JERUSALEM (inn) – Sechs Überlebende entzünden am bevorstehenden Holocaustgedenktag, dem Jom HaScho’ah, Fackeln. Sie stehen für die sechs Millionen Juden, die während der nationalsozialistischen Herrschaft ermordet wurden. Bei der offiziellen Zeremonie am Sonntagabend in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem erzählt auch ein Opfer seine Geschichte.
Die Ansprache hält in diesem Jahr Esther Miron, die aus Ungarn stammt. 1944 wurde sie in Budapest inhaftiert, weil sie den gelben Stern nicht trug. In Auschwitz überstand sie 17 „Selektionen“, bei der neunten wurde ihre Schwester ins Gas geschickt. Im April 1948 erreichte sie das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Sie studierte in Jerusalem Geschichte des Jüdischen Volkes und recherchierte in den 1990er Jahren auch in Ungarn. Die Witwe hat zwei Töchter, sechs Enkel und ein Urenkelkind.
Fackelanzünder aus Griechenland, Polen und Algerien
Einer derjenigen, die eine der sechs Fackeln anzünden dürfen, stammt aus Griechenland. Mosche Ha-Elion wurde 1925 in Thessaloniki geboren. Er überlebte das Vernichtungslager Auschwitz und die Todesmärsche. Bereits 1946 gelangte er nach Palästina. Derzeit leitet er das Zentrum der Organisationen von Holocaustüberlebenden in Israel. Der Witwer hat zwei Kinder, sechs Enkel und fünf Urenkel.
Mosche Jakubowitz kam 1929 in Warschau zur Welt. Seine Bar Mitzva erlebte er im Ghetto der polnischen Hauptstadt. Nach der Deportation in das Vernichtungslager Majdanek kam er unter anderem nach Flossenbürg. Auf einem Todesmarsch nach Dachau gelang ihm die Flucht. 1946 hörte er den späteren israelischen Premierminister David Ben-Gurion in Frankfurt am Main. Deshalb entschied er sich für die Einwanderung nach Palästina, obwohl er schon die nötigen Papiere für die USA besaß. Er wurde von den Briten auf Zypern festgehalten und kam im April 1948 ins spätere Israel. Der Bauleiter hat drei Kinder, acht Enkel und neun Urenkel.
Jeannine Sebbane-Bouhanna wurde 1929 in Algerien geboren. 1938 wanderte ihre Familie nach Paris aus. Nach der Besetzung durch die Nazis versteckten Bauern sie und mehrere Angehörige in einem Dorf, später konnten sie ins unbesetzte Südfrankreich fliehen. Sie heiratete in Algerien und kehrte nach Frankreich zurück. 1992 immigrierte sie nach Israel. Sie hat fünf Kinder, zwölf Enkel und 17 Urenkel.
Vom Vater bei Massenerschießung gerettet
Mosche Porat, geborener Frisch, kam 1931 in Ungarn auf die Welt. Unter der Naziherrschaft musste er Zwangsarbeit in Debrecen leisten. Ein Deportationszug, in dem er sich befand, wurde auf dem Weg nach Wien von Allierten bombardiert. Im Sommer 1948 kam er nach Israel und ließ sich in einem Kibbutz nieder. Der Witwer hat vier Töchter, 15 Enkel und elf Urenkel.
Max Privler wurde 1931 in einem Gebiet von Polen geboren, das heute zur Ukraine gehört. Bei einer Massenerschießung im Wald stieß ihn sein Vater in die Todesgrube und wurde über ihm erschossen. Er selbst wurde an der Schulter getroffen und schloss sich den Partisanen an, später kämpfte er für die Rote Armee. 1990 wanderte er von der Ukraine nach Israel ein. Der Witwer hat zwei Kinder, fünf Enkel und sechs Urenkel.
Elka Abramovitz kam 1932 im damals rumänischen Bessarabien auf die Welt, das heute zur Ukraine gehört. Die Nazis zwangen sie und ihre Familie zu einem Fußmarsch nach Transnistrien, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurden. Nach dem Krieg wurde sie von den Briten auf Zypern interniert, erst im März 1948 gelangte sie nach Palästina. Sie kümmert sich unter anderem um die Angehörigen gefallener israelischer Soldaten. Die Witwe hat drei Kinder, zehn Enkel und sechs Urenkel.
Am Donnerstag hat sich Regierungschef Benjamin Netanjahu mit den sieben Überlebenden getroffen. „Die Geschichten sind bewegend“, zitiert ihn das Nachrichtenportal „Arutz Scheva“. „Geschichten voller Schrecken und voller Ruhm. Jede Geschichte ist erstaunlich, und zusammen sind sie die Geschichte unserer Nation, die aus der Todesgrube emporgestiegen ist – es ist die Geschichte unserer Auferstehung.“
Gesetzesvorschlag: Mehr Zuwendungen für Überlebende
Indes haben israelische Abgeordnete am Mittwoch eine bessere Versorgung für Überlebende gefordert, die erst nach 1953 einwanderten. Nach ihrem Gesetzesvorschlag sollen diese Juden unter anderem eine jährliche Zuwendung von umgerechnet rund 914 Euro erhalten. Eine Umsetzung würde den Staat 165.000 Euro pro Jahr kosten, schreibt die Tageszeitung „Yediot Aharonot“.
Betroffen sind ungefähr 78.000 Opfer der Scho’ah, die aufgrund ihrer späten Einwanderung nicht das Recht für die „Versehrten Opfern der Naziverfolgung“ erhalten haben. Dem Bericht zufolge wollen die israelischen Politiker wegen der Finanzierung auch Gespräche mit der deutschen Bundesregierung aufnehmen.
Der Jom HaScho’ah beginnt am Sonntagabend. Auf dem Platz des Warschauer Ghettos in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem entzünden die Überlebenden die sechs Fackeln. Am Montagmorgen ertönen landesweit zwei Minuten lang Sirenen. Sie gemahnen die Bevölkerung, innezuhalten und der Opfer der nationalsozialistischen Judenvernichtung zu gedenken. Bei einer offiziellen Veranstaltung in Galiläa wird der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck erwartet. In der polnischen Stadt Oswiecim, wo sich das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befand, beteiligen sich unterdessen zahlreiche Jugendliche aus aller Welt am „Marsch der Lebenden“.
Von: eh