JERUSALEM (inn) – Die israelische Regierung hat angekündigt, mehr als 1.000 Familien 40 Millionen Euro zu zahlen. Sie sind von der „jemenitischen Kinderaffäre“ betroffen. Israel erkenne damit ihr Leiden an. Die Familien behaupten, ihre Kinder seien nach ihrer Einwanderung in den jungen Staat entführt und anschließend zur Adoption freigegeben worden.
In den 1950er Jahren waren etwa 50.000 Juden aus dem Jemen nach Israel eingewandert. Viele von ihnen waren mittellos und kamen in provisorische Aufnahmelager. Unter ungeklärten Umständen verschwanden damals mehrere Tausend Säuglinge und Kleinkinder. Auch Familien aus den Balkanstaaten, Nordafrika und anderen Ländern des Nahen Ostens sind betroffen.
Den Eltern wurde damals von Krankenhäusern und Behörden mitgeteilt, dass ihre Kinder verstorben seien. Doch sie vermuteten, dass ihre Babys kinderlosen Ehepaaren mit europäischem Hintergrund zur Adoption gegeben worden seien. Obwohl frühere Untersuchungen den Vorwurf der Massenentführungen entkräftet hatten, stehen diese Vorwürfe bis heute im Raum. Sie verstärkten die Spannungen zwischen europäischen Juden und Juden aus arabischen Ländern.
Ende 2016 wurden die Archive geöffnet und bis dahin geheime Dokumente zugänglich gemacht. Bis heute sind aber viele Einzelschicksale ungeklärt.
Regierung entschuldigt sich nicht
Die israelische Regierung hat mit der Entscheidung für die Zahlung am Montag ihr Bedauern ausgedrückt. Es handele sich um eine der schmerzhaftesten Affären in der Geschichte des Landes, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud). Die Entschädigungen könnten nur etwas Linderung bringen, erlittene Qualen würden sie nicht wiedergutmachen.
Eine Entschuldigung an die betroffenen Familien erfolgte nicht. Über die Entscheidung der Regierung zeigen sich Angehörige der verschwundenen Kinder empört: „Was die Regierung zahlen will, ist Schweigegeld. Doch wer entschädigt uns für all die verlorenen Jahre? Ich bin wütend – meine Eltern leben nicht mehr und ich habe versprochen, dass ich nicht aufgeben werde, das Schicksal meiner Geschwister aufzuklären“. Die 77-jährige Jona Iraki HaCohen sagte dem Nachrichtendienst „Walla“, dass drei ihrer Geschwister damals entführt worden seien: „Die Kinder sind nicht gestorben. Wären sie gestorben, stellt sich die Frage, wo sie beerdigt sind.“
Auch Michael Scharabi ist enttäuscht von der Entscheidung. Seiner Mutter wurde damals mitgeteilt, dass ihr Säugling gestorben sei. „Das war nicht Ziel unserer Proteste. Wir wollten nie eine finanzielle Entschädigung, sondern wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Die Regierung soll endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und alle geheimen Dokumente offenlegen.“
Von: mh