„Kibbuzkind“ ist eine sehr persönliche deutsch-israelische Familien-Geschichte. In Form von Briefen an ihren nur wenige Monate alten Sohn Viktor hat die Journalistin Lisa Welzhofer die Geschichte ihrer Großeltern aufgeschrieben. Viktor soll später einmal verstehen, warum seine Mutter so ist, wie sie ist. Er soll seine Großeltern mütterlicherseits, von denen nur noch der Opa lebt, besser kennenlernen. Die Dinge sind kompliziert: Es geht um Israel und Deutschland, den Krieg, um Schuld und Verzeihen und um die Liebe.
In ihren Briefen berichtet Welzhofer ihrem Sohn immer wieder auch von kleinen Begebenheiten aus seinem Alltag. Es sind kurze, liebevolle Beschreibungen seines Wesens, Erzählungen von Treffen mit Verwandten, vom ersten Urlaub als Familie – Dinge, an die sich der Kleine später nicht mehr erinnern wird. Auch auf ihre eigene Kindheit geht die Autorin stellenweise ein. So schildert sie, wie es sich anfühlte, ohne Vater groß zu werden.
Die Erzählungen fundieren zum einen auf dem Tagebuch ihrer bereits verstorbenen Mutter Barbara, zum anderen auf den Erlebnissen der Autorin. Barbara, vom Geist der 68er beseelt, empfindet das Leben in einer schwäbischen Kleinstadt als spießig. Mit einer Freundin reist sie in den Süden und landet schließlich in Israel. Dort arbeiten die beiden Frauen als Freiwillige in einem Kibbuz. Barbara lässt sich auf eine Beziehung mit einem Israeli ein und wird schwanger. Doch der will lieber die Welt sehen als eine Familie gründen. Von dem Kind möchte er nichts wissen.
Die eigene Geschichte schreiben
Lisa wächst schließlich ohne Vater in der schwäbischen Kleinstadt auf. Über die Zeit in Israel mag ihre Mutter nicht sprechen. Das Thema ist tabu. Doch nach dem Tod der Mutter macht sich Lisa allein auf den Weg nach Israel, um ihren Vater zu finden. Ihre Suche ist erfolgreich. Nun beginnt ein vorsichtiges Kennenlernen: ein Herantasten an die neue Familie, an Israel. Eine Herausforderung sieht Welzhofer darin, ihre eigene Geschichte mit dem Vater zu schreiben – und nicht den Konflikt der Mutter weiter auszufechten.
„Kibbuzkind“ ist eine schöne und leicht zu lesende Geschichte. Sie ist nicht unbedingt spannend oder besonders tiefgründig, aber sehr berührend. Der Leser erhält einen kleinen Einblick in das Kibbutzleben der 70er Jahre. Auch der Nahostkonflikt wird immer wieder angerissen. Sowohl Barbara als auch die Autorin erleben vor Ort Terror und Angriffe mit. Welzhofer kommt schließlich zu der Ansicht, „dass Israel vielleicht einer der wenigen Orte auf der Welt ist, an dem man Pazifist und Befürworter einer starken Armee zugleich sein kann – weil es dieses Land ohne eine starke Armee höchstwahrscheinlich gar nicht mehr gäbe“. Besonders bereichernd ist der im Buch enthaltene Fototeil, mit vielen Bildern der einzelnen Familienmitglieder.
Lisa Welzhofer: „Kibbuzkind. Eine deutsch-israelische Familiengeschichte“, edition chrismon, 160 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-96030-160-0
Von: Dana Nowak