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„Ein Trauma, das verarbeitet werden muss“

Am 24. April jährt sich der Beginn des Völkermordes an den Armeniern. Aghet, Katastrophe, nennen diese den Massenmord, der vor 100 Jahren an ihrem Volk begangen wurde. Die Türkei und Israel haben den Genozid bis heute nicht anerkannt. Die Regierungs-Fraktionen im Bundestag haben sich unterdessen erstmals darauf geeinigt, das Massaker als „Völkermord“ zu bezeichnen.
Armenische Waisenkinder im türkischen Merzifon, 1918

Als zäh und widerstandsfähig beschreibt der jüdische Autor Franz Werfel 1933 in seinem Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“. Er meint die Armenier, die sich in seinem Buch gegen die mordenden Türken zur Wehr setzten.
Am 24. April 1915 vertrieben die „Jungtürken“, Anhänger einer osmanisch-nationalistischen Partei, armenische Intellektuelle aus Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Einen Monat später trat das „Gesetz über Bevölkerungsumsiedlung“ in Kraft. Der damalige amtierende Innenminister Talat Pascha ordnete eine „Massenumsiedlung“ an, die allen im Osmanischen Reich lebenden Armeniern galt. Einige der „Jungtürken“, die aktiv an Deportation, Enteignung oder Mord an den Armeniern beteiligt waren, halfen in späteren Jahren Mustafa Kemal Atatürk, die Türkische Republik politisch aufzubauen. Atatürk ist der Begründer der heutigen Türkei.
Aus der Massenumsiedlung wurden Todesmärsche: Hunderttausende Armenier wanderten ziellos in die mesopotamische Wüste und starben dort.
Osmanische Soldaten exekutierten armenische Männer am Wegrand. Aus Verzweiflung warfen armenische Frauen ihre Säuglinge in den Tigris. Schwangeren Frauen, die sich zur Wehr setzten, wurden bei lebendigem Leib die Kinder aus dem Bauch geschnitten. Armenische Mädchen wurden vergewaltigt und in türkischen Harems gehalten. Kinder wurden aus ihren Familien gerissen und verschleppt. Um zu überleben, konvertierten einige zum Islam.
Armenier wurden durch Kreuzigungen, Enthauptungen und Häutungen ermordet. Die Armenier litten als Christen und mussten um ihres Glaubens willen sterben.
Die Grausamkeiten, die den Armeniern widerfuhren, sind nicht in Worte zu fassen. Christine Tersibaschjan, eine Augenzeugin der Massaker, sagte 1921 vor einem Berliner Schwurgericht: „„Was ich erzählt habe, ist noch viel weniger als die Wirklichkeit. Es war viel schlimmer.“ 1,5 Millionen Armenier kamen durch osmanische Türken ums Leben.
Verfolgung, Kreuzigungen, Enthauptungen und Zerstörung von Kulturgütern gehören heute wieder zum Alltag der Christen im Nahen Osten. Die Verbrechen der osmanischen Türken an den Christen wiederholen sich heute durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak und Syrien.

Wie kam es zum Genozid?

Die Türken im Osmanischen Reich fürchteten einen kollektiven Aufstand der Armenier. Diese hätten mit Russland paktieren und einen Krieg gegen die Osmanen anzetteln können. Die Ängste waren unbegründet: Militärisch stellten die Armenier für die Türken keine Bedrohung dar.
Es war wohl der Neid auf den wirtschaftlichen Erfolg der Armenier, der die Türken gegen die diese aufbrachte. Die Armenier gehörten zur Elite im Osmanischen Reich. Unter ihnen waren Ärzte, Lehrer, Kaufleute und Geistliche. Viele hatten in Frankreich oder den USA studiert und waren hoch gebildet.

Wie steht die heutige Türkei zum Genozid?

Bis heute erwähnen türkische Schulbücher mit keiner Silbe den Massenmord an den Armeniern um 1915. In der Türkei ist das Thema ein heißes Eisen und kaum einer wagt es, dieses anzupacken. Die Forderung nach Meinungsfreiheit und Geschichtsaufarbeitung kann in der heutigen Türkei das Leben kosten. Ein Beispiel ist Hrant Dink, ein türkisch-armenischer Publizist, der 2007 von einem minderjährigen Nationalisten erschossen wurde. Dink schrieb kritisch über die Türkei, sodass türkische Nationalisten ihm „Beleidigung des Türkentums“ vorwarfen.
Die türkische Regierung bemüht sich bis heute nicht um eine ernsthafte Aufarbeitung des Völkermordes und leugnet diesen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan fordert die Gründung einer unabhängigen Kommission von Historikern, um die Genozid-Frage zu klären. Nach Erdoğan stehen armenische Aussagen den türkischen Aussagen entgegen. „Armenische Diaspora, unsere Dokumente sind hier. Welche Dokumente ihr auch immer habt, bringt sie bei“, sagte Erdoğan kürzlich in einer Rede in Istanbul.
Doch trotz politischen Drucks verstummen die kritischen Stimmen in der Türkei nicht. 2014 forderte der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk die Regierung auf, die bisherigen Schulbücher aus dem Verkehr zu ziehen und durch neue zu ersetzen.

Welche Rolle spielte Deutschland?

Das Osmanische Reich und das Deutsche Kaiserreich waren im Ersten Weltkrieg enge Verbündete. „Das Deutsche Kaiserreich war wie ein großer Bruder für das Osmanische Reich“, sagte der Türkeikenner Jürgen Gottschlich bei einem Interview im Deutschlandradio. Ranghohe deutsche Offiziere identifizierten die Armenier im Osmanischen Reich als eine Gefahr, die das Osmanische Reich schwächen könnte. Das Deutsche Kaiserreich brauchte ein starkes Osmanisches Reich an seiner Seite im Ersten Weltkrieg. „Deutsche Offiziere befürworteten die Deportation der Armenier im Osten entlang der russischen Grenze“, so Gottschlich weiter. Es war auch die Absicht der deutschen Offiziere, dass die Armenier aus dem Osmanischen Reich verschwinden.
Deutsche Militärs wussten nicht nur von der Deportation, sondern auch von den Morden an der armenischen Bevölkerung. Die deutschen Offiziere im Osmanischen Reich wussten um das Schicksal der Armenier. Hilfe für die sterbenden Armenier gab es keine.

Wie gedenkt die armenische Gemeinschaft des Genozids?

Der 24. April ist der offizielle Gedenktag an den Armenischen Genozid. In Armenien, Frankreich, den USA und dem Libanon wird es Trauermärsche geben.
Konzerte, neue Bücher und Filme setzen sich mit der Katastrophe auseinander und versuchen, das Gedenken an die Katastrophe im Bewusstsein der Opfer und Täter aufrecht zu erhalten. 2014 kam der Film „The Cut“ in die deutschen Kinos. Es ist ein Spielfilm über den Armenischen Genozid. Regie führte der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin. In der armenischen Gemeinschaft kam der Film gut an. „Es ist ein Trauma, das verarbeitet werden muss“ sagte Fatih Akin auf der Premiere von „The Cut“ in Venedig.
Es ist ein Trauma, das die armenische Gemeinschaft – seit 100 Jahren – erlebt. Bis heute erkennt die Türkei die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern nicht an. Die Leugnung durch die türkische Regierung ist für die Armenier ein Schlag ins Gesicht. Viele Armenier hoffen, dass sich die Türkei dem internationalen Druck irgendwann beugt und den Genozid letztlich anerkennt. Wann das sein wird, weiß niemand.

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