ulrich W. Sahm