Nach einer skurrilen Debatte um das Für und Wider der Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ zeigt „Das Erste“ den Film am Mittwoch um 22.15 Uhr. Im Anschluss folgt eine Diskussion bei Sandra Maischberger. Es ist gut, dass der Film der Autoren Joachim Schroeder und Sophie Hafner nach der Veröffentlichung auf „Bild.de“ nun auch im Fernsehen läuft. Es geht nicht nur darum, dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Vor allem ist eine Dokumentation dieser Art schlicht überfällig – auch und gerade wegen des Fokus auf den Nahen Osten, und trotz der Schwächen und formalen Fehler, die der Film ohne Zweifel hat.
Der Fokus auf den Nahen Osten war ein zentraler Einwand von „Arte“. Dem pflichten auch andere Stimmen bei, etwa die jüdische Schriftstellerin Mirna Funk, die beklagt, der Film entspreche nicht „ihren“ Erwartungen. Sie moniert, überhaupt fehle eine Dokumentation, in der die Stimmen der Opfer des alltäglichen Antisemitismus in Deutschland zu Wort kommen. So, als ob es die SWR-Dokumentation „Jude. Deutscher. Ein Problem?“ von Uri Schneider, die im vergangenen Jahr im „Ersten“ lief, nicht gegeben hätte – und in der Funk selbst zu Wort kommt.
Dokumentarische Vorarbeit
Auch wenn das sicher nicht die Absicht der Macher war, lässt sich „Jude. Deutscher. Ein Problem?“ doch als „Vorfilm“ zur aktuellen Dokumentation begreifen. Denn dieser Film, der übrigens auch Stimmen von Juden in Frankreich einholt, belässt es bei Andeutungen, dass der Antisemitismus in Deutschland etwas mit den Vorgängen im Nahen Osten zu tun hat. Er erwähnt etwa das Gerichtsurteil zum Anschlag auf eine Wuppertaler Synagoge während des Gaza-Konfliktes 2014. Die Richter sahen darin keine antisemitische Tat, sondern Ausdruck von „Israel-Kritik“. In einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ bewerten zwei jüdische Vertreter das Urteil völlig zurecht als „Skandal“.
So gesehen war die Zeit reif, dem Phänomen vor Ort nachzuspüren. Der Fokus auf den Nahen Osten drängt sich allerdings auch in der Dokumentation selbst auf. Kein Geringerer als Martin Schulz, SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat, hat am am 23. Juni 2016 dafür gesorgt. Wie am Anfang des Films zu sehen ist, applaudierte er als Präsident des EU-Parlaments einer Rede von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, in der dieser vor EU-Abgeordneten nicht nur behauptete, dass Israelis Schuld hätten am Unglück der Welt, sondern dass die Israelis auch Brunnen der Palästinenser vergiften würden. Für Martin Schulz eine „inspirierende Rede“.
Was die Dokumentation an dieser Stelle nicht zeigt: Der Vorfall ist umso bemerkenswerter, als Schulz erst drei Monate zuvor, am 10. März, beherzt eingegriffen hatte, als der griechische Abgeordnete Eleftherios Synadinos Türken rassistisch beschimpfte. Schulz warf den Abgeordneten aus der Sitzung und bewertete dies als „grundsätzliche Entscheidung“ – um zu verhindern, dass Rassismus im EU-Parlament salonfähig wird. Geht es aber um Israel, scheinen andere Regeln zu greifen.
Nach diesem bemerkenswerten Anfang beschäftigt sich die Dokumentation mit antisemitischen Haltungen in Deutschland. So schräg die eingefangenen Stimmen auch sind, Neues zeigt der Film hier nicht. Es ist längst bekannt, dass in Europa wirre Theorien über Israel im linken wie im rechten Milieu, unter Eliten und auf der Straße Applaus finden.
Neuigkeiten aus Nahost
Wirklich Erstaunliches hört der Zuschauer dann aber in den Szenen im Nahen Osten: Jugendliche im Gazastreifen geben ihrer Regierung (und nicht den Israelis) die Schuld an der Misere in dem Gebiet; ein Palästinenser im Westjordanland zeigt sich dankbar, dass er bei Israelis eine Arbeitsstelle gefunden hat (was die Frage beantwortet, wem der oft geforderte Boykott von Siedlungsprodukten wirklich schaden würde). Diese Stimmen sind hierzulande selten zu hören.
Bemerkenswert ist dieser Teil auch, weil er in aller Deutlichkeit zeigt, welchem politischen Zweck die „palästinensischen Flüchtlinge“ dienen: Sie sind „Faustpfand“, so drückt es der Film aus, für weitere Finanzhilfen aus dem Ausland. Eigentlich könnte man es noch drastischer formulieren: Sie sind dazu da, um den weltweiten Argwohn gegen Israel lebendig halten.
Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) ist der Agent dieser zynischen Politik, denn die Organisation ist so konzipiert, dass der Flüchtlingsstatus über Generationen hinweg aufrecht erhalten wird – dieses „Privileg“ haben andere Flüchtlinge nicht, auch nicht diejenigen Juden, die Mitte vergangenen Jahrhunderts aus arabischen Ländern wegen Antisemitismus nach Israel fliehen mussten. Und die Europäer fördern die UNRWA mit ihren Geldern – deren Verwendung dann auch noch keiner Kontrolle unterliegt. Auch davon ist hierzulande kaum etwas zu hören.
Spurensuche unter Christen
Die Dokumentation spürt dem Phänomen des Antisemitismus auch bei christlichen Organisationen nach. Hier zeigt sich ebenfalls, dass der Fokus auf den Nahen Osten richtig ist. Der Aufwand, mit dem manche Christen gegen Israel vorgehen, etwa mit Boykott-Kampagnen, hat Züge der Besessenheit. In diesem Aspekt zeigt sich aber eine Schwäche der Dokumentation: Im Sinne einer Einordnung fehlt der Hinweis, dass es auch Christen gibt, die sich für Israel einsetzen oder zumindest um einen ausgewogenen Blick auf die Vorgänge in der Region bemüht sind.
Zu ungenau ist dann auch die Beschreibung der „christlichen Kultur“ als „Mutter allen Judenhasses“. Judenhass tritt nicht erst mit dem Christentum in Erscheinung – auch wenn dieser durch christliche Denker weite Verbreitung fand. Zudem ist die in der Dokumentation zitierte Stelle aus einem Brief des Paulus, der als 1. Thessalonicher bekannt ist, nicht vollständig wiedergegeben. So erscheint es, dass Paulus in dem Abschnitt 2,14-16 gegen „die Juden“ wettert. Gemeint sind aber diejenigen, die nicht zu den Jesusgläubigen gehören und die Gemeindearbeit behindern.
Aufklärerischer Film
Im letzten Teil zeigt sich der Vorteil, dass der Film für „Arte“ produziert wurde: Nun rückt der Antisemitismus der letzten Jahre in Frankreich ausführlich in den Mittelpunkt. Die schauerlichen Vorfälle, von Boykott-Kampagnen in Supermärkten bis hin zu grausamen Morden, sind den in Deutschland lebenden Menschen sicher nicht so präsent wie den Franzosen. Das gilt auch für die Lebensumstände im Pariser Vorort Sarcelles, in dem Juden um ihr Leben fürchten müssen. Schauerlich ist jedoch auch die dokumentierte Weigerung vieler Medien bei ihrer Berichterstattung über Hassverbrechen gegen Juden, Antisemitismus auch als solchen zu benennen.
Mit seiner Aufmachung zeichnet der Film ein realistisches Bild von Vorgängen im Nahen Osten und deren Bezug zu Europa. In diesem Sinne ist er zutiefst aufklärerisch. Das düstere Fazit lautet: „Antisemitismus ist ein unzivilisiertes Herzstück europäischer Kultur.“ Das erinnert an den Satz aus der Dokumentation „Jude. Deutscher. Ein Problem?“: „Antisemitismus ist integraler Bestandteil der deutschen Kultur“, den der Historiker Julius H. Schoeps dort so formuliert. Er fügt an, dass es „extrem schwierig ist, den Antisemitismus zu bekämpfen“. Das mag stimmen. Aber wenn nun zu hören ist, dass selbst Bewohner im Gazastreifen in Israel nicht immer den Sündenbock sehen, ist die aktuelle Dokumentation eine wertvolle Hilfe in diesem Kampf.
„Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“, Mittwoch, 22.15 Uhr, Das Erste
„Menschen bei Maischberger: Gibt es einen neuen Antisemitismus?“, Mittwoch, 23.45 Uhr, Das Erste. Mit Michael Wolffsohn, Norbert Blüm, Ahmad Mansur, Gemma Pörzgen, Rolf Verleger und Jörg Schönenborn
Von: Daniel Frick