BERLIN (inn) – Arabische Gesänge erklingen, ein junger Mann mit schwarzen Locken und schwarzem T-Shirt steht rauchend am Mikrofon, bewegt den Kopf im Rythmus seines Lieds, blickt ins Publikum: Menschen zwischen 20 und 35 tanzen, trinken, klatschen und freuen sich an der Kultur ihrer Heimat. Denn diese Feier findet nicht in Tel Aviv oder den Palästinensergebieten statt. Hier feiern eingewanderte Israelis mitten in Deutschland unter dem Titel „Hafla“, arabisch für Party.
Das Video, das die Veranstaltung zeigt, stammt aus einer Sammlung der Ethnologin Katja Harbi. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Dani Kranz hat sie an der Universität Wuppertal das Leben israelischer Migranten in Deutschland untersucht. Herausgekommen sind zum einen Foto- und Videodokumente von Harbi zum Thema, zum anderen die einzige breit angelegte ethnigrafische Studie über Israelis in Deutschland. Ein wichtiges Identitätsmerkmal, das die Forscherinnen bei den Eingewanderten ausgemacht haben, fasst Harbi bei der Vorstellung ihrer Arbeiten am Donnerstag in Berlin so zusammen: „Wir lassen unsere Identität nicht hinter uns.“
Kleine Gruppe, große Aufmerksamkeit
Die von Kranz geleitete Studie „Israel*innen in Deuschland – Ideologische Debatten im Wandel“, die im Dezember in Buchform erscheint, beschäftigt sich mit israelischen Juden, die seit 1990 in die Bundesrepublik eingewandert sind. Die meisten der Befragten sind seit ein bis sechs Jahren in Deutschland. Ausgewertet haben die Experten knapp über 800 Fragebögen. Zudem haben sie statistische Daten erhoben, etwa die Zahl der Israelis in Deutschland – und die, so Kranz, wird meist überschätzt. Wohl, weil das Hebräisch fremd klinge und deshalb auffalle, weil sie lauter aufträten als andere Nationalitäten und, weil sie oft mit israelischen Touristen verwechselt würden. Knapp 13.000 israelische Staatsbürger leben in Deutschland, Tendenz steigend: „Eine nicht allzugroße Gruppe, die mit einer unglaublichen Aufmerksamkeit überschüttet wird“, sagt Kranz.
In Deutschland würden israelische Migranten willkommen geheißen, und das aus gutem Grund: Sie zählten nicht zu Armutseinwanderern, kämen vor allem aus beruflichen Gründen in die Bundesrepublik, zum Studieren, oder aus kulturellem Interesse sowie schlichter Abenteuerlust. „Einen eingewanderten Israeli, der Hartz IV bezieht, gibt es eigentlich nicht“, stellt Kranz fest. Die Erinnerung an den Holocaust dominiere das Bild der Israelis in Deutschland. Eingewanderte würden grundsätzlich in Verbindung mit der Scho’a oder dem Nahostkonflikt gebracht, nicht unbedingt ein Vorteil, wie Kranz erklärt: „Denn nicht jeder Israeli, der hier ist, will immer über Politik sprechen.“
Jung, säkular, links
Statistisch gesehen wandern Israelis nicht häufiger ein als andere Nationalitäten. Die meisten sind nach 1974 geboren, mehr als 50 Prozent ledig, 54 Prozent der Ehepartner deutsch. Überproportional vertreten sind mit 72 Prozent Geistes, Kunst- und Sozialwissenschaftler. 80 Prozent sind politisch moderat bis links, 70 Prozent bezeichnen sich als säkular.
Die Gründe, die die Migranten ausgerechnet nach Deutschland führen, sind nicht dieselben, die sie dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Ausschlaggebend für die Auswanderung sind neben beruflichen und ökonomischen Erwägungen auch die Rolle des Glaubens im privaten Umfeld: „Knapp 50 Prozent empfinden die jüdische Religion im eigenen Staat als übergriffig, damit haben wir nicht gerechnet“, sagt Kranz. Deutschland werde in diesem Zusammenhang als sehr frei wahrgenommen. Auch der Nahostkonflikt wird als Dauerbelastung erlebt, der eine Auswanderung begünstigt.
Jeder Fünfte erlebt Antisemitismus
80 Prozent der Israelis empfinden es trotz der NS-Vergangenheit nicht als schwer, in Deutschland zu leben. Im Gegenteil: Während Deutsche von Israelis weitgehend als neutral wahrgenommen würden, gelte der Palästinenser oder Araber als „der neue Andere“, so die Forscher. Und das, obwohl zwanzig Prozent angaben, in Deutschland bereits Antisemitismus erlebt zu haben, meist in Form von Antiisraelismus. Pegida und die AfD stuften die Befragten als gefährlich ein. Vor ihnen fürchteten sie sich mehr als etwa vor einer potenziellen Gefahr durch Flüchtlinge.
Die jüdische Identität, so erklärt Kranz weiter, verstärke sich in Deutschland mit Dauer des Aufenthalts. Die hebräische Sprache werde an die Kinder weitergegeben, jüdische Traditionen ebenfalls und sogar dann, wenn sich die Befragten als nicht religiös empfänden. So erklärt sich auch die Rückbesinnung auf die landeseigene Poesie oder Musik bei den Haflas, die Katja Harbi gefilmt und fotografiert hat. Zwar seien Israelis in Deutschland gut integriert. Assimilieren ließen sie sich aber nicht, betonen die Wissenschaftlerinnen. Oder anders: Einmal Israeli, immer Israeli.
Von: al