War die antifaschistische DDR als Gegenpol zum Nationalsozialismus besonders judenfreundlich? Oder vertrat sie vielmehr eine offizielle Politik des Antisemitismus? Mit diesen und anderen Fragen haben sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion auf der Leipziger Buchmesse am Freitagnachmittag auseinandergesetzt. „Zwischen Palästina-Solidarität und Antizionismus – Israel. Die DDR und die deutsche Linke“ – so lautete das Thema.
Die Nahostwissenschaftlerin Angelika Timm ist in der DDR aufgewachsen. Heute leitet sie die Regionalvertretung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv. Bei dem Diskussionsforum vertrat sie die Ansicht, dass 1952/53 in der Tat ein offizieller Antisemitismus in der DDR propagiert worden sei, ausgehend von den judenfeindlichen Übergriffen in der Sowjetunion unter Josef Stalin. Dies sei ein schlimmes Kapitel der DDR-Geschichte, aber auch eine Ausnahme.
Als Versäumnis betrachtet sie es ferner, dass sich der Staat nicht an der Wiedergutmachung gegenüber Israel beteiligt hat. Hier sei die gesamtdeutsche Schuld und Verantwortung verneint worden. Denn im damaligen Sprachgebrauch der DDR seien die Wurzeln des Antisemitismus in ihrem Bereich „ausgerottet“ worden. Timm spricht von einer „Absolution für alle, die im Osten Deutschlands lebten“. Juden hätten als Opfer gegolten, Israelis hingegen als Täter. Dabei habe der Staat Israel in den Anfangsjahren unterstützt.
Die Wissenschaftlerin forderte ehemalige DDR-Bürger auf, sich selbst kritisch zu hinterfragen: „Warum habe ich das nicht wahrgenommen? Warum habe ich mich nicht damit auseinandergesetzt?“ Sie selbst habe sich diesem Prozess gestellt. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über die israelische Arbeiterbewegung. Heute versucht sie, in Israel ein realistischeres Deutschlandbild zu vermitteln – und umgekehrt der deutschen Linken ein realistischeres Bild vom facettenreichen Israel, das sie kennengelernt hat. Dazu gehöre auch, gegen Klischees vorzugehen, die nicht zuletzt aus der Berichterstattung der Medien hervorgingen.