Der vergangene Sommer hat zum wiederholten Mal gezeigt, dass die Menschheit zunehmend mit Extremwetterlagen zu kämpfen hat. In Deutschland war es die Flutkatastrophe, in der Mittelmeerregion wüteten verheerende Waldbrände. Die meisten Experten stimmen darin überein, dass dies Folgen eines Klimas im Wandel sind, wobei sich über Ursachen und Ausmaß die Geister scheiden. Fest steht nur: Die Zahl dieser Wetterlagen wird zunehmen, und auch die Temperaturen steigen.
Israel bildet da keine Ausnahme, und mit dieser Entwicklung befasst sich etwa das 2018 von der Regierung gegründete „Direktorat für die Vorbereitung auf den Klimawandel“ unter Leitung des Umweltministeriums. Anfang August präsentierte dort der Datenwissenschaftler Gil David seine Beobachtungen. Am Beispiel Tel Aviv und anderer Städte zeigte er, dass die Zahl der Tage im Jahr mit Temperaturen über 30 Grad Celsius zunimmt: Zwischen 1964 und 1971 war es eine Ausnahme, wenn es mehr als 30 solcher Hitzetage gab. Seit 2013 findet sich kein Jahr mehr mit weniger als 30 Hitzetagen. Zwischen 2016 und 2019 gab es im Schnitt 89 Hitzetage pro Jahr.
Etwas allgemeiner betrachtet verzeichnet Israel von 1950 bis 2017 einen Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1,4 Grad; besonders seit den 1980er Jahren stiegen die Temperaturen. Von 2020 bis 2050 erwarten Experten einen weiteren Anstieg um 1,2 Grad. Das heißt, dass in den Sommermonaten Temperaturen über 37 Grad zur Regel werden, sie oft auch an der 50-Grad-Marke kratzen.
Als eine Ursache sieht der Leiter des Israelischen Wetterdienstes, Nir Stav, den Wandel in den oberen Luftströmen, die sogenannten Jetstreams. Diese wehen normalerweise in Ostrichtung parallel zum Äquator. Wegen der Erderwärmung werden diese jedoch schwächer und bewegen sich nicht mehr eindeutig von West nach Ost, sondern weichen auch in Nord- und Südrichtungen ab. Diese Jetstreams können zudem eine Omega-Form bilden – der Begriff ist angelehnt an den hufeisenförmigen griechischen Buchstaben. In so einem Fall verbleibt die Wetterlage lange in einem Gebiet und sorgt dort etwa für Hitze und Trockenheit, ohne dass Tiefdruckgebiete mit kühleren Temperaturen oder Regen für Entlastung sorgen.
Körperliche Belastung
Einen „Vorgeschmack“ gab es im Frühling 2020: Mitte Mai kam über Israel eine Hitzewelle, wie sie das Land seit Beginn der Wetteraufzeichnungen nicht erlebt hat. In der Woche vom 18. bis zum 24. Mai verzeichnete das Statistikamt eine im Vergleich zum Durchschnitt um 20 Prozent höhere Zahl von Todesfällen. Noch haben sich die Statistiker nicht endgültig festgelegt, aber sie gehen davon aus, dass die Hitze und nicht etwa das Coronavirus für die höhere Todesrate verantwortlich war. Konkrete Zahlen liegen nicht vor, weil „Hitzetote“ als solche derzeit noch gar nicht erfasst werden – oft ist ein „Herzinfarkt“ die behördlich angegebene Todesursache.
Unstrittig ist aber, dass in jener Hitzewoche die Belastungen für die Körper enorm waren, wie die Zeitung „Ha‘aretz“ später analysierte: An der Küste und im Osten des Landes stieg die Temperatur über eine Woche hinweg täglich auf über 40 beziehungsweise 42 Grad. Und in der Nacht kam es kaum zur Abkühlung, die der Körper nötig hat: In Jerusalem betrug die nächtliche Durschnittstemperatur 27 Grad Celsius, während sie in dieser Zeit normalerweise bei 15 Grad liegt.
Eine Frage der Sicherheit
Doch die Entwicklungen wirken sich nicht nur auf körperliche Befindlichkeiten aus. Sie bringen auch Probleme im Bereich der Sicherheit mit sich. Daher erwägt inwischen auch die Armee, die Temperaturentwicklung in ihre Einschätzung der Bedrohungslage aufzunehmen. Zu den möglichen Gefahren gehören banal anmutende Dinge: Wie wirkt sich die Hitze auf den Zustand von Landebahnen für Kampfflieger aus? Wie müssen Trainingspläne für Soldaten angepasst werden, um der Hitze zu entgehen? Bleiben die Kühlsysteme auf Schiffen oder Panzern leistungsfähig?
Nicht nur Hitze ist das Problem, sondern auch die immer selteneren, dafür intensiveren Regengüsse. So wurde im Winter 2019/20 ein unterirdischer Hangar der Luftwaffenbasis Chatzor, rund zehn Kilometer östlich von Aschdod, durch benachbarte Seen und Flüsse überflutet. Soldaten berichteten, dass der Stellplatz für Flugzeuge in weniger als einer halben Stunde geflutet war; selbst Betonwände hatten dem Druck nicht standgehalten. Acht F-16-Kampfflieger trugen Regenschäden davon und waren zum Teil drei Monate lang nicht einsatzbereit.
Ereignisse dieser Art zeigen, dass sich auch die Armee über kurz oder lang mit dem Klimawandel auseinandersetzen muss. Doch derartige Überlegungen befinden sich noch in den „Kinderschuhen“, wie das Fazit der Nachrichtenseite „Times of Israel“ zu dem Thema lautet. Zur Debatte stehen ein Arbeitsplan und die Schaffung einer Sondereinheit, die sich mit dem Problem befasst. Die Armee steht dabei im Austausch mit dem Umweltministerium.
Auch Entwicklungen in der Region spielen bei der Bewertung eine Rolle. Andere Länder, etwa Syrien oder der Libanon, mögen sich nicht so gut auf die Folgen der veränderten Wetterverhältnisse vorbereiten können wie Israel – etwa wegen allgemein schlechter Regierungsführung oder einem Mangel an Entsalzungsanlagen für die Bereitstellung von Frischwasser. Zu rechnen ist mit Unruhen in diesen Ländern und mit Klimaflüchtlingen an den israelischen Grenzen. Der Umweltexperte Colin Price von der Universität Tel Aviv hält die These für plausibel, dass die Aufstände in Syrien ab dem Jahr 2011 zum Teil von Bauern getragen wurden, die wegen einer Dürrephase von 2007 bis 2010 in die Städte zogen, dort aber keine Beschäftigung fanden und sich schließlich Rebellengruppen anschlossen.
Handlungsoptionen vorhanden
Israel wird nicht alle Folgen im Zusammenhang mit den Klimaverhältnissen im Wandel kontrollieren können. Nichtsdestotrotz bieten sich Möglichkeiten, die Dinge abzumildern. Entscheidend scheint dabei zu sein, dass Behörden und Verantwortliche mehr Sensibilität für dieses Thema entwickeln: Als im Januar 2020 Regenmengen über Nordisrael niedergingen wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr, kam es auch in der nördlichen Küstenstadt Naharia zu Überflutungen. Ein Israeli starb beim Versuch, Menschen aus einem Auto zu retten.
Doch laut Recherchen der „Times of Israel“ wäre die Katastrophe zu verhindern gewesen: Die Stadt hatte den Verlauf des Flusses Ga‘aton geändert, um ein Einkaufszentrum mit unterirdischem Parkhaus zu errichten. Umweltaktivisten hatten schon in der Planungsphase vor Überflutungen gewarnt: Den Fluss durch einen Tunnel zu lenken wirke wie ein Flaschenhals, der bei großen Wassermengen überfordert sei.
Auch Bürokratie mutet wie ein Hemmschuh beim Umgang mit Katastrophen wie Überflutungen an. Der Staatskontrolleur Matanjahu Englman beklagt, dass derzeit elf Behörden mit Überflutungsangelegenheiten betraut sind, die sich gerne auch mal die Verantwortung zuschieben.
Mit Blick auf die Hitze ist Israel vergleichsweise gut aufgestellt, etwa was die schon vorhandenen Entsalzungsanlagen angeht. Die Frage bleibt jedoch, wie der Umgang mit gefährdeten Personengruppen, wie zum Beispiel älteren Menschen, aussieht. Die mit Errichtung des Klimawandel-Direktorats gefassten Pläne setzt das Sozialministerium derzeit nocht nicht konsequent um, berichtete „Ha‘aretz“ Anfang August aus Anlass einer neuerlichen Hitzewelle. So hätten Mitarbeiter keinen Kontakt mit Personen gehalten, die anfällig für Hitze sind. Auch seien die Betroffenen nicht in öffentliche gekühlte Räume gebracht worden. Die Verteilung von Trinkwasser und Ventilatoren sei ebenfalls nicht angelaufen.
Fest steht nur: Die Aufgaben mit Blick auf den Klimawandel nehmen zu. Bei allen Problemen gibt sich der Leiter des Klimawandel-Direktorats, Alon Sack, aber zuversichtlich: Die „Klimakrise“ sei zwar schon da, doch „bei rechtzeitiger und angemessener Vorbereitung wird sie für Israel so klein wie möglich werden“.
Von: Daniel Frick
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