JERUSALEM (inn) – Die Zahl der arabischen Studenten an israelischen Universitäten ist zwischen 2013 und 2017 um mehr als 12.000 gestiegen. Deshalb belegen nun Angestellte der akademischen Einrichtungen Kurse, die ihnen die Kultur der Araber nahebringen. Denn diese fühlen sich meist fremd im jüdischen Milieu, wie der Israeli Rasul Sa’ada selbst festgestellt hat. Mittlerweile hält er als Dozent solche Seminare. An dem Programm nehmen unter anderen die Universität Tel Aviv, die Hebräische Universität in Jerusalem und die Ben-Gurion-Universität in Be’er Scheva teil.
Der Journalist Ben Lynfield hat sich für die Tageszeitung „Jerusalem Post“ einen Kurs zum kulturellen Bewusstsein in Tel Aviv angesehen, an dem etwa 50 Mitarbeiter der Universitätsverwaltung teilnahmen. Dem Bericht zufolge referierte Sa’ada am Dienstag unter anderem über die „Nakba“, wie Araber die „Katastrophe“ der israelischen Staatsgründung vor gut 70 Jahren nennen. Ein weiteres Thema sei die hohe Zahl von Gewaltverbrechen in arabischen Gemeinden gewesen.
„Nach der Zweiten Intifada wollte die Polizei keine arabischen Orte betreten“, sagte der Kursleiter. „Ein Vakuum für Verbrechen entstand.“ Von den sieben größten Verbrecherfamilien in Israel seien vier arabisch. Der Araber arbeitet für die Abraham-Fonds-Initiative (TAFI), eine Organisation, die sich um die arabisch-jüdische Koexistenz in Israel bemüht.
Regierung will mehr arabische Studenten
Nach Angaben von TAFI-Kodirektor Thabet Abu Rass liegt der Anteil der Araber in diesem Jahr erstmals an manchen Universitäten höher als 30 Prozent. Im Jahr 2013 waren laut Statistiken der israelischen Regierung noch 34.457 Araber an den Hochschulen des Landes eingeschrieben. 2017 wurden bereits 46.855 arabische Studenten gezählt. Die Regierung hat in den vergangenen fünf Jahren umgerechnet rund 1,2 Millionen Euro investiert, um mehr Araber an die Universitäten zu holen. So finanziert sie etwa Stipendien und Vorbereitungskurse.
Sa’ada selbst hat Jura an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan studiert. Von 2009 bis 2013 leitete er die arabische Abteilung der Nationalen Vereinigung israelischer Studenten. Dass er mit den Angestellten über „zügellose Gewalt in der arabischen Gesellschaft“ spricht, begründete er so: Er wolle den Zuhörern ein Gefühl dafür geben, womit arabische Studenten konfrontiert seien, wenn sie über das Wochenende heimfahren. „Es schafft eine große Dissonanz für sie, weil sie zu Hause Gewehrschüsse hören“, sagte er.
Ein weiterer Unterschied: Da Araber nicht zum Wehrdienst verpflichtet sind, kommen sie mit 18 Jahren an die Universität und sind damit drei Jahre jünger als ihre jüdischen Kommilitonen. „Es ist eine Zeit, in der man sich selbst kennenlernt“, beschreibt der Dozent die Erfahrungen der Studienanfänger. „Man beginnt, Araber aus anderen Teilen des Landes zu treffen. Man ist in einer ausländischen Sphäre. Man trifft Juden in einer anderen Weise. Bis dahin hat man sie nur als Polizist, Wachmann oder Händler in einem Einkaufszentrum getroffen.“
Entfremdung als großes Problem
Auch der vergleichsweise lockere Umgangston im jüdischen Sektor sei anfangs verwirrend. Erst nach einer Weile habe er sich an die Professoren gewöhnt, die darauf bestanden, mit Vornamen statt mit Titel angesprochen zu werden. „Sich frei zu fühlen, mit den Dozenten und dem Personal zu interagieren, ist eine Herausforderung.“
Eines der größten Probleme sei jedoch die Entfremdung. „Wir haben nicht das Gefühl, zu dem zu gehören oder an dem beteiligt zu sein, was um uns herum ist.“ Keine Stätten auf den Campussen seien nach Arabern benannt. Dies erhöhe das Gefühl, sich auf ausländischem Gebiet zu befinden. Mitunter bereite es Arabern Schwierigkeiten, in Tel Aviv eine Wohnung zu mieten. Hinzu komme die sprachliche Herausforderung – nicht nur wegen der Umgangssprache Hebräisch, sondern auch wegen einer Prüfung in Englisch, das für Araber die dritte Sprache ist.
Abu Rass von der Abraham-Fonds-Initiative spricht sich dafür aus, „den physischen und kulturellen Raum auf den Campussen zu verändern“. Er fordert arabische Schilder sowie eine Rücksichtnahme auf muslimische und christliche Feiertage. „Wir versuchen, das Bewusstsein für Vielfalt zu erhöhen, damit der Campus multikultureller sein kann.“ Dafür müsse sich auch die Zahl der arabischen Angestellten an den israelischen Universitäten erhöhen, meint er. Unterstützung erhält sein Anliegen vom Rat für höhere Bildung: Dieser habe die Einstellung von mehr Arabern zur Bedingung für finanzielle Zuwendungen an die Universitäten gemacht.
Von: eh