In Dschulis, einem kleinen Drusendorf in Westgaliläa, läuft nicht nur in diesen Tagen vieles hinter verschlossenen Türen ab. Hinter einer davon sitzt Qadi Mowafaq Tarif, geistlicher Führer der Drusen in Israel. Hochrangige Politiker und Armeeangehörige kommen hierher. Hier wurden und werden Entscheidungen getroffen, die sich schicksalhaft auf Israel und die Nachbarstaaten auswirken können.
Geerbt hat Mowafaq das Amt 1993 von seinem Großvater mütterlicherseits, Amin Tarif. In Dschulis, dem Wohnort der Familie Tarif, steht der Schrein von Amin Tarif. Im gleichen Gebäude befindet sich ein Saal, an dessen Wänden neben einem überdimensionalen Gemälde Amins Fotos hängen. Sie zeugen von historischen Verhandlungen und Ereignissen. Ältere Bilder zeigen Amin mit israelischen Staatsführern wie David Ben-Gurion, Ariel Scharon und Schimon Peres. Auf jüngeren Fotos ist Mowafaq mit Spitzenpolitikern und Generälen der Armee zu sehen.
Prominent ist ein Foto von Amin zwischen Bildern von Staatspräsident Reuven Rivlin zur Linken und Premier Benjamin Netanjahu zur Rechten platziert. Kupferteller prangen neben israelischen Landkarten, eine israelische Flagge hängt neben der drusischen.
Mowafaq ist Jurist und studierte im Libanon Drusenwissenschaften. In seinem Empfangszimmer steht eine große Vitrine mit zahlreichen Auszeichnungen. Seit 1753 bekleidet die Familie Tarif das Amt des geistlichen Leiters der Drusen in diesem Gebiet.
Während ein Großteil der Muslime und Christen in Israel mit den Palästinensern sympathisiert, stehen die Drusen kompromisslos zu Israel. „Wenn der jüdische Staat stark ist, ist das gut für uns. Wir haben keinen anderen Ort als den Staat Israel“, sagt auch Mowafaq. „Von Anfang an haben wir unsere Loyalität zu Israel deutlich gemacht.“ Im vergangenen Sommer hat der Islamische Staat ein Massaker im Süden Syriens an Drusen verübt, etwa 30 Frauen wurden entführt, ungefähr 300 Menschen getötet. „Nach diesem Massaker war es ruhig in der internationalen Gemeinschaft. Niemand sprach sich dagegen aus. Uns beschäftigt die Frage, was aus den Drusen in Syrien wird.“ Wegen Sicherheitsbefürchtungen wollen die Drusen ihre Kommunikationskanäle nicht preisgeben. „Doch natürlich stehen wir mit unseren syrischen Brüdern in Verbindung“, sagt Tarif. „Wir arbeiten gut mit der israelischen Regierung zusammen, und die hat gute Verbindungen zu den USA und nach Russland.“
Seit 1956 sind drusische Männer verpflichtet, in der israelischen Armee zu dienen. Dies tun 90 Prozent – in keiner Minderheitengruppe ist der Anteil der Wehrdienstleistenden größer. Drusische Generäle betonen, dass Drusen schon lange Zeit vor der Staatsgründung an der Seite der Juden gekämpft haben. Tarif sagt: „Israel ist ein demokratisches Land. Wir sind Israelis und bleiben Teil davon.“
Doch trotz aller Loyalitätsbekundungen sieht Tarif eine Unzufriedenheit mit dem Status der Drusen in Israel: Die Regierung investiere nicht genug in periphere Gebiete und erteile nicht genügend Baugenehmigungen für die drusischen Gemeinden. Zudem werde die Infrastruktur vernachlässigt, er wünsche sich Kulturzentren und Freizeitorte. Auch hätte er prinzipiell keine Einwände gegen das umstrittene Nationalstaatsgesetz. Doch fordere er eine Erwähnung der Drusen.
Weil Drusen Arabisch sprechen, werden sie oft mit Muslimen verwechselt. „Viele von uns sind Araber. Doch es gibt auch iranische, kurdische und europäische Einflüsse. Wir sind aber keine Muslime“, erklärt Samer Berani, Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Daliat al-Karmel. Mit 16.500 Einwohnern ist dies im Nordbezirk Haifa der größte Drusenort. Unweit davon liegt Ussfia. Weitere 17 Orte liegen im Nordbezirk, wobei nicht alle eine ausschließlich drusische Bevölkerung aufweisen. „Nach Schätzungen gibt es zwischen 700.000 und 2 Millionen Drusen weltweit. Der Großteil lebt in Syrien, ein kleinerer Teil im Libanon“, erklärt Berany.
Der Israeli beschreibt seine drusische Identität vor allem durch die Abgrenzung vom Islam: „Im Gegensatz zu muslimischen Männern, die bis zu vier Frauen heiraten dürfen, darf ein Druse nur eine Frau heiraten. Unser Gebetshaus ist bescheiden. Von außen ist es oft nicht als solches zu erkennen, es gibt weder von außen noch von innen Bilder. Bescheiden ist auch das Gebet. Unsere religiösen Zusammenkünfte finden montags und donnerstags statt.“
Auch die Kleidung religiöser Drusen unterscheidet sich deutlich von der sunnitischer Muslime. Drusische Männer tragen schwarze Pluderhosen und einen Schnurrbart. Wer Feldarbeit verrichtet, trägt eine weiße Kufija auf dem Kopf. Frauen tragen ein schwarzes oder dunkelblaues Kleid, um ihren Kopf liegt locker ein weißes Tuch. In die Grundlagen der Religion werden nur Männer über 40 Jahren eingeweiht. Allein auf diese Information angesprochen, zeigen sich Drusen immer wieder überrascht: „Oh, woher weißt du das?“ In Zeiten des Internets ist es schwer, Geheimnisse zu bewahren. Die drusischen Führer versuchen trotzdem, Informationen zur Religion, so gut es geht, zurückzuhalten. Grund für dieses Schweigen war anfangs die Angst vor Verfolgung. Auch Mowafaq beantwortet keine Fragen zur Religion oder er gibt diplomatische Antworten, die über die Religion an sich nichts aussagen. Mehr als die religiöse Identität verbindet das kulturelle Erbe zwischen Drusen, weit über Landesgrenzen hinweg.
Auch innerhalb eines Landes wird nach außen trotz politisch unterschiedlicher Sichtweisen Einheit demonstriert. Saleh Dabus lebt auf dem Golan, den Israel von Syrien annektiert hat. Dabus ist einer von etwa 2.000 Einwohnern in Kunia: „Wir Drusen sind wie ein Bienenvolk. So wie jede einzelne Biene bereit ist, alles für die Königin zu tun, sind wir bereit, unser Leben für die drusische Gemeinschaft zu geben.“ Der Mittdreißiger erklärt: „Wir Drusen auf dem Golan sind ein Sonderfall in Israel. Ich fühle mich weder als Israeli noch als Syrer. Aber mein Vater fühlt sich als Syrer. Ich war weder in Israel noch in Syrien im Militär, ich habe also diese besondere Armee-Erfahrung nicht, die viele andere zu echten Bürgern macht. Ich bin heute Israeli, morgen Syrer, übermorgen Amerikaner. Ich kann meine Nationalität ändern. Aber ich bleibe immer Druse.“
Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 1/2019 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5667752, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online.
Von: mh