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Analyse: Kompromisslos für das Leben

Israelis sind ständig Tod und Terror ausgesetzt. Umso mehr feiern sie das Leben. Von dieser Haltung können Europäer lernen.
Feiern in Widrigkeit: Juden haben an Anschlagsorten auch schon einmal die Torah gefeiert (Symbolbild)
Was für die USA „der 11. September“ war, ist für Frankreich „13.11.“, der 13. November 2015. Westliche Medien bezeichnen ihn als den größten Gewaltakt in Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg. Für Israel ist das „24/7“ – rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, pausenlos Realität. Das jedenfalls suggeriert eine Grafik, die im Internet kursiert und unter der Überschrift „Paris 13/11“ den Eiffelturm zeigt, unter „New York 9/11“ das brennende World Trade Center unmittelbar vor seinem spektakulären Einsturz, und unter „Israel 24/7“ eine von Qualm und Schmutz, der bis ins rötliche geht, verdreckte Israelfahne.

Kompromisslose Ideologie

Richtig an der Botschaft dieser Grafik ist, dass die Attentäter von „9/11“ und „13/11“ denselben ideologischen Hintergrund haben. Es handelt sich um dieselbe „DNA“, oder „Terrorgeschwulst“, die den jüdischen Staat Israel nicht zur Ruhe kommen lässt. Bislang hat kein Medikament, keine Chemotherapie und keine Bestrahlung etwas dagegen auszurichten vermocht. Es ist weder Armut noch Besatzung, weder Unterdrückung noch ein Mangel an Bildung, der Palästinenser aller Altersgruppen und jedweden Geschlechts zu sinnlosen, selbstmörderischen Hassaktionen hinreißt. Vielmehr ist es eine kompromisslose religiöse Ideologie, die immer mehr junge Menschen aus aller Welt in ihren Bann zieht. Nicht Hoffnungslosigkeit treibt sie in den Tod, sondern die Hoffnung auf eine Welt, in der sich alle der Scharia, dem islamischen Recht, unterwerfen. Besonders attraktiv erscheinen in einer immer komplexer wirkenden Welt die klare Einteilung in Gut und Böse, einfache, nicht diskutable Ordnungen und „Action“. Für Europa ist das Ansinnen dieser Reformbewegung innerhalb des Islam, die mit dem Auftreten von Mohammed Ibn Abd el-Wahhab im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm, eine Bedrohung seiner Kultur, Rechtsordnung und Gesellschaftsform. Anfang des 20. Jahrhunderts erwuchs aus dem wahhabitischen Islam, der in Saudi-Arabien Staatsreligion ist, die Muslimbruderschaft in Ägypten, deren palästinensischer Arm die Hamas ist. Auch Organisationen wie der Islamische Dschihad oder Al-Qaida mit all ihren Abspaltungen, von Boko Haram in Nigeria bis Dschemaah Islamija in Indonesien und Abu Sajaf auf den Philippinen, haben ihre Wurzeln im wahhabitischen Gedankengut.

Dem Terror trotzen

Für das jüdische Volk und seinen Staat ist diese Ausprägung des Islam, die heute das Geschehen weit über den Nahen Osten hinaus entscheidend bestimmt, eine existentielle Bedrohung. Die Hamas, die angesichts des IS wohl schon als „gemäßigt“ einzuordnen ist, kämpft nicht nur für ein Ende der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete. Sie verfolgt nicht nur die Vernichtung des jüdischen Staates Israel und ein Ende zionistischer Ambitionen. Das erklärte Ziel der Hamas ist die Auslöschung des jüdischen Volkes weltweit. Ein anderer Schluss ist jedenfalls kaum möglich, wenn man ernst nimmt, dass die Hamas-Charta am Ende von Artikel 7 unter der Überschrift „Die Universalität der Hamas“ den Propheten Mohammed aus einem Hadith zitiert: „Die Zeit [der Erlösung] wird nicht kommen, bis Muslime die Juden bekämpfen (und töten), bis die Juden sich hinter Felsen und Bäumen verstecken, die schreien: ‚Muslim! Hier versteckt sich ein Jude hinter mir, komme und töte ihn!“ Das jüdische Volk ist zutiefst geprägt von dem Bewusstsein, dass es seit jeher Menschen gab, die seine Vernichtung wünschten und ganz praktisch anstrebten. Nicht selten waren das die Großmächte dieser Welt, angefangen vom biblischen Pharao, der alle israelitischen Erstgeborenen den Krokodilen zum Fraß vorwerfen ließ. Dass Europa so einfach akzeptiert, dass ein UN-Mitglied – der Iran – so einfach die Vernichtung eines anderen – Israels – ganz offiziell propagiert, ist angesichts der europäischen Mentalität und Werte erstaunlich. Israel scheint sich damit abgefunden zu haben, dass es Todfeinde hat, und dass man mit einer Bedrohung, die sich ständig wandelt, leben muss. Das zurückliegende Jahrhundert hat dem jüdischen Volk immer wieder bewiesen: Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns niemand. Bei allem Schrecken, den Gewalttaten verbreiten, ist deshalb in der israelischen Gesellschaft gegenüber terroristischen Gewalttaten eher ein verbissener Trotz als Panik oder Resignation zu spüren. Die Alternative zum Leben mit Terror ist das Sterben durch den Terror. „Wir lieben den Tod!“, ist das Motto der Hamas. „Wir werden leben!“, setzt dem ein 86-jähriger Israeli entgegen, der alle Höhen und Tiefen des jüdischen Staates persönlich miterlebt hat. Er hat sein Land nur einmal verlassen: Anfang der 1940er-Jahre hat er Beirut besucht. Und er ist nur einmal in seinem Leben geflogen: Von Tel Aviv nach Kirijat Schmonah zu einem Ausflug auf den Golanhöhen. „Wir werden leben!“, murmelt der Alte trotzig in den struppigen Bart. Zur so genannten „Messer-Intifada“ und der aktuellen Lage will er nichts sagen. „Schalte Kol HaMusika ein“, er zeigt auf das Radio, „dort spielt man Mozart und Bach!“ Aber dann kehren seine Gedanken doch noch einmal zur Hamas zurück, er meint: „Es gibt keinen Kompromiss zwischen Leben und Tod. Und wir haben uns für das Leben entschieden!“ Diese Einstellung prägt das Leben im modernen Israel. Ziel der Islamisten ist es, die Juden einzuschüchtern. Deshalb präsentieren sich Israelis nachdrücklich selbstbewusst. Der Terror soll das tägliche Leben durcheinander bringen, am besten verunmöglichen. Deshalb unternehmen Israelis jede Anstrengung, das Leben so normal wie irgend möglich weiterzuführen. Terrorszenen verschwinden innerhalb kürzester Zeit. Meist ist der Ort eines Anschlags schon am nächsten Tag wieder hergestellt. Dem Herrschaftsanspruch von Terror und Tod setzt die israelische Gesellschaft ganz bewusst die Feier des Lebens entgegen. Selbst Familienmitglieder von islamistischen Terrorführern aus dem Gazastreifen oder verletzte Kämpfer aus der syrischen Hölle erfahren in Israel medizinische Hilfe auf höchstem Niveau. Wenn palästinensische Muslime als Grund für ihre Terroraktivitäten angeben, die Juden müssten verschwinden, fordert die israelische Gesellschaft von ihrer Regierung den Bau neuer Siedlungen – auch wenn dies „politische Horizonte“ westlicher Diplomaten und Politplaner verdüstert.

Vorbild für Europa

Europäer und Amerikaner träumen von einer besseren Welt, in der alle, unabhängig von ihrer kulturellen, religiösen oder ethnischen Prägung, friedlich nebeneinander leben. Europa ist zutiefst vom Guten im Menschen überzeugt und scheint sich seiner missionarischen Neigungen noch nicht wirklich entledigt zu haben. Der Westen meint noch immer, seine eigenen Überzeugungen, seine Lebens- und Gesellschaftsform seien letztendlich maßgebend und zukunftsträchtig für die ganze Menschheit. Europäer, die im Schatten von „13/11“ Orientierung und Halt suchen, sollten beim Blick auf Israel vielleicht auch einmal bemerken, dass es in diesem Land nicht nur Konflikt zwischen Juden und Muslimen, Israelis und Arabern gibt. Mehr als sechs Jahrzehnte real existierender Zionismus ist vor allem eine Erfolgsstory der Koexistenz von Menschen unterschiedlichster Prägung. Mehr als zwanzig Prozent der Israelis sind Nichtjuden, viele Araber, die meisten Muslime. Eine kleine Zahl von gewaltbereiten Extremisten kann ein furchtbares Blutbad anrichten, einen – so die Worte des französischen Präsidenten – „Krieg“ vom Zaun brechen. Dabei könnte Israel terrortraumatisierten Europäern aber auch als Ermutigung dienen, als Zeichen der Hoffnung, als Beweis dafür, dass ein Zusammenleben von verschiedenen Religionsgemeinschaften, Kulturen und Ethnien möglich ist. Muslimische Araber sind heute als israelische Staatsbürger in allen Gesellschaftsschichten, in allen politischen Parteien, auf allen Ebenen von Politik und Bürokratie vertreten. Viele Muslime setzen in der israelischen Armee ihr Leben bei der Verteidigung ihres Landes aufs Spiel. Vor einigen Jahren hat ein arabischer Oberster Richter gar mit Mosche Katzav einen ehemaligen jüdischen Staatspräsidenten zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. (jg)

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