JERUSALEM (inn) – Freunde haben ihn vor Konsequenzen gewarnt, seine Verwandten hat er vorsichtshalber erst gar nicht informiert: Ein saudisch-stämmiger Student aus London hat mit einer Reisegruppe für fünf Tage Israel besucht – und dort spannende Entdeckungen gemacht. Mit 54 anderen Studenten aus 25 Nationen bereiste der junge Mann, der nicht namentlich genannt werden will, unter anderem Tel Aviv, Be’er Scheva und Jerusalem. Die Gruppe erhielt Einblicke in führende Hightech-Unternehmen und traf sich mit Start-up-Investoren.
„Für mich ist es unpraktisch, dass es mit Israel und Saudi-Arabien zwei Länder gibt, die zwar direkt nebeneinander liegen, aber keine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zueinander haben“, resümierte der Student später gegenüber der Tageszeitung „Jerusalem Post“. Dabei gebe es doch „viele gemeinsame Interessen“ in der Region. „Juden und Araber sind gleich und das einzige, was uns trennt, ist die Religion“, gab der Student zu bedenken.
Verwunderung über nette Israelis
Zuvor hatte er viele für ihn überraschende Erfahrungen in Israel gemacht. „Der Durchschnitts-Tel Aviver genauso wie der Durchschnitts-Jerusalemer ist sehr nett“, beschreibt er seine Erfahrungen. „Dabei sehen wir die Israelis doch üblicherweise als skrupellos an.“
Zudem sei er überrascht gewesen, als er Araber gesehen habe, die in Israel leben, studieren, arbeiten, und Frauen, die teilweise sogar einen Hidschab, das heißt ein Kopftuch, tragen. „Ich dachte, dass alle Araber aus Israel vertrieben worden wären.“ Auch sei er „schockiert“ gewesen, als er in Tel Aviv eine Moschee entdeckt habe. Zum Hintergrund: Rund 20 Prozent der israelischen Staatsbürger sind Araber. Sie haben genau die gleichen Recht wie Juden.
Kritische Blicke erntete der Saudi bei seiner Entdeckungstour vor allem von arabischer Seite. Viele, mit denen er ins Gespräch kam, seien skeptisch, einige auch bösartig gewesen, weil er als Araber Israel besuchte. „Bei einem Besuch in der Al-Aksa-Moschee schaute mich ein Mann an, als wäre ich ein arabischer Verräter.“
Kritik an Ultra-Orthodoxen und Situation der Beduinen
Doch der Student sieht in Israel auch weiterhin bei Weitem nicht nur Positives. „Über die Lebensbedingungen der Beduinen im Süden ärgere ich mich“, erklärte er etwa der „Jerusalem Post“. Und dass die Israelis ständig über Demografie und über Anzahl und Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung redeten, störe ihn auch. Zudem zeigte er sich kritisch gegenüber ultra-orthodoxen Juden, weil „ich nicht mag, wie sie sich absondern“. Man könne doch nicht den ganzen Tag Gott anbeten und blind darauf vertrauen, dass es dann Geld vom Himmel regnet. „Man muss arbeiten!“
Und sogar davor, einen Vergleich zwischen dem Holocaust und der israelischen Politik zu ziehen, scheute er sich nicht. „Nach einem Besuch in Yad Vashem fühlte ich mich verantwortlich, Fragen zu stellen. (…) Der Holocaust war schrecklich, ein historischer Fehler, über den wir lange geschwiegen haben. Aber gleichzeitig passiert etwas in Israel, worüber wir auch reden sollten.“
Reisen haben „große Auswirkungen auf das Israel-Bild“
Eine Möglichkeit für Frieden sieht er dennoch – aber dann innerhalb der nächsten zehn Jahre. „Ansonsten wird die Spaltung der Völker für viele weitere Generationen Realität bleiben.“ Seinen studentischen Trip nach Israel würde er jedenfalls weiterempfehlen.
Gut also, dass das „Imperial College London“ solche Gruppenreisen auch zukünftig anbieten will. Der Präsident der Hochschule, Simon Weill, sagte der „Jerusalem Post“: „Möglicherweise setzen wir einen neuen Trend in Großbritannien, sodass weitere Unis unserem Beispiel folgen – auch weil es große Auswirkungen auf das Israel-Bild in Großbritannien hat, welches in der Regel äußerst schlecht ist.“
Von: ser