BERLIN (inn) – Die muslimische und pakistanische Rechtswissenschaftlerin Shaheen Sardar Ali erklärte bei einer Ringvorlesung des Jüdischen Museums in Berlin zum Thema Menschenrechte und Religion: „Was islamische Staaten tun, ist nicht unbedingt eine Reflektion dessen, was in religiösen Texten steht.“ So existiere im Islam etwa eine sogenannte Medina Charta, die den Einwohnern der Stadt Medina zu Zeiten des muslimischen Propheten Mohammed absolute Religionsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz garantiert habe. Ali verwehrte sich auch gegen den Vorwurf, der Koran sei frauenfeindlich. Dass er heute von religiösen Autoritäten so interpretiert werde, liege daran, dass er in einer patriarchalen Zeit offenbart worden sei und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Männer die Lehrautorität im Islam gehabt hätten.
„Der koranische Text ist offen für mehr als eine Interpretation“, sagte sie. Deshalb befürworteten einige islamische Staaten etwa die Polygamie, andere hätten sie unterbunden. Bei den heutigen Interpretationen des Koran gehe es oft mehr um Politik als um Theologie. Dass der Koran die Mehrehe befürworte, sei leicht zu widerlegen. Zwar erlaube er sie, aber nur zum Schutz von Witwen und auch nur dann, wenn der Mann die Frauen versorgen könne. Tatsächlich fokussierten sich islamische Lehrer oft nur auf wenige Verse des koranischen Texts anstatt, wie in diesem Fall, das ganze entsprechende Kapitel zu betrachten.
Nicht auf Unterschiede fokussieren
Ali sagte, es sei eine Schande, dass die Welt sich auf die Unterschiede zwischen religiösen Traditionen fokussiere. Tatsächlich kämen ihr manche jüdischen Ideen so vor, als entstammten sie ihrer eigenen Glaubenswelt. Sie sprach sich dagegen aus, dass sich religiöse Ideen an den international geltenden Menschenrechten messen müssten. Nur weil es die modernen Menschenrechte erst seit dem 20. Jahrhundert gebe, heiße das nicht, dass das Prinzip dieser Rechte nicht schon in den Traditionen von Islam, Judentum oder Christentum angelegt gewesen sei. Unfair sei es aber, jahrhundertealte Schriften mit modernen zu vergleichen. „Kontext und die Situation, in der Texte geschrieben wurden, müssen doch beachtet werden“, sagte Ali.
Die Rabbinerin Jill Jacobs ist davon überzeugt, dass die Idee der Menschenrechte bereits in den Grundlagen des Judentums – und damit auch des Christentums – verwurzelt ist. Jacobs ist auch Direktorin der Organisation T’ruah, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzt. „Jede Verletzung des Menschen ist auch eine Verletzung Gottes“, sagte sie bei einer Vorlesung in Berlin. Das leitete sie aus der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments ab. Demnach hat Gott den Menschen nach seinem Abbild geschaffen. Daraus resultiere auch der biblische Grundsatz, kein anderes menschliches Wesen zu töten oder zu verletzen – die Idee grundlegender Menschenrechte. Denn Juden, die sich als Geschöpfe Gottes begriffen, hätten nichts dazu beigetragen, diesen Status zu erhalten. Er sei der Wille Gottes und somit bedingungslos, so wie die Menschenrechte.
Von: al