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Ernst und Freude zum Jahresbeginn

Buße gehört ebenso zum jüdischen Neujahr wie Festfreude. Deutlich wird dieser scheinbare Widerspruch durch ernste Gebete und besondere Speisen.
Äpfel und Honig gehören bei vielen Juden ebenso zum Festmahl wie Granatäpfel und Datteln

Ein Fest der Ernsthaftigkeit und ein Fest der Freude – so charakterisieren Juden ihr zweitägiges Neujahrsfest Rosch HaSchanah. Denn einerseits beginnen am 1. Tag des Monats Tischrei die zehn Bußtage, die mit dem Großen Versöhnungstag Jom Kippur enden. Andererseits gehört aber auch fröhliches Feiern dazu. Und so hat sich die Tradition nicht durchgesetzt, an Neujahr zu fasten.

Das biblische Buch Nehemia schildert, wie der Schriftgelehrte Esra dem Volk Israel aus der Tora vorliest. Die Israeliten reagieren erfreut, weinen aber auch. Dann heißt es: „Und Esra sprach zu ihnen: Geht hin und esst fette Speisen und trinkt süße Getränke und sendet davon auch denen, die nichts für sich bereitet haben; denn dieser Tag ist heilig unserm Herrn. Und seid nicht bekümmert; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10) Diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Festfreude beziehen jüdische Gelehrte auf Rosch HaSchanah. In dem Fall solle „heilig“ ausdrücken, dass der Tag anders und von den anderen Tagen abgesondert ist.

Der hebräische Name „Rosch HaSchanah“ bedeutet wörtlich „Haupt des Jahres“. In diesem Jahr beginnt das Fest am Abend des 9. September, Juden feiern damit die Erschaffung der Welt vor 5.779 Jahren. Genauer gesagt hat Gott laut der Tradition Adam und Eva an Rosch HaSchanah erschaffen. Am selben Tag habe der Mensch auch die erste Sünde begangen, indem er gegen das göttliche Verbot verstieß, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Zwar wurden Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben. Doch dadurch kam auch die Möglichkeit zur Reue und Umkehr in die Welt.

Ferner ist „Akedat Jitzchak“, die Bindung Isaaks, mit diesem Tag verbunden. Der Stammvater Abraham war bereit, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, weil Gott dies geboten hatte (1. Mose 22). Die biblische Geschichte spielt bei dem Fest eine besondere Rolle.

Negative Vergangenheit wird gelöscht

Rosch HaSchanah gilt als Gerichtstag, an dem Gott das Urteil über Juden und Nichtjuden fällt. Es wird am letzten Bußtag – dem Jom Kippur – besiegelt. In diesem Zeitraum, der vom ersten bis zum zehnten Tag des jüdischen Monats Tischrei währt, besteht die Möglichkeit zur Selbstbesinnung, Reue und Bitte um Versöhnung. An den ersten Tagen des Jahres begrüßen Juden einander mit dem Wunsch: „Mögest du zu einem guten Jahr ins Buch des Lebens eingetragen und besiegelt sein“. Dieser Gruß bezieht sich auf das Buch, in dem Gott nach jüdischem Verständnis die Taten der Menschen notiert. Dazu heißt es in der von Joel Rappel herausgegebenen hebräischen Enzyklopädie „Mo’adei Jissrael“ (Die Feste Israels): „Je vollständiger und aufrichtiger der Akt der Buße ist, umso mehr ermöglicht er das Aufschlagen einer neuen Seite, auf der die gesamte negative Vergangenheit gelöscht ist, als wäre sie nie gewesen.“

Dass Gott zur Vergebung bereit ist, verdeutlicht die Tradition des „Taschlich“. Vor dem Nachmittagsgebet des ersten Tages von Rosch HaSchanah nehmen Juden kleine Steine in ihren Kleidertaschen mit und werfen sie in einen Fluss oder See, in dem es Fische gibt. Dies erinnert an Gottes Versprechen, die Sünden der einsichtigen Menschen zu vergessen: „Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.“ (Micha 7,19) Umkehr eines einzelnen Menschen kann an jedem Tag des Jahres geschehen, wenn jemand die Notwendigkeit empfindet. Aber als Tag mit nationalem Charakter erinnert Neujahr in besonderer Weise an diese Möglichkeit.

Die Bibel bezeichnet Rosch HaSchanah als „Tag des Posaunenschalls“ (4. Mose 29,1). An anderer Stelle ist die Rede von „Posauneblasen zum Gedächtnis“ (3. Mose 23,24). Das Widderhorn Schofar, das an Rosch HaSchanah geblasen wird, ruft zur Besinnung auf und dient dem Lob des Schöpfers. In der Synagoge dominiert die weiße Farbe, die für Reinheit steht. Viele Juden tragen weiße Kleidung.

Gott als König

Das Schofar symbolisiert Gottes Krönung zum König der Welt. Und so wird er in den Gebeten bevorzugt als „König“ angesprochen, was seine Autorität betonen soll. Durch den Einfluss der Kabbala lesen Juden auch den Psalm 47, der in besonderer Weise Gottes Königsherrschaft veranschaulicht. Wichtig ist, dass die Schöpfung kein einmaliger Akt bleibt, nach dem sich Gott zurückgezogen hat. Vielmehr bleibt er in Verbindung mit seinen Geschöpfen und lenkt die Welt. Da dies im Alltag mitunter in Vergessenheit gerät, soll das Fest diesen Aspekt neu in Erinnerung bringen.

Das jüdische Jahr richtet sich nach dem Mond. Es hat zwölf Monate und durchschnittlich 354 Tage. Alle zwei bis drei Jahre wird im Frühjahr nach dem Monat Adar ein zusätzlicher Monat „Adar II“ eingeschaltet, damit die Differenz zum Sonnenjahr ausgeglichen wird – das geschieht auch wieder im jetzt beginnenden Jahr 5779. Dadurch können die Juden ihre Feste in den passenden Jahreszeiten feiern. Die Tage beginnen jeweils mit dem Sonnenuntergang, denn im biblischen Schöpfungsbericht (1. Mose 1) heißt es: „und es ward Abend, und es ward Morgen …“. In Psalm 55,18 betet David zudem: „Des Abends, morgens und mittags will ich klagen und heulen; so wird er meine Stimme hören.“

Am Abend leiten das Anzünden der Kerzen sowie der Segen über den Wein, der Kiddusch, die feierliche Mahlzeit ein. Nach dem Segen über das Brot streuen Juden nicht – wie sonst üblich – Salz darauf. Stattdessen tauchen sie es an diesem Abend in Honig. Zum Festmahl gehören Äpfel, die ebenfalls mit Honig gegessen werden. Dies drückt die Hoffnung auf ein „süßes“ Jahr aus. Hinzu kommen andere Früchte wie Granatäpfel oder Datteln. Auch Fischgerichte gehören bei vielen Juden zum Fest, denn der Fisch gilt als Symbol der Fruchtbarkeit.

Vier Jahresanfänge

Das Wort „Tischrei“ stammt aus dem Babylonischen und heißt „Anfang“. Uneinigkeit herrschte allerdings lange Zeit unter den Gelehrten darüber, wann das jüdische Jahr beginnt. Insgesamt sind vier Jahresanfänge mit unterschiedlichen Bedeutungen und Schwerpunkten überliefert.

In 4. Mose 29,1 gebietet Gott den Israeliten: „Und am ersten Tag des siebenten Monats soll heilige Versammlung sein. Da sollt ihr keine Dienstarbeit tun; ein Tag des Posaunenblasens soll er für euch sein.“ Dieser Vers bezieht sich auf Rosch HaSchanah. Deshalb ist der Beginn des Jahres in Israel bis heute ein Feiertag, auch am zweiten Tag ruht die Arbeit. Der in der Bibel angesprochene siebente Monat ist der Tischrei, der im September oder Oktober des weltlichen Kalenders beginnt.

In der Textsammlung, die dem Talmud zugrunde liegt, der Mischna, heißt es: „Vier Jahresanfänge gibt es. Am 1. Nissan ist das Neujahr der Könige und der Wallfahrtsfeste. Am 1. Elul ist das Neujahr für den Zehnten beim Vieh. Rabbi Eleasar und Rabbi Schimon sagen: am 1. Tischrei. Am 1. Tischrei ist das Neujahr für die Jahre und die Schmittajahre und die Joveljahre, fürs Pflanzen und für Gemüse. Am 1. Schvat ist das Neujahr für den Baum, meint die Schule von Schammai – die Schule Hillels hingegen sagt: am 15. Schvat.“ (Mischna Rosch HaSchanah 1,1)

Termin für die Festlegung des Zehnten

Der 1. Nissan kommt ausdrücklich in der Bibel vor, als erster der Monate: „Im ersten Monat, das ist der Monat Nissan, im zwölften Jahr des Königs Ahasveros, wurde das Pur, das ist das Los, geworfen vor Haman, von einem Tage zum andern und von Monat zu Monat, und das Los fiel auf den dreizehnten Tag im zwölften Monat, das ist der Monat Adar.“ (Ester 3,7) Am 15. Nissan beginnt Pessach, damit wurde einst die Wallfahrtssaison eröffnet. In 2. Mose 12,1–2 steht geschrieben: „Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: Dieser Monat soll bei euch der erste Monat sein, und von ihm an sollt ihr die Monate des Jahres zählen.“ Darauf folgen direkt die Regelungen für das Passahfest. Auch die Amtszeiten der biblischen Könige wurden ab diesem Monat gezählt.

Der Elul ist der sechste Monat, also der letzte vor dem Tischrei. Er hat in diesem Jahr am Abend des 11. August begonnen. Wie aus dem Mischnatext hervorgeht, gab es unter den Gelehrten unterschiedliche Ansichten darüber, ob der 1. Elul als besonderer Neujahrstag begangen werden soll. Konkret geht es darum, ab welchem Tag der Zehnte für das neugeborene Vieh berechnet wird.

Einig sind sich die Ausleger hingegen darüber, dass der 1. Tischrei das Neujahr für die Sabbatjahre (Schmittajahre) ist, in denen die Felder nicht bebaut werden sollen. Hinzu kommt das Joveljahr, also das Erlassjahr für die Schulden alle 50 Jahre (3. Mose 25,8–55).

Beim Neujahrsfest der Bäume hat sich letztlich Hillels Schule und damit der 15. Tag des Monats Schvat durchgesetzt. Am Halbfeiertag TU BiSchvat pflanzen Juden Bäume. Bei der Festlegung des Datums ging es konkret darum, ab wann die Früchte bei der Abgabe des Zehnten dem neuen Jahr zugerechnet werden. Der 15. Tag des Monats Schvat eignet sich gut dafür, weil in dieser Zeit die Regenzeit in Israel endet. Neue Früchte beginnen sich an den Bäumen zu formen.

Von: Elisabeth Hausen

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