Israelnetz: Frau Dr. Johannsen, in Ihrer täglichen Arbeit forschen Sie über Prozesse, die bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu Konfliktlösungen führen. Wie kommt es dazu, dass es Ihrer Ansicht nach seit der Staatsgründung 1948 aus Sicht der Friedensforschung keine israelischen Friedensstifter gab?
Margret Johannsen: Es gab bislang keine Stifter eines friedensförderlichen Prozesses. Auch das Oslo-Abkommen von Jitzchak Rabin, Schimon Peres und Jasser Arafat war kein friedensträchtiger Prozess. Die Vorstellungen von Rabin und Arafat über eine Lösung des Konflikts gingen zu weit auseinander. Der Oslo-Vertrag hat – so wie er formuliert ist – keine Brücken geschlagen, sondern so viel offen gelassen, dass selbst hier nicht von Friedensstiftung die Rede sein kann.
An dieser Stelle könnte unser Interview zu Ende sein. Wo sehen Sie dennoch Konzepte, die zu einem dauerhaften Frieden führen können?
Ich würde in der Vorgeschichte der Gründung des Staates Israels besonders einen prominenten Namen nennen wollen: Martin Buber. Er hatte die Vision von einer friedlichen Koexistenz in einer föderalen Staatlichkeit, also ein Gemeinwesen von Juden und Arabern im heutigen Israel. Beide Völker haben enge Bindungen an dieses Land, die sie nicht aufgeben können. Wenn man das akzeptiert, kann ein Anspruch auf das ganze Land, das den anderen ausschließt, nicht zum Frieden führen. Sondern dann muss man sich das Land im Sinne eines föderalen Staats teilen.
Schon die Zweistaatlichkeit scheiterte bislang an der Zerrissenheit beider Bevölkerungsgruppen in dieser Frage. Wie kann dann eine föderale Einstaatlichkeit denkbar sein?
Ich halte das für das einzige Modell, das zum Frieden führt. Die Ansprüche auf das Land schließen sich zum Teil aus. Es ist immer möglich beispielsweise auf dem Tempelberg (Har HaBait beziehungsweise Haram al-Scharif) die Zugänge so zu gestalten, dass die Reibungsfläche abnimmt. Hier waltet eine praktische Vernunft. Das Problem ist, dass die Ansprüche auf Alleinigkeit bestehen bleiben; zwar nicht von allen, aber doch von wirkmächtigen Akteuren und Gruppierungen. Sie stellen die Berechtigung der Ansprüche der anderen Seite wiederkehrend in Frage.
Gibt es weitere namhafte Befürworter einer solchen Einstaatenlösung?
Eine zweite Person, die ich hier nennen würde, ist Hannah Arendt. Auch sie träumte von einem föderalen Staat für Araber und Juden. Interessanterweise hielt sie das alleinige Zusammenleben von Juden und Arabern für nicht zukünftsträchtig. Sie bezog daher weitere Staaten in eine Mittelmeerunion mit ein. Sie wollte diese Bipolarität vermeiden. Das ist ein kluger Gedanke! Es ist nie dazu gekommen, aber Hannah Arendt und Martin Buber hatten beide ein friedliches Zusammenleben beider Völker vor Augen.
Wodurch kam es aus Ihrer Sicht weder zur Zweistaaten- noch zur Einstaatenlösung?
Zum Teil waltet noch immer der Anspruch: „Wir waren hier zuerst!“. Doch dieser Satz ist ohnehin ein Rezept für Krieg oder Konflikt. „Wir waren zuerst hier!“ ist schlichtweg dumm. Denn in der Menschheitsgeschichte ist Migration ein völlig normaler Vorgang. Es gibt klimatische Veränderungen in der Welt, wirtschaftliche, kriegerische – und Migration ist die Antwort auf diese Veränderungen. Darum tragen die Vorschläge von Hannah Arendt und Martin Buber dieser natürlichen Entwicklung in gewisser Weise Rechnung: Sie bestehen nicht auf dem Erstgeburts- oder Erstwohnrecht. Das scheint mir sehr aufklärerisch.
Welche weiteren Strategien zur Konfliktlösung kennen Sie aus Ihrer Forschungsarbeit am IFSH?
Ein ähnliches Konzept des Miteinanders forcierte Dan Bar On mit seinem Konzept „Storytelling in Conflict“ in den Jahren 2006 bis 2008. Er ließ Kinder von Opfern auf israelischer und palästinensischer Seite erzählen. Seine Hoffnung setzte er auf die aussöhnende Wirkung von wechselseitigem Verständnis durch das Teilen von Erinnerung. Allerdings ist das bisher nur auf der individuellen Ebene gelungen. Der Schritt zur politisch-kollektiven Ebene wäre noch zu gehen. Und die Zweistaatenlösung von IPCRI, der ältesten israelisch-palästinensischen Friedenorganisation, beschreibt eine faire Aufteilung des Landes mit territorialem Tausch, klugem Grenzregime und fairer Aufteilung Jerusalems. In der Realität zeigen sich all diese Konzepte jedoch als machtlos. Sie können weder Zugang zu Entscheidungsträgern noch langfristige Erfolge aufzeigen.
Wie sähe eine föderale Struktur nach Hannah Arendt aus?
Die föderale Struktur, die Hannah Arendt ansprach, kennen wir bereits aus funktionierenden Staaten: Bosnien-Herzegowina, Belgien oder Deutschland selbst. Der deutsche Einheitsstaat mit seiner föderalen Struktur wird laut Grundgesetz Artikel 20 als nicht änderbar dargestellt. Das heißt, wenn es Multinationalitäten gibt, ist eine föderale Struktur eigentlich das beste aller Dinge – besonders wenn ein Staat so klein ist. Das Lernen, miteinander auszukommen, hat auch bereits stattgefunden: 20 Prozent der Israelis sind arabische Israelis. Da gibt es viel zu kritisieren an der sozialpolitischen und infrastrukturellen Realisierung, insgesamt zeigt es sich aber als möglich.
Jedoch scheinen die Wunden, Vorurteile und Ansprüche so tief.
Die jetzigen Verhältnisse der auf Macht basierten israelischen Landnahme hinterlassen im Grunde genommen bei einer Zweistaatenlösung den einen möglichen Staat, nämlich den arabischen, in einer nicht regierbaren und nicht lebensfähigen Form. Aber auch eine Auflösung der jüdischen Besiedlung der Westbank und Wiederansiedlung im Kernstaat wäre im Grunde genommen unmenschlich, unzivilisiert und unbarmherzig. Ich kann nicht sehen, warum ein gemeinsamer Staat für alle nicht möglich sein sollte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Maria Köpf