Seit 2011 untersucht die
Deutsch-Israelische Schulbuchkommission (DISBK) Lehrbücher der Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde aus Deutschland und Israel. Es geht darum, wie die Autoren das jeweils andere Land darstellen. Am Dienstagabend haben die Experten im Auswärtigen Amt in Berlin einen
Zwischenbericht präsentiert.
„Mit wenigen Ausnahmen ist in den untersuchten Schulbüchern in Deutschland das Bemühen um eine objektive und ausgewogene Darstellung Israels erkennbar“, heißt es in einer Mitteilung des „Georg-Eckert-Instituts – Leibniz-Instituts für internationale Schulbuchforschung“. „Die Israeldarstellung in deutschen Schulbüchern erscheint jedoch in den Büchern aller drei Fächer fast ausschließlich im Kontext von Darstellungen des Nahostkonflikts.“
Kritik übe die Kommission unter anderem an der Verwendung von Bildquellen. „Hier wird ein starker Einfluss der Massenmedien und ihrer Bildsprache im Hinblick auf den Nahostkonflikt deutlich. Es werden häufig stark symbolhaltige und emotionalisierende Bilder eingesetzt, die Israel als Aggressor zeigen. Nur wenigen Schulbüchern gelingt es, etwa durch Bildanalyse die Intentionen und Aussagen der Bilder zu hinterfragen.“
Zudem stellt die DISBK fest: „Israel erscheint primär als kriegführender Krisenstaat im Nahen Osten. Die historische Entwicklung der israelischen Gesellschaft, die Errungenschaften des jüdischen Staates auf sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet und die Besonderheit Israels als liberale Demokratie in einem nicht demokratisch geprägten regionalen Umfeld werden in der Regel ausgeblendet.“
Israel: Deutsche Geschichte nach 1945 fehlt
Zu den israelischen Lehrwerken schreibt das „Georg-Eckert-Institut“: „Neben der Darstellung des nationalsozialistischen Deutschland, die im Zusammenhang mit der Behandlung des Holocaust naturgemäß einen großen Anteil in den hierfür vorgesehenen israelischen Lehrwerken beansprucht, gehen israelische Geschichtsschulbücher auf deutsche Geschichte ausführlicher im Kontext mittelalterlicher Geschichte, im Zusammenhang mit der europäischen Aufklärung und vor allem im Hinblick auf die Entstehung nationaler Bewegungen in Europa seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ein. Die Behandlung geschieht hier in der Regel auf sachliche und wissenschaftliche Weise.“
Die Kommission vermisst allerdings eine zusammenhängende Darstellung Deutschlands nach 1945. In Geographie- und Sozialkundebüchern werde die Bundesrepublik Deutschland sporadisch in unterschiedlichsten Kontexten erwähnt, zumeist mit positiver Konnotation. Der Zusammenhang sei etwa der Umweltschutz oder die Entwicklung demokratischer Regierungsformen.
Schulbücher als „Massenmedien“
Simone Lässig ist Direktorin des „Georg-Eckert-Instituts – Leibniz-Instituts für internationale Schulbuchforschung“. Sie schreibt in ihrem Vorwort zu dem Zwischenbericht: „Nach 50 Jahren deutsch-israelischen Miteinanders mögen sich manche fragen, ob wir uns nicht in einem Stadium befinden, in dem eine gemeinsame Schulbuchkommission überflüssig und die Beschäftigung mit verzerrten Bildern des jeweils Anderen – wie sie die Schulbuchrevision klassischerweise kennzeichnet – müßig ist. Doch in der Praxis bi- oder multilateraler Schulbuchprojekte zeigt sich immer wieder, dass es selbst in etablierten Beziehungen sehr nützlich ist, eingeübte Sichtweisen zu hinterfragen und so neben Bekanntem auch manch Überraschendes und Erhellendes zu Tage zu fördern.“
Das zentrale Anliegen der Publikation formuliert die deutsche Professorin so: „Nicht nur die Mitglieder der Kommission, die über mehrere Jahre hinweg mit hohem Engagement gearbeitet haben und sich dabei auch persönlich nahegekommen sind, sondern auch und vor allem künftige Generationen von Israelis und Deutschen sollen die Chance erhalten, fremde Blicke einzuüben, eigene Gewissheiten auf den Prüfstand zu stellen und gemeinsame Deutungen zu erarbeiten. Dabei sollen sie den Sinn für Unterschiede nicht verlieren, sondern ihn eher schärfen und – darauf zielen die folgenden Empfehlungen – den Unterschieden auf den Grund gehen, sie zu erklären und zu verstehen versuchen.“
Lässig weist darauf hin, dass auch Schulbücher Massenmedien seien, „zumindest wenn man ihre weite Verbreitung sowie die Tatsache berücksichtigt, dass kein Lernender diesen staatlich autorisierten Wissensspeichern und Deutungsangeboten – seien sie nun analog oder digital vermittelt – wirklich ‚entgehen‘ kann“. Zugleich aber seien Schulbücher didaktisch strukturiert. „Sie müssen, ja dürfen nicht sensationsheischend und tagesaktuell um Aufmerksamkeit kämpfen, sondern sollen gesichertes, von der Gesellschaft als relevant eingestuftes Wissen vermitteln und dabei vielfältige Kompetenzen entwickeln helfen – nicht zuletzt die Fähigkeit zur sachgerechten Abwägung von Argumenten und Perspektiven.“
Die Direktorin des „Mofet-Instituts für Forschung, Lehrplan- und Programmentwicklung für Lehrerbildner“ in Tel Aviv, Michal Golan, schreibt in ihrem Vorwort: „Israel und Deutschland begehen in diesem Jahr den 50. Jahrestag der Aufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen, und es scheint mir keine bessere Möglichkeit zu geben, dieses Jubiläum zu würdigen, als durch die Mitwirkung an einem Projekt, das sich auf künftige Generationen in beiden Ländern auswirken wird und das Toleranz und gegenseitige Achtung zum Ausdruck bringt.“
Ein facettenreicheres Bild vermitteln
Die DISBK hat mehr als 400 der 1.200 in Deutschland zugelassenen Schulbücher für Geschichte, Geographie und Sozialkunde untersucht. Sie analysierte über 90 Schulbuchkapitel im Hinblick auf die Darstellung Israels. Auf israelischer Seite wurden mehr als 40 von etwa 100 zugelassenen Lehrbüchern im Hinblick auf das Deutschlandbild analysiert.
Als Folge ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse empfiehlt die Kommission deutschen Schulbuchautoren unter anderem, ein facettenreicheres Bild von Israel zu vermitteln. „Geschichtsschulbücher sollten den Nahostkonflikt in historischer Perspektive analysieren und hierfür die für sein Verständnis jeweils relevanten regional- und weltpolitischen Zusammenhänge verdeutlichen.“
Israelischen Verantwortlichen rät das Gremium, „die Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Gestaltung der Erinnerungskultur in Deutschland“ zu behandeln. Ein wichtiges Thema sei zudem die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen.
Das „Georg-Eckert-Institut“ plant nach eigenen Angaben als mögliche Fortsetzung Schulungen für Autoren und Mitarbeiter von Schulbuchverlagen. Vorgesehen sei überdies die Erarbeitung gemeinsamer Unterrichtsmodule durch deutsche und israelische Wissenschaftler und Fachlehrer. Diese sollten „neben ihrem praktischen Nutzen im Unterricht Modellcharakter im Hinblick auf die Israeldarstellung in deutschen Bildungsmedien und auf das Bild Deutschlands in israelischen Schulbüchern haben“.
Die Stellvertretende Vorsitzende des Pädagogischen Sekretariats und Direktorin der Abteilung I für pädagogische Entwicklung im israelischen Erziehungsministerium, Dalia Fenig, merkt in dem Zwischenbericht an: „Vor uns liegt noch ein langer und komplizierter Weg, um die von der Kommission empfohlenen Veränderungen in den Schulbüchern letztlich auch umsetzen zu können. Es wird sich um einen etappenweisen Prozess handeln, eine lange Reise. Wie jede lange Reise wird auch diese aus kleinen Schritten bestehen. Wir glauben, dass uns diese Reise auf den richtigen Weg führen wird. Bei allen Schwierigkeiten, die die einzelnen Stationen kennzeichnen werden, sollten die Schritte gut bemessen sein und mit der notwendigen Sensibilität ausgeführt werden.“
In 30 Jahren keine Änderung
Bereits in den 1980er Jahren hatte eine Kommission deutsche und israelische Schulbücher begutachtet. Die Verfasser des aktuellen Berichtes stellen fest, dass sich seitdem teilweise nichts geändert habe. So habe es 1985 im Befund zum Fach Geschichte geheißen: „Der didaktische Zugriff zur Darstellung Israels in den Lehrbüchern erfolgt durchweg von den internationalen Beziehungen her, d. h. Israel erscheint überwiegend, teilweise ausschließlich als ein Element des Nahost-Konfliktes. Seine politische Ordnung, seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur […] treten stark, teilweise gänzlich in den Hintergrund.“ (eh)