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Das Leben gefeiert

Teilnehmer aus mehr als 45 Ländern marschieren am Dienstag durch die Straßen Jerusalems. Zum 70-jährigen Jubiläum sind sie nach Israel gekommen, um an die schmerzvolle Geschichte von Europäern und Juden zu erinnern. Außerdem wollen sie um Vergebung bitten und ein Zeichen für Israel und gegen Antisemitismus setzen.
Wegen seiner iranischen Herkunft konnte Afshin Shamsianpur nicht persönlich bei der Solidaritätskundgebung erscheinen

JERUSALEM (inn) – Fast 6.000 Menschen aus aller Welt sind am Dienstagnachmittag im Jerusalemer Saker-Park zusammengekommen, um sich auf den anschließenden „Marsch der Nationen“ vorzubereiten. Mit Wortbeiträgen, Musik und Grußworten wollten sie ihre Solidarität mit Israel und dem jüdischen Volk deutlich machen.

Der Marsch war sichtbarer Ausdruck von dem, was die dreitägige Konferenz des „Marsches der Nationen – Vereint, um Licht zu sein“ zum Ziel hatte: Die Aufarbeitung der Holocaust-Vergangenheit, Versöhnung zwischen den Nachkommen der Täter- und Opfergeneration sowie ein sichtbares Zeichen für Israel und gegen Antisemitismus setzen.

Die Tübingerin Bärbel Pfeiffer berichtete auf der Bühne: „Als Ingenieur war mein Großvater daran beteiligt, das Konzentrationslager Auschwitz aufzubauen. Er war für die 16 Kilometer Elektrozaun verantwortlich und baute an den Gaskammern mit.“ Mit ihrem Mann und ihren Kindern war sie nach Israel gekommen, um zu bezeugen: „Heute stehen wir als ganze Familie hier, um zu sagen: So etwas darf sich nie wiederholen. Israel, wir lieben dich und stehen an deiner Seite.“

„Bedingungslos“ möchte auch Afshin Shamsianpur zu Israel stehen. Der Iraner kam vor wenigen Jahren als Flüchtling nach Deutschland und kam in Tübingen zum Glauben an die Bibel. In seiner Gemeinde kam sein negatives Israelbild ins Wanken. Bei seiner Hochzeit im Oktober 2017 mit Carmen Matussek sang die Hochzeitsgesellschaft die israelische Nationalhymne „HaTikva“ auf Farsi. Weil er als Iraner kein Visum für Israel bekam, wurde sein Zeugnis in einer Videobotschaft in den Stadtpark übertragen: „Ich erkläre, dass es keinen weiteren Holocaust am jüdischen Volk durch den Iran geben wird. Ich stehe zu Israel, dem Gott Israels und dem jüdischen Volk.“

Außer dem Bürgermeister Nir Barkat grüßte auch der Parlamentsabgeordnete Jehuda Glick die Besucher im Stadtpark: „Ich hoffe, dass zum nächsten Marsch der Nationen 100.000 Menschen kommen. Gott segne euch und Jerusalem.“ Gemeinsam mit dem Gründer der Bewegung Jobst Bittner führte er den anschließenden Marsch an. Auf die Frage, was er in diesem Moment denke, sagte Glick begeistert: „Ich fühle mich wie im siebten Himmel. Worte sind zu klein, um auszudrücken, was ich fühle. Christen aus aller Welt kommen hierher, um uns zu zeigen, dass sie an unserer Seite stehen – so etwas hat die Welt noch nicht gesehen.“

Reaktionen der Jerusalemer

Tal, eine nationalreligiöse Israelin schaute sich mit ihrer Mutter und den zwei Kindern die Veranstaltung von außen an: „Wir wohnen direkt an dieser Straße. Einordnen, was hier passiert, kann ich nicht. Aber als dritte Generation von Holocaustüberlebenden berührt es mich, dass so viele Christen hierher kommen, um uns zu sagen, dass sie heute anders denken und zu uns stehen.“ Was sie dazu sage, dass viele der Teilnehmer Nachfahren von Nazis seien? „Wie gesagt, es ist schwer einzuordnen. Wichtig ist aber doch, dass sie erkannt haben, dass ihre Großeltern falsch lagen. Und dass sie selbst nun ihre Kinder in einem anderen Geist erziehen.“

Ein israelisch-amerikanischer Journalist begleitete den Marsch bis zum Ende von außen mit: „Nach allem, was wir in den vergangenen 24 Stunden an grundlosen Anschuldigungen an Israel gesehen haben, ist es ergreifend zu sehen, wie so viele Menschen, vor allem Deutsche und Polen, hierher kommen, um Israel und seinen Bürgern ihre Unterstützung zeigen.“ Der Mittvierziger war sichtlich gerührt: „Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, dass sie keine eigenen Interessen zu verfolgen scheinen. Ich habe schon so viele seltsame Dinge erlebt, wie zum Beispiel Christen, die sich mit einer Kippa bekleidet zum Schabbatgottesdienst in die Synagogen begeben und dort das Neue Testament verteilen. Doch auf dieser Veranstaltung habe ich keine Missionare gesehen. Sie haben uns Israelis einfach nur gezeigt, dass sie zu uns stehen.“

Das Leben feiern

Etwa 1.500 Holocaustüberlebende folgten der Einladung zum „Fest für das Leben“ am Abend in das Freiluftamphitheater Sultan’s Pool. Sie, ihre Familien und die zahlreichen Besucher aus aller Welt tanzten zu den Liedern des israelischen Sängers Gad Elbaz. Sie bewunderten einen bunten Tanz koreanischer Christen sowie grandiose Musikeinlagen des israelischen Geigers Sanya Kroiter.

Organisiert war der Abend in Zusammenarbeit mit dem „Marsch des Lebens e.V.“ und der Helping Hand Coalition, die sich um die Belange von Holocaustüberlebenden kümmert. Präsident Reuven Rivlin grüßte die Teilnehmer in einer Videobotschaft. Außerdem sprach Josch Reinstein, der dem „Ausschuss für christliche Verbündete“ in der Knesset vorsteht, welcher sich für Beziehungen zu christlichen Freunden Israels einsetzen möchte. Reinstein zitierte aus Psalm 126: „Da wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan! Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.“ Als er am Nachmittag die bunte Parade durch die Stadt ziehen sah, habe er gespürt, dass sich dieses Wort erfüllt habe: „Danke, dass ihr zu Israel steht. Eure Unterstützung bezeugt die Wahrheit der Bibel. Durch euren Glauben wird unser Glauben gestärkt.“ Es bewege ihn zu sehen, wie Menschen nicht nur die Sünden ihrer Vorväter bekennen, sondern wie sie dieses tun, indem sie sich heute an die Seite Israels stellen.

Bittner bedankte sich bei allen Teilnehmern und rief in Anspielung auf Jesaja 60,1 dazu auf: „Macht euch auf und werdet Licht! Wartet nicht, sondern werdet Teil der globalen Bewegung ‚Marsch des Lebens‘!“

Die Bewegung Marsch des Lebens wurde von Jobst und Charlotte Bittner und der Tübinger Gemeinde TOS 2007 ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Nachkommen deutscher Wehrmachts- und SS-Angehöriger veranstalten sie Gedenk- und Versöhnungsmärsche an Orten des Holocaust in Europa. In mehr als 350 Städten und 20 Nationen haben bisher Märsche des Lebens stattgefunden. Im April gab es den Marsch des Lebens rund um den israelischen Holocaust Jom HaScho’ah in 50 verschiedenen Städten weltweit statt. In Berlin war es in diesem Jahr bereits das vierte Mal.

Von: mh

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