„Noch im Jahr 2007 wusste niemand, wo Chirbet Kejafa liegt. 2008 sprach die ganze Welt davon.“ Begeistert zeigt Josef Garfinkel Journalisten die Gemäuer der alten Stadt. Der Professor für Archäologie an der Hebräischen Universität Jerusalem scheint in der Ausgrabungsstätte zu jedem Stein eine Geschichte erzählen zu können. Als Sonnenschutz trägt er eine Mütze, in der Hand hält er eine kleine Wasserflasche.
Als ein Flugzeug über ihn hinwegfliegt, hebt er seine Stimme gegen den Lärm. Eine Mitarbeiterin der Museumsausstellung bittet ihn, einen Moment zu warten, damit er wieder zu verstehen sei. Doch Garfinkel scheint das Dröhnen der Maschine nicht zu stören: „Die Bedingungen während der Ausgrabungen sind viel schwerer. Von 4 bis 11 Uhr arbeiten die Archäologen jeden Tag. Man schwitzt und es staubt“. Der Professor lächelt: „Für sechs Jahre haben wir jährlich sechs Wochen lang gegraben.“
Er steht an der Außenmauer der früheren Stadt: „Diesen Punkt hat 2005 mein Student entdeckt. Als ich gesehen habe, wie dicht die Stadt an der Hauptstraße liegt, habe ich verstanden, dass es sich hier um eine wichtige Stätte handelt. 2007 begannen wir mit der Ausgrabung. 2011 fanden wir das Tor mit dem 8 Tonnen schweren Eckstein. Es ist eingebettet in die Stadtmauer, nahe der meist genutzten Straße zur Stadt. Das Tor war der schwächste Punkt in Zeiten der Angriffe. Deshalb wurden viele Anstrengungen unternommen, das Tor zu befestigen und zu schützen. Eben auch durch so einen großen Klotz.“
Am Schauplatz des Kampfes gegen Goliat
Zu Beginn der Ausgrabungen gab es viele Fragen: War Chirbet Kejafa eine Philister-Stadt, eine israelische oder eine kanaanäische? Oder einfach ein kleines, unbedeutendes, anonymes Dorf? Chirbet Kejafa liegt im Tal von Elah, im historischen Königreich Juda, auf einem Berg zwischen Aseka und Soho. Damit befindet es sich an der ehemaligen Grenze zwischen den philistischen Stadtstaaten und Juda, in der Region, in der sich nach biblischer Überlieferung der Kampf von David und Goliat zugetragen hat. „Die Schlacht zwischen David und Goliat hat große symbolische Kraft: Plötzlich war da dieser unbeschnittene Philister, der nicht nur selber riesig war, sondern auch aus einem großen Volk stammte. Dagegen stand der rothaarige Schafhirte, der aus dem kleinen, unbedeutenden Juda kam und trotzdem den Kampf gewann. In der biblischen Geschichte geht es jedoch nicht um die Heldentat Davids, sondern darum, die Größe Gottes zu betonen.“
Die archäologischen Ausgrabungen in Chirbet Kejafa enthielten Funde, die von Wissenschaftlern unterschiedlich bewertet werden. Manche ordnen sie den Philistern, Kanaanäern, Israeliten oder Judäern zu. „Vor allem in Kopenhagen hat sich in den 1990er Jahren die Schule des Minimalismus durchgesetzt. Deren Anhänger sind der Meinung, dass die Bibel erst in hellenistischer Zeit entstanden ist und die in der Bibel beschriebenen Geschichten keine tatsächlichen Ereignisse beschreiben.“
Minimalisten, unter ihnen auch Nadav Naaman, Israel Finkelstein und Alexander Fantalkin von der Universität Tel Aviv, argumentieren, dass David nicht mehr als der Führer eines kleinen Stammes gewesen sei, der ein Dorf namens Jerusalem kontrollierte. Sie sind überzeugt, dass Chirbet Kejafa keinen Beweis birgt, dass die Stadt etwas mit Jerusalem oder mit David zu tun hatte. Vielmehr sei sie ein kleines kanaanäisches Königreich gewesen, das sich für kurze Zeit zwischen den Philistern behauptet und die Küste und den Berg kontrolliert habe. Den Jerusalemer Forschern werfen die Tel Aviver Professoren vor, dass sie nicht sauber gearbeitet hätten und sich deshalb die Behauptung judäischer Bewohner nicht halten lasse. Finkelstein zieht sogar in Betracht, dass sich die Bewohner des Nordreiches Israel und die des Südreiches Juda zu dieser frühen Zeit noch gar nicht selbst so klar definiert hätten.
Archäologe hält Bibel für glaubhaft
Trotz dieser Kritik: Garfinkel geht davon aus, dass sich das Königreich Davids von Jerusalem Richtung Süden ausbreitete und die kleine Stadt Chirbet Kejafa als Vorposten gegen die Philister geplant war, um die Hauptstraße in Richtung der judäischen Berge kontrollieren zu können. Die ausgegrabene Stadt ist von einer massiven Mauer umgeben und über zwei große Tore zu begehen. „Was wissen wir schon über Jerusalem, über die Zeit von König David und über die Bibel? Wir wissen aber, dass Chirbet Kejafa aus dieser Zeit stammt. Im 10. Jahrhundert vor Christus, zur Regierungszeit des Königs David, lebten viele Bauern vereinzelt in kleinen Dörfern, es war eine urbane Gesellschaft. Mit Chirbet Kejafa sehen wir das erste Mal in Israel eine zwar kleine, aber befestigte Stadt aus dem 10. Jahrhundert von König David aus dem judäischen Königreich. Alles weist auf eine geplante Stadt und eine zentrale Regierung in Jerusalem hin.“
Die Funde entsprachen nicht denen Israels, Kanaans oder der philistischen Stadtstaaten, sondern lediglich dem judäischen Königreich. Sie deuten darauf hin, dass sich der Kult der Einwohner von Chirbet Kejafa von dem der Kanaaniter und Philister unterschied. „Zum Beispiel gibt es ein Tempelmodell aus Kalkstein, das an den Ersten Tempel erinnert.“ Garfinkel hält es für eine der wichtigsten archäologischen Entdeckungen des modernen Israels. „Es entspricht der Beschreibung des Tempels durch die Bibel. Wer braucht mehr als das? Damit sind wir dem Allerheiligsten ganz nahe gekommen.“
Ein weiterer Fund ist die früheste hebräische Inschrift, die je entdeckt wurde. Sie enthält den biblischen Namen Eschbaal, der fünf mal im TaNaCH, der jüdischen Bibel, vorkommt. Alle diese Bezeichnungen stammen aus dem 10. Jahrhundert vor Christus. In Chirbet Kejafa wurde sie zum ersten Mal gefunden, in der Variation „Esch-Boschet“.
Außerdem stießen die Forscher auf eine knappe Handvoll Olivenkerne. Die Radiokarbonmethode datiert diese auf zwischen 1020 und 980 vor Christus und somit in die Regierungszeit König Davids.
Wirtschaftlicher Austausch
Garfinkel redet ohne Pause: „Wir können davon ausgehen, dass König David Chirbet Kejafa baute, um seine Macht zu demonstrieren. Die Abwesenheit von Schweineknochen und eines zentralen kultischen Tempels in der Stadt weist ebenso darauf hin, dass es sich um eine Stadt des judäischen Königreichs handelt, wie auch die zahlreichen Funde von Eisenobjekten und der Inschrift durch einen Vorläufer der hebräischen Sprache. Die Stadt war nur für wenige Jahrzehnte bewohnt, bis sie im frühen 10. Jahrhundert zerstört wurde. Vasen und Werkzeuge, die aus Syrien, Zypern, Ägypten, Syrien und den philistischen Stadtstaaten stammen, deuten auf einen wirtschaftlichen Austausch hin.“
Der Wissenschaftler fährt fort: „Es ist wichtig, dass Leute die Grenzen der Archäologie verstehen. Wir müssen uns immer fragen: ‚Was kann Archäologie? Und was kann sie nicht?‘ Wir können Prozesse finden, also zum Beispiel die Zerstörung einer Stadt. Wir können aber nicht die Existenz von früher lebenden Menschen finden.‘“
Garfinkel ergänzt: „Auch 300 Jahre Frieden sind archäologisch schwer nachzuweisen. Die Zerstörung der Stadt hingegen sehr wohl. Die aramäische Inschrift von Tel Dan, die Anfang der 90er Jahre gefunden wurde, stammt aus der Mitte des neunten Jahrhunderts und wird Hasael, dem König von Damaskus, zugeschrieben. Darin prahlt er, einen König von Israel und einen von Juda getötet zu haben. Letzterer wird als ‚König aus dem Hause Davids‘ bezeichnet. Eine ähnliche Version dieses Ereignisses wird in 2. Könige 9 erwähnt. Das Königreich Juda ist nach dem Gründer der Dynastie, David benannt, eine gängige Praxis in der Region während dieser Zeit. Die Entdeckung der Inschrift von Tel Dan bestätigte die Geschichtlichkeit König Davids.“
Herkunft des Ortsnamens ungewiss
Während die Besucher im Jerusalemer Museum nicht nur die Ausstellungsstücke sehen sollen, sondern „fühlen, dass sie sich in der alten Stadt Chirbet Kejafa befinden“ – so drückt es Museumsdirektorin Amanda Weiss aus –, liegen die Ruinen wenige Dutzend Kilometer südwestlich ungeschützt auf dem Hügel im idyllischen Elah-Tal. Professor Garfinkel ist überzeugt: „Spätestens in fünf bis sechs Jahren wird die Stätte ein Nationalpark sein. Dann werden alle Mauern eingezäunt sein und Besucher können Eintritt zahlen.“
Obwohl Garfinkel Antworten auf viele Fragen gefunden hat, bleibt manches noch offen: „Es ist die erste Ausgrabung, die ich leite, bei der ich nicht weiß, woher der Name stammt. Der Franzose Victor Guérin kam Mitte des 19. Jahrhunderts nach Chirbet Kejafa und übernahm den Namen, den die arabische Bevölkerung dieser Stätte gegeben hatte. Den ursprünglichen Namen kennen wir nicht. Ich gehe davon aus, dass es sich um die biblische Stadt Schaarajim, Zwei Tore, handelt. Doch genau wissen wir es nicht.“
Unter anderem findet die Stadt im 1. Buch Samuel Erwähnung, wo berichtet wird, dass sich die Männer von Israel und Juda aufmachten, um die Philister zu verfolgen und diese auf dem Weg nach Schaarajim gefallen seien.
Seit Dienstagmorgen sind für ein Jahr die 100 Ausstellungsstücke im Museum der biblischen Länder in Jerusalem für Besucher zugänglich. Die Kuratoren arbeiteten etwa zwei Jahre an der Ausstellung. Weiss hofft, mit der Ausstellung Archäologie aus den Universitäten herauszuholen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen: „Leute schauen sich keine archäologischen Fachberichte an. Diese bleiben immer in der Uni. Doch mit der neuen Ausstellung bieten wir die Gelegenheit, die archäologische Stätte zusammen mit den Ausgrabungen zu sehen. Wir leben an einem wunderbaren Ort und wollen diese Funde einem weiten Publikum zugänglich machen. Archäologie ist die Geschichte unseres Landes und damit unsere Geschichte. Sie ist nicht langweilig, sondern lebendig.“ (mh)