In Berlin wechselte ein 14-jähriger jüdischer Junge die Schule, weil er antisemitischen Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt war. Die Eltern des Jungen werfen der Schulleitung vor, zu spät auf die Beleidigungen und körperlichen Übergriffe durch türkisch- und arabischstämmige Mitschüler reagiert zu haben.
Ein Klassenkamerad soll zu dem Jungen gesagt haben: „Du bist eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein. Juden sind alle Mörder.“ Wer denkt, dass solche Fälle ein neues Phänomen sind, der irrt. Arye Sharuz Shalicar erlebte Anfang der 1990er Jahre in Berlin genau das Gleiche. Er ist Sohn iranischer Juden und arbeitet heute für die israelische Regierung. Er wurde damals als Jude und vermeintlicher Israeli schikaniert – „in erster Linie von Arabern, aber auch von Türken“, schildert er der „Berliner Morgenpost“. Er sieht Antisemitismus als ein kulturelles Problem, das viele Leute aus Nordafrika, Zentralasien und hauptsächlich dem Nahen Osten mitbrächten. Er sagt: „Muslimisch geprägter Antisemitismus ist seit über einer Generation ganz fest in Deutschland verankert.“
Aus der Mitte der Gesellschaft
Von einem ernstzunehmenden Problem spricht auch die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese laut „Tagesspiegel“: „Gerade Jugendliche aus arabischen Ländern, in denen die Vernichtung des Staates Israel von klein auf gelehrt wird, müssen lernen, dass in Deutschland Antisemitismus nicht geduldet wird.“ Bei antisemitischen Vorfällen sind neben Rechtsextremen und Neonazis oft arabisch- und türkischstämmige Jugendliche und Männer die Täter, meldet die Deutsche Presse-Agentur. Eine weitere Entwicklung sieht der Gründungsdirektor des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, Julius H. Schoeps: Der Antisemitismus komme „inzwischen auch wieder aus der Mitte der Gesellschaft. Da sitzt man mit gutbürgerlichen Zeitgenossen zusammen, das Gespräch kommt auf Israel und plötzlich bricht es aus ihnen heraus“, zitiert ihn der Tagesspiegel.
Eine Gruppe, die gegen Antisemitismus vorgeht, ist die „WerteInitiative“ – ein lockerer Verbund jüdischer, christlicher und atheistischer Deutscher. Sie hat ein jüdisches Positionspapier mit acht Punkten formuliert, das demnächst den größten Parteien des Landes mit der Aufforderung zugeht, dazu Stellung zu nehmen. In einem Punkt heißt es, der Kampf gegen Antisemitismus sei zwar politischer Konsens. Von doppelten Standards geprägte „Israel-Kritik“, Anti-Zionismus und Boykottaufrufe gegen Israel seien jedoch „derselbe Hass in anderem Gewand“. Die „WerteInitiative“ fordere daher Prävention durch Aufklärung und Ächtung antisemitischer Vorkommnisse und Äußerungen.
Zeichen gegen Antisemitismus setzen
Der Initiative kann sich als Unterstützer auf der Internetseite jedermann anschließen. Das ist ein erster Schritt, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen – auch gegen den verdeckten. Es darf nicht sein, dass sich Juden in einem freiheitlich-demokratischen Land wie Deutschland nicht mehr trauen, zu ihrer Religion zu stehen. „Jude“ ist längst wieder ein Schimpfwort, sagte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, der „Heilbronner Stimme“. Synagogen und andere jüdische Einrichtungen müssen von der Polizei geschützt werden. Es ist wünschenswert, dass Bewegungen wie die „WerteInitiative“ Anstoß geben, dass nicht nur Politik, sondern auch die Zivilgesellschaft gegen diese Zustände aufstehen.
Von: Martina Blatt