„Der Zoo von Jerusalem ist ein Weltwunder.“ So schwärmt der in Israel lebende russische Schriftsteller Alexander Ilitschewski in seinem Buch „Jerusalem – Stadt der untergehenden Sonne“. Mag sein, dass der Begriff „Weltwunder“ überzogen ist. Doch der Bibelzoo ist tatsächlich ein ganz besonderer Ort, eine Oase des Friedens, geprägt von Koexistenz: Hier erfreuen sich arabische und jüdische Kinder gemeinsam an den Äffchen und toben auf den Spielplätzen.
Ilitschewski fühlt sich durch die malerische Landschaft an einen Naturschutzpark erinnert – zu Recht. „Steilwände und Terrassen aus weißem Gestein; im Grün versunkene, mit Gehegen gespickte Hänge über der Schlucht lassen eine unerschöpfliche Vielfalt von Bewohnern vermuten“, schreibt er in seinem Buch.
Seit Jahren gehört das Kleinod im Südwesten der israelischen Hauptstadt zu den drei am häufigsten besuchten Bezahl-Attraktionen des Landes – neben der Felsenfestung Massada, den heißen Quellen von Hamat Gader und dem Safaripark in Ramat Gan. Mehr als 700.000 Menschen haben 2017 den Biblischen Zoo in Jerusalem besucht. „Das ist wirklich viel, wenn man bedenkt, dass Israels Bevölkerung bei rund acht Millionen Menschen liegt“, freut sich die Pressesprecherin der Einrichtung, Sigalit Herz. Die meisten Gäste seien Einheimische, erzählt die Biologin. Touristen hätten oft nicht die Zeit, den Zoo zu besuchen.
Dabei ist dieser Zoo einzigartig: Nicht nur die besondere Atmosphäre aufgrund der bunt gemischten Besucher und Mitarbeiter macht ihn zu etwas Besonderem. Er ist außerdem weltweit der einzige Bibelzoo.
Alles begann an der Hebräischen Universität
Die Geschichte des Parks nimmt ihren Anfang Ende der 1930er Jahre, noch vor der Gründung des Staates Israel. Damals hatte der Zoologe Aharon Schulov von der Hebräischen Universität Jerusalem die Idee zu einem kleinen Tierpark. Er wollte Menschen sowohl für die Natur als auch für die Hochschule begeistern. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter begann er, kranke und verletzte Tiere auf dem Gelände der Universität aufzunehmen. Die Studenten kümmerten sich um die neuen Mitbewohner, lehrten Besucher über die Tiere und zeigten Interessenten die Hochschule. Die Idee war ein Erfolg. Viele Eltern kamen mit ihren Kindern. Gelegentlich brachten sie verletzte Tiere zur Pflege mit.
Aus diesem Projekt wurde schließlich ein richtiger Zoo. Mehrmals wurde der Park innerhalb Jerusalems verlegt, bis er schließlich an seinem aktuellen Standort im Malha-Tal errichtet wurde. Hier existiert er bereits seit 25 Jahren. Ebenso lange arbeitet Sigalit Herz im Zoo. Sie erklärt, wie die Idee des Bibelzoos entstand. Demnach war es Schulov ein Anliegen, den Menschen durch die Geschichten aus der Bibel die Natur näher zu bringen. „Die Menschen wussten, dass König David einen Löwen und einen Bären getötet hatte, um zu zeigen, dass er seinem Volk ein guter Hirte sein wird. Also sagte sich Schulov, ich bringe den Bären und den Löwen und zeige diese Tieren den Menschen, damit sie durch die Geschichten aus der Bibel mit der Natur in Berührung kommen“, erklärt Herz.
Wenn Wolf und Lamm beieinander wohnen
Als gläubiger Jude kannte Schulov natürlich auch die Verse des Propheten Jesaja aus der Hebräischen Bibel : „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.“ Der Mann nahm die Verheißung wörtlich und steckte Wolf und Schaf zusammen in ein Gehege. Doch die Zeit für diese Wohngemeinschaft war offensichtlich noch nicht reif. „Das Schaf musste leider immer wieder ersetzt werden“, erzählt Sigalit Herz.
Rund 130 Tierarten werden in der Bibel erwähnt. Sie alle wollte Schulov in seinem Zoo versammeln. Kein leichtes Unterfangen – viele der Tiere sind mittlerweile in der Region ausgestorben oder stark bedroht. Zu ihnen gehört unter anderem der asiatische Löwe. Er war bereits zu Zeiten der Kreuzfahrer weitestgehend ausgerottet. Heute leben nur noch im Nordwesten Indiens einige wenige dieser Löwen in Freiheit. Dabei ist der Löwe mit mehr als 120 Mal das am häufigsten erwähnte Tier in der Bibel. Er ist Symbol für den alt-israelitischen Stamm Juda und ist in Erinnerung daran im Wappen der Stadt Jerusalem zu finden.
Bei der Auswahl der Tiere versucht der Zoo, sehr genau zu sein. „Es sollte dieselbe Spezies sein. In der Bibel werden der asiatische Löwe, der syrische Braunbär, das Nilkrokodil erwähnt – alles Tiere, die es in Israels freier Wildbahn nicht mehr gibt. Aber wir haben sie in einer Unterart hier“, erklärt Herz. Doch die Bestimmung der jeweiligen Art sei teilweise problematisch. Die Sprache habe sich im Laufe der Jahrtausende verändert. So seien einige hebräische Bezeichnungen heute nicht mehr zu identifizieren.
Es ist der Geier und nicht der Adler
Doch im Bibelzoo sind nicht nur Tiere zu sehen, die in der Bibel erwähnt werden. Besonderes Augenmerk legen die Betreiber zudem auf den Schutz bedrohter Arten wie des Gänsegeiers. Sprachforscher gehen davon aus, dass in vielen Fällen dieser Vogel gemeint ist, wenn in der Bibel die Rede vom Adler ist.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sprachen Zoologen in der Region noch von einem Himmel voller Adler und Geier. Mittlerweile sind die Gänsegeier jedoch vom Aussterben bedroht. „Einer der Gründe dafür ist, dass sie nur ein Junges pro Jahr haben, ein Ei“, erklärt Herz. Zudem komme es häufig vor, dass das Aas, das sie fressen, vergiftet oder verschmutzt sei. Selbst wenn die Tiere davon nicht immer sterben, so gehe jedoch oftmals ihre Fruchtbarkeit zurück.
Der Jerusalemer Zoo bemüht sich in Zusammenarbeit mit der Naturparkbehörde um den Erhalt der Art. „Wir nehmen einem Vogelpaar im Zoo oder in Freiheit das Ei weg. Die Paare legen dann ein neues Ei. Das entnommene Ei wird im Zoo ausgebrütet. Wenn dann erfolgreich beide Küken aufgezogen werden, kann die Zahl der Junggeier in einem Jahr verdoppelt werden.“ Sobald die Geier geschlüpft sind, werden Adoptivgeier in verschiedenen Zoos für die Jungen gesucht. Findet sich kein Paar, werden die Vögel von Menschen aufgezogen. „Dabei müssen wir alles tun, damit sie nicht erkennen, dass sich Menschen um sie kümmern. Wir benutzen zum Füttern einen Handschuh, der wie ein Geierkopf aussieht. Wir sprechen nicht, wenn wir die Tiere füttern. Manchmal ist ein alter Geier sehr nahe bei ihnen. Er kümmert sich nicht, aber sie können ihn sehen, riechen und hören. So fühlt es sich für das Junge an, als sei es unter Geiern und nicht mit Menschen zusammen.“
Die meisten der im Zoo aufgezogenen Geier werden später in die Freiheit entlassen – in die Judäische Wüste, die Wüste Negev oder in das Karmelgebirge in Nordisrael. Um sie beobachten zu können, sind sie mit Sendern ausgestattet. Damit die Population gestärkt wird, werden außerdem starke und fruchtbare Geier aus Zypern, Armenien und Katalonien nach Israel gebracht.
Erfolgreiche deutsch-israelische Zusammenarbeit
Ein besonderes Projekt ist außerdem die Rettung des Mesopotamischen Damhirsches. Für Sigalit Herz das schönste Beispiel für eine gelungene Wiederansiedlung bedrohter oder in der Region ausgestorbener Arten, „weil das auch Teil der deutschen Geschichte ist“.
„Der Mesopotamische Damhirsch wird in der Bibel als eine wunderschöne Hirschart erwähnt. Er wurde gejagt, um auf dem Speiseteller König Salomos zu landen“, erzählt Sigalit Herz. Die übermäßige Jagd, Wassermangel sowie der Verlust des Lebensraumes führten schließlich dazu, dass die Art zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Region ausstarb. „Doch es gab einen Deutschen, Georg von Opel. Er war verrückt nach Mesopotamischen Damhirschen. Er hatte auf seinem Grundstück einen Zoo und sammelte Hirsche aus der ganzen Welt. Er war sich sicher, dass es im Iran noch Mesopotamische Damhirsche geben müsste. Also hat er eine Delegation geschickt. Sie haben die Hirsche gefunden und einige Tiere nach Deutschland geschickt.“
Die Geschichte ereignete sich in den 1960er Jahren. Damals hatte der Iran noch gute Beziehungen zu Israel. „Es heißt, dass das letzte israelische Flugzeug, das den Iran verlassen hat, in seinem Gepäckraum vier oder fünf Mesopotamische Damhirsche transportierte. Drei oder vier Kühe und ein männliches Tier. Diese sind letztlich die Vorfahren aller Mesopotamischen Hirsche, die wir heute in Israel haben“, sagt Herz. Um mehr genetische Vielfalt zu ermöglichen, schickte Baron von Opel gelegentlich männliche Tiere nach Israel. „Wir hatten einen sehr großen Hirsch, der hier wirklich erfolgreich war und viele Kühe um sich hatte. Er wurde ,Der Kanzler‘ genannt.“
Die Züchtung der Mesopotamischen Damhirsche war so erfolgreich, dass viele Tiere in die Natur ausgewildert werden konnten, unter anderem in die Umgebung von Jerusalem. „Wir machen das sehr langsam. Wir bringen die Tiere in ein eingezäuntes Gebiet und füttern sie am Anfang noch. Dann lassen wir sie ganz frei“, erklärt Herz. Zur Zeit lebten etwa 50 dieser besonderen Hirsche wieder in freier Wildbahn. Der Zoo arbeitet bei diesem erfolgreichen Projekt weiterhin mit dem Opel-Zoo in Kronberg zusammen.
Die Politik bleibt draußen
Neben der Sammlung der in der Bibel genannten Tiere und dem erfolgreichen Artenschutz gibt es noch etwas, das den Zoo besonders macht: Er ist auch ein Beispiel für friedliche Koexistenz. Nicht nur die Besucher sind bunt gemischt, hier arbeiten das ganze Jahr über etwa 60 bis 80 jüdische und arabische Angestellte Seite an Seite. Im Sommer kommen weitere Saisonkräfte hinzu. „Wir sind wie eine kleine Familie“, erzählt Sigalit Herz. „Wir kennen uns sehr gut und ich habe das Gefühl, auf einer isolierten Insel zu leben. Wir machen gemeinsam unsere Arbeit. Die meisten Mitarbeiter lieben die Tiere und den Zoo. Sie fühlen sich mit diesem Ort verbunden. Und deshalb lassen wir die Politik sozusagen draußen.“
Größte Herausforderung: „Das Überleben“
Auf die Frage nach der größten Herausforderung für den Zoo sagt Sigalit Herz ohne Zögern: „Das Überleben.“ Die Einrichtung erhalte weder von der Stadt Jerusalem noch vom Staat Unterstützung. Selten gibt es eine Spende vom Tourismusministerium für ein spezielles Projekt. Die meisten Spenden stammten von Privatpersonen oder dem Jerusalemer Verein „Freunde des Zoos“.
Grundsätzlich funktioniere der Zoo wie eine Nichtregierungsorganisation. Er lebe vor allem von den Eintrittsgeldern. Gefährlich werde es, wenn die Besucherzahlen zurückgehen. Etwa wenn die Menschen aus anderen Teilen Israels aufgrund der Sicherheitslage Angst haben, nach Jerusalem zu kommen. Oder wenn die Temperaturen im Sommer zu hoch klettern und dann an einem Ferientag nur 1.000 statt der nötigen 6.000 Besucher kommen.
Eine jüdisches Gebot hilft beim Überleben
Allen Zoos in Israel kommt allerdings eine besondere Tradition aus dem Judentum zugute, die beim Überleben hilft: Die Bauern spenden den zehnten Teil ihrer Ernte, der dann an die Tiere verfüttert werden kann. Die Spende geht auf die Zeit der Jerusalemer Tempel zurück. Damals brachten Juden einmal im Jahr den zehnten Teil ihrer Ernte in den Tempel. Von diesen Gaben lebten die Priester, die keiner bezahlten Arbeit nachgehen durften.
Bis heute muss der zehnte Teil zur Seite gelegt werden und darf von Menschen nicht gegessen werden. Also spenden die Landwirte das Obst und Gemüse an die Zoos. „Das ist das Gute daran, ein jüdischer Zoo zu sein“, meint Herz lachend.
Schützen, was von der Natur übrig ist
Als weitere Herausforderung sieht die Biologin die Vermittlung von Werten wie Umweltschutz. Doch das gestalte sich eher schwierig. „Die Menschen kommen hierher, um Spaß zu haben, nicht, um eine Lehrstunde zu erhalten. Wir müssen Wege finden, den Spaß und Erholungsbedarf mit der Wertevermittlung zu verbinden.“ Mit dem Thema befasst sich im Zoo eine eigene Abteilung. Sie organisiert unter anderem Führungen und Seminare für Schulklassen. „Die Menschen müssen lernen, wie wichtig es ist, das von der Natur zu schützen, was noch übrig ist – keine Plastiktüten zu verwenden, Wasser nicht zu verschmutzen, zu recyceln“, erzählt Herz. Dabei geht die Abteilung ganz individuell auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein: Es gibt eine Abteilung für Araber und eine für ultra-orthodoxe Juden. „Manchmal ist es derselbe Führer, aber man muss sich auf die jeweiligen Gruppen einstellen und sich anpassen“, erklärt die Biologin.
Neben den Bildungsprogrammen bietet der Zoo außerdem ein besonderes Therapieprogramm für Kinder mit speziellen Bedürfnissen an: Die Teilnehmer leiden unter anderem unter körperlichen oder kognitiven Herausforderungen, Autismus, Verhaltensstörungen oder haben psychische Probleme. Im Rahmen der Therapie bauen die Kinder ein Vertrauensverhältnis zu den Tieren auf und lernen, verantwortungsbewusst zu handeln. Körperlicher Kontakt mit den Tieren erfüllt das Bedürfnis nach persönlicher Verbindung, die in familiären Situationen nicht immer vorhanden ist.
Ob als Begegnungs- oder Bildungsstätte, Zentrum für Therapie oder Artenschutz – der Bibelzoo ist ein Ort mit besonderer Atmosphäre. Der frühere langjährige Bürgermeister der Hauptstadt, Teddy Kollek, hat den Zoo geliebt. Regelmäßig unternahm er Spaziergänge und feierte hier seinen 90. Geburtstag. Er sagte einmal über die Einrichtung: „In einer komplizierten Stadt, mit einer komplexen Gesellschaft, ist der Zoo von Jerusalem ein sehr kraftvolles Mittel, um Brücken des menschlichen Verständnisses zu bauen.“
Von: Dana Nowak