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Wie Palästinenser Ostjerusalem sehen

Vor fünfzehn Monaten wurde das Palästinensische Nationalmuseum leerstehend eröffnet, nun zeigt es erstmalig eine Ausstellung. „Jerusalem lebt“ will Probleme der Globalisierung in der Stadt thematisieren und Ideen aufzeigen, die eine bessere Zukunft ermöglichen. Dabei wird vor allem deutlich, wie sehr sich die Palästinenser in der Opferrolle sehen.
Erstmals zeigt das Palästinensische Nationalmuseum eine Ausstellung

Über einen Fußboden erstrecken sich mehr als zweitausend Stücke aus fünf Zentimeter hoher Olivenseife. Drei Meter zwanzig mal zwei Meter achtundfünfzig ist das Rechteck groß. Auf der weißen Oberfläche sind rote Linien eingeprägt, die undefinierbare Muster bilden. Die Künstlerin Mona Hatoum ist 1952 im libanesischen Beirut geboren und nach dem Bürgerkrieg nach England gezogen. Heute lebt sie in London. Zu dem Werk hat sie eine Begebenheit ihres ersten Besuches in Israel 1996 inspiriert. Dort sah sie eine Landkarte, auf der Gebiete rot eingekreist waren, die laut den Abkommen von Oslo unter palästinensische Kontrolle fallen sollten, aber keine Verbindung miteinander hatten.

Auf der Oberfläche von Seifenstücken sind die Pläne von Oslo angedeutet Foto: Israelnetz/mh
Auf der Oberfläche von Seifenstücken sind die Pläne von Oslo angedeutet

Die Kurzbeschreibung des Museums vermerkt: „Das abstrakte Muster sieht aus wie ein Krebs auf einer Oberfläche, deren vergängliches Material sich eines Tages auflösen könnte und mit ihm auch all die Grenzen.“ Das Seifenrechteck ist eingebettet in die erste Ausstellung, die das Palästinensische Nationalmuseum beherbergt. In der Ausstellung werden Arbeiten von Palästinensern aus Ostjerusalem, der Westbank und dem Ausland gezeigt.

Berühmt und doch vergessen

Obwohl „Jerusalem und seine berühmten Symbole weltweit verbreitet“ seien, sei die Stadt „vergessen und leblos“ geworden. Grund dafür sei die Besatzung der Israelis. Diesem Umstand widmet sich die neu eröffnete Ausstellung „Jerusalem lebt“. Sie soll zeigen, wie Widerstand auch kulturell möglich sei. Die zahlreichen Fotos, Poster und Objektbeschreibungen lassen keinen Zweifel an der politischen Einstellung der Kuratoren. Künstler sollten hier die Möglichkeit bekommen, „eine kritische Stimme zu erheben, die beweist, dass Jerusalem nicht nur eine weit entfernte, unnahbare Ikone ist, sondern aus dem Leben von Menschen besteht“.

Seit der Besatzung durch Israel im Jahr 1967 würde Jerusalem vom Rest der Welt ignoriert, so melden die Aussteller. Internationale Filmdokumentationen der vergangenen Jahre über die Besatzung, die an verschiedenen Stationen anzuschauen sind, sollen das belegen. Vorgestellt werden Gegenstände, Kunstprojekte, Filme und Fotos. Die Existenz von Westjerusalem ist für den Besucher in den Ausstellungsgegenständen höchstens durch die Präsenz der gezeigten israelischen Soldaten beziehungsweise durch dokumentierte Landnahmen in der Zeit nach der Staatsgründung zu erahnen.

Kein Problem mit anderen Religionen?

Auffällig ist, wie sehr sich die Aussteller bemühen, nicht den Eindruck zu erwecken, es würde sich bei dem Konflikt um Jerusalem um einen religiösen handeln. Deshalb ist neben einzelnen Filmen und historischen Reiseführern, in denen die christlichen Gassen der Altstadt gezeigt werden und betont wird, wie sehr die Christen in das Land gehörten, ein ganzer Raum den drei monotheistischen Religionen gewidmet: Mehrere Objekte zeigen, in Holz geschnitzt, den islamischen Felsendom. Eine Intarsienarbeit sticht besonders hervor: die christliche Grabeskirche, ein Werk aus Bethlehem, das aus dem Jahr 1700 stammt. Dahinter sind griechisch-orthodoxe Ikonen auf einem großen Bild abgebildet.

Mehrere Kunstobjekte zeigen den Felsendom in Jerusalem Foto: Israelnetz/mh
Mehrere Kunstobjekte zeigen den Felsendom in Jerusalem
Auch Souvenirs, die sich in den zahlreichen Touristenläden finden lassen, sind ausgestellt Foto: Israelnetz/mh
Auch Souvenirs, die sich in den zahlreichen Touristenläden finden lassen, sind ausgestellt
Fotos zeigen die Schwierigkeiten der Besatzung Foto: Israelnetz/mh
Fotos zeigen die Schwierigkeiten der Besatzung
Im Garten ist ein Hinweis auf zwei Jahreszahlen, die sich in das Bewusstsein der Palästinenser eingeprägt haben: 1948 und 1967 Foto: Israelnetz/mh
Im Garten ist ein Hinweis auf zwei Jahreszahlen, die sich in das Bewusstsein der Palästinenser eingeprägt haben: 1948 und 1967

Weiterhin gibt es zwei jüdische Wandbehänge, gewebte und gemalte Pilgerlandkarten aus dem 18. Jahrhundert, aus Algerien und Rumänien. Doch inmitten der vielen politischen Symbole wirkt das Anliegen des Raumes nicht wirklich überzeugend.

Zumal nicht für den, der sich den Nebenraum anschaut. Dort werden zwei Videos gezeigt. Eines ist ein Werbevideo der Nichtregierungsorganisation „One Jerusalem“, die sich für die jüdische Identität Jerusalems einsetzt und auch nicht ausschließt, arabische Stadtviertel, die in den vergangenen Jahren in die Stadt eingegliedert wurden, wieder auszugliedern. Das andere Video zeigt den israelischen Parlamentsabgeordneten Jehuda Glick, der sich dafür einsetzt, dass Juden auf dem Tempelberg beten dürfen. Außerdem kommt ein weiterer Rabbiner zu Wort, der auf dem Tempelberg den dritten Tempel errichten möchte. Das Video vermittelt dem Zuschauer den Eindruck, die Errichtung des Tempels stünde unmittelbar bevor und die Juden sprächen sich ausnahmslos dafür aus.

Geschichten, die Emotionen wecken

Insgesamt setzt die Ausstellung stark auf Emotionen. In einem Raum kommen vor allem Texte zur Geltung, in denen Palästinenser aus aller Welt aus ihren Erinnerungen berichten. Johnny, zum Beispiel, ist in Beirut geboren und lebt heute in New York. Sein Vater stammt aus dem Libanon und seine Mutter aus Jaffa. Beide sind 1948 vertrieben worden. Er ruft den Ausstellungsbesucher auf: „Bitte macht Fotos vom Haus meiner Familie in Jerusalem, zusammen mit dem Straßennamen und den Namen der Bewohner. Gebt den Besatzern außerdem einen Brief von mir: Als ich jung war, waren mein Bruder und ich, an (dem Jerusalemer Stadtteil) Katamon interessiert und daran, wo unser Haus steht. Wir baten unseren Vater, uns den Stadtteil genau zu beschreiben. Aus Karton bauten wir den Stadtteil genau nach, mit seinen Straßen und Minihäusern. Mein Vater konnte jedem Haus einen Familiennamen zuordnen.“

Unter dem Brief steht eine Notiz: „Das Haus war genau dort, wo Johnny sagte, dass es sich befinden würde, in der Straße Mischmar Ha’am 12 in Katamon. Ich ging hinein, der zweite Stock wurde gerade für neue Bewohner renoviert. Die Arbeiter waren Palästinenser. Mosche, ein orthodoxer Jude, beaufsichtigte ihre Arbeit. Er sagte mir, dass 1950 ein Rabbi Sofer aus Ungarn gekommen und dort eingezogen sei. Er hatte dem ursprünglichen Haus zwei weitere Stockwerke aufgesetzt. Mosche sei einer seiner Studenten. Vielleicht hätte der Rabbi noch alte Bilder, er würde ihn fragen. Ich nahm seine Telefonnummer.

Heute lebt Rabbi Sofer im dritten Stock und vor einem Jahr ist ein neuer Mieter in das Erdgeschoss, also Johnnys Haus gezogen. Er heißt Vaksman und kommt aus Amerika.“

Zusätzliches Bildungsprogramm

Solche und ähnliche Geschichten sollen in einem zweibändigen Katalog herausgebracht werden, der sich mit dem Leben von Jerusalemern befasst, die in den vergangenen 100 Jahren in der Stadt einflussreich waren. Zusätzlich zur Ausstellung soll es ein gleichnamiges Bildungsprogramm geben, das in Zusammenarbeit mit der Quartalszeitschrift „Jerusalem Quarterly“ erarbeitet wurde. Salim Tamari, Direktor des Instituts für Palästinensische Studien an der amerikanischen Universität Georgetown, kommentiert: „Die Bände sollen die Vielfalt der Menschen zeigen, die in Jerusalem gelebt haben.“ Tagebucheinträge oder Biographien zeigten „vielfältige Merkmale ihrer religiösen Gemeinschaften, Stadtteile und der Modernität der Stadt“.

Die Ausstellung wird nach dem islamischen Opferfest Eid al-Adha bis Mitte Dezember zu sehen sein. Der Eintritt ist frei.

Nur wenige hundert Meter vom Gelände der Universität von Birseit sticht das 40.000 Quadratmeter große Museum mit seiner ungewöhnlichen Architektur aus der Landschaft und dem gewöhnlichen Baustil hervor. Ein Schild in der Eingangshalle des Museums zeigt übrigens an: „Jerusalem, Al-Quds, 22 Kilometer“. Wer dorthin zurück möchte, muss sich durch Kontrollpunkte und schlechte Infrastruktur hindurchwinden. Wer dann noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, kann durchaus zwei Stunden für diese kurze Strecke brauchen. Spätestens dann ist klar, dass es häufig einen Unterschied zwischen der tatsächlichen und der gefühlten Wirklichkeit gibt.

Von: Merle Hofer

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