Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen – dies fordert die Anti-Israel-Kampagne BDS. In seinem jüngsten Video-Clip bezeichnet der Londoner Rabbiner Jonathan Sacks die Kampagne als „falsch und gefährlich“. Weder Jude noch Humanist könne tatenlos dabei zusehen, wie sich die Bewegung für die Vernichtung Israels stark macht. Aus diesem Grund veröffentlichte er Ende Februar den Clip mit Hintergrundinformationen zur Kampagne.
Gleich am Anfang des Video-Clips stellt Jonathan Sacks klar: Er befürwortet das Recht der Palästinenser auf ein Leben in Würde und Hoffnung, sowie das Recht auf einen eigenen Staat. Rechte, für die sich auch die BDS-Kampagne stark macht und einsetzt. Laut Sacks wird sie jedoch „nichts davon erreichen“. Letztendlich schade die Bewegung eher denjenigen, denen sie helfen will.
Unter dem Banner „Menschenrechte“
Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, bis Israel „internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachkommt“: So formuliert die BDS-Kampagne ihr Ziel auf der Homepage. Unter dem Slogan „Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit“ setzt sich die Kampagne für Palästinenser und Menschenrechte ein. Der Rabbiner legt diese Aussage auf die Waagschale: Setzt sich die Kampagne wirklich für Menschenrechte ein? Oder ist das nur ein Deckmantel? Sacks argumentiert für Letzteres.
Die Basis einer Bewegung, die sich für Menschenrechte, Frieden oder Gerechtigkeit einsetzt, ist für den Briten klar: gegenüber allen Seiten gleiche Fairness ausüben, gleiche Rechte anerkennen, gleiches Vertrauen gewinnen und ein gleichermaßen geltendes Abkommen finden. Menschenrechte sind laut Sacks Maßstab für jede Nation. Bei dem Kampf für Menschenrechte sollte es nicht selektiv um einzelne Personengruppen mit Ausschluss von anderen gehen, sondern diese Rechte sollten universell geltend gemacht werden. Sacks kritisiert, dass die BDS-Bewegung Menschenrechte nicht für alle Menschen gleichermaßen geltend machen will. Der Rabbiner stellt klar, dass sowohl die Rechte der Israelis, als auch die der Palästinenser gleich zu behandeln sind: „Rechte sind universell oder sie sind nichts.“
Würde es der Bewegung wirklich um Menschenrechte gehen, dann würden ihre Unterstützer gegen deren Verfall in anderen Ländern des Nahen Ostens, Afrikas und anderen Regionen der Welt protestieren, meint der Londoner Rabbiner. „Sie würden ebenso gegen die Grausamkeiten des IS demonstrieren, wie auch gegen Menschenrechtsverstöße der Hamas in Gaza.“ Sich in einer Welt, die voller Menschenrechtsverletzungen ist, nur auf eine Nation zu konzentrieren, sehe nicht nach einer Kampagne für Menschenrechte aus. Vielmehr zweifle BDS das Existenzrecht der einzig echten Demokratie im Nahen Osten an.
Unter die Lupe genommen: Antisemitismus und Existenzrecht
Sacks reiht die BDS-Kampagne an eine Folge anderer Versuche, Israel zu zerstören. Militärisch, ökonomisch, moralisch, politisch – in der Geschichte, und insbesondere auch seit der Staatsgründung Israels 1948, wurde laufend versucht, Israel zu delegitimieren und abzuschaffen. Jedoch erfolglos. Sacks kommentiert dazu: Auch dieses Mal wird es scheitern, aber die Lage ist ernst.
Grundlage der Kampagne ist das Existenzrecht Israels. Israel sei nach wie vor als Staat von Nachbarstaaten, wie auch Demonstranten der BDS-Bewegung nicht anerkannt. Rückblickend auf die Geschichte ist Israel jedoch mehr, als „eine koloniale Präsenz im Nahen Osten“. Sacks versteht die Kampagne als „die jüngste Form des alten Hasses, des Antisemitismus“. Rechte, wie Menschenrechte, als „versteckte Form von Hass“ zu nehmen, mache aus Recht Unrecht.
Sacks sagt’s
Ohne Scheu spricht Sacks, langjähriger britischer Oberrabbiner, Themen wie Menschenrechte, religiöse Gewalt und Antisemitismus an. Dies zeigte er unter anderem 2016 vor dem EU-Parlament in Brüssel. In den sozialen Medien wie Facebook oder YouTube nimmt Sacks in kurzen Videoclips Stellung zu aktuellen Fragen. In den Clips verwendet er „einfache, aber aussagekräftige Zeichnungen“ im Comicstil, wie es die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ ausdrückt. Faktenreich kommentiert der Rabbiner die Comics und bezieht Stellung zu aktuellen Themen.
Wie Sacks in seinem jüngsten Comic-Video die BDS-Bewegung genauer betrachtet, so nimmt ein gezeichneter Karikaturen-Charakter in der Person eines Inspektors Länder mit Verstößen gegen die Menschenrechte genauer unter die Lupe. Alle inspizierten Länder bekommen grünes Licht. Doch schließlich bleibt der Inspektor für Menschenrechte bei dem verhältnismäßig kleinen Land Israel hängen. Das Land der „einzigen effektiven Demokratie“ im Nahen Osten leuchtet rot auf.
Demonstranten verbildlichen die aktuelle Lage mit mürrischen Gesichtern und geballten Fäusten. Mit Megaphonen und Schildern rufen sie zum Boykott gegen Israel auf. Eine Schrift unter der Szene macht jedoch klar, dass es um mehr als einen Boykott geht: Die Kampagne richtet sich gegen das bloße Existenzrecht des Staates Israel. Sacks bezieht klar Stellung. Er weist auf Ungereimtheiten der BDS-Bewegung hin und macht mit den einfachen Karikaturen Zusammenhänge, Hintergrundinformationen und den Grund seiner Kritik gut verständlich.
Einsatz für interreligiösen Dialog
Ob in der Presse, im Fernsehen oder im Radio – der Rabbiner geht sowohl auf aktuelle, als auch auf kontroverse Fragen ein. Er bezieht sich auf Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Kultur und Religion. 2015 veröffentlichte er sein erstes Animationsvideo „Why I am a Jew“ (Weshalb ich Jude bin). In diesem knapp sechseinhalb minütigen Video zeichnet der Rabbiner mit einfachen, doch präzisen Karikaturen und Kommentaren ein volleres Bild von der Identität als Jude. Der Video-Clip wurde in den sozialen Medien mit vielen verschiedenen Untertiteln veröffentlicht und weiter verbreitet. Mittlerweile wurde er von über einer Millionen Menschen gesehen.
Die Karikaturen-Clips des 59-Jährigen sind nicht nur in Großbritannien bekannt, sondern werden auch weltweit in jüdischen Schulen, Verbänden und Organisationen gezeigt. Als Professor, Redner und Autor setzt sich der gebürtige Londoner für interreligiösen Dialog ein. Sacks betont, wie wichtig es ist, dass Religionen im öffentlichen Diskurs eine Stimme bekommen, gegenseitiger Respekt und Freundschaft der Religionen verbessert wird, und dass sich Gläubige öffentlich zu ihrem Glauben bekennen.
Von: Christina Schießl