Immer wieder muss sich das israelische Militär mit Vorwürfen auseinander setzen, weil es palästinensische Zivilisten nicht schonend behandele. Vergangene Woche veröffentlichte die israelische Organisation „Breaking the Silence“ (Das Schweigen brechen) 70
Zeugenaussagen von Soldaten zur Operation „Starker Fels“ im Sommer 2014. Der Tenor: Kommandeure hätten die Vorschriften zur Rücksicht auf Zivilisten locker gehandhabt, weil diese ja vor bevorstehenden Angriffen gewarnt worden seien. Ihre Namen gaben die Ankläger nicht preis. Nun widersprechen Armeeangehörige dieser Darstellung.
Nicht auf Unschuldige feuern
Ein ehemaliger Kommandeur reagierte im Gespräch mit dem Fernsehsender „Kanal 2“ auf den direkten Vorwurf, ein Mitglied seiner Brigade habe eine „Vergeltungsaktion“ ausgeführt. „Dieser Unsinn von ‚feuere zur Vergeltung auf das Haus, auf das du willst‘, ist einfach eine völlige Lüge.“ Selbst nach dem Tod des 26-jährigen Dmitri Levitas, der sie schwer beeinträchtigt habe, hätten er und seine Kameraden „die Kampfethik aufrecht erhalten“. „Wohl gab es schweres Feuer, aber das war auf Stellungen gerichtet, von denen aus auf uns gefeuert wurde, oder auf verdächtige Stellen.“ Die Kommandeure hätten sich nach sehr genauen Geheimdienstinformationen gerichtet.
„Sie wussten, wo sich die Mehrheit der Tunnel befand und wo es keine Zivilisten gab“, ergänzte der Israeli laut einem Bericht des Nachrichtendienstes „Algemeiner“. „Vor und nach der Operation haben wir den Kommandeuren und Soldaten vermittelt, was es bedeutet, genau zu zielen, das Ziel zu identifizieren und nicht auf Unschuldige zu feuern.“ In zwei Fällen habe die Brigade nicht auf ein verdächtiges Ziel geschossen, weil sie besorgt um das Leben von Unschuldigen gewesen sei.
Ein weiterer Soldat erinnerte gegenüber dem Sender daran, dass die Armee vor jedem Einsatz die Zivilisten aufgefordert habe, das betreffende Gebiet zu verlassen. „Kommen Sie jetzt, erzählen Sie mir ein Beispiel in der Geschichte, eines, von einer Armee in der gesamten Welt, die den Feind darüber informiert hat, wo sie zu handeln plante oder was sie vorhatte. Das ist etwas völlig Irrationales.“
„Breaking the Silence“ beharrt auf Richtigkeit
Als Reaktion auf die Interviews im „Kanal 2“ ließ „Breaking the Silence“ verlauten: „Wir begrüßen jede Diskussion in der Öffentlichkeit über das Kämpfen in Gaza. Wir sind stolz, dass die Veröffentlichung dieser Zeugnisse andere Soldaten ermutigt hat, hervorzutreten und auf das Bezug zu nehmen, was während der Operation passierte. Unter allen Zeugnissen, die in den letzten Tagen von anderen als uns veröffentlicht wurden, hat nicht ein einziges den zentralen Punkt widerlegt, der mit der Politik des wahllosen Beschusses zusammenhängt, der zur Schädigung unschuldiger Zivilisten führte, selbst wenn die Zeugnisse im ‚Kanal 2‘ etwas anderes zu bezeugen scheinen.“
„Wer die Armee unmoralisch nennt, ist blind“
Doch auch auf Facebook äußern sich Armeeangehörige zu den Beschuldigungen – unter dem Hashtag: „Meine Wahrheit“. Schahar Eilenberg schilderte ein Erlebnis: „Während der Operation ‚Starker Fels‘ identifizieren wir in den frühen Morgenstunden zwei Kinder, die sich unterhalb des Hauses herumtreiben, in dem wir uns befinden. Schnell und in Begleitung von Kompaniekommandeur Benaja Scharel gehen vier Kämpfer hinaus, um sie zu uns zu bringen, um zu untersuchen, was sie in einem Gebiet tun, in dem es bereits seit anderthalb Wochen keine Zivilisten gibt.“
Die Befragung habe ergeben, „dass die Kinder gekommen sind, um nach Nahrung zu suchen, und dass sie keinerlei Verbindung zur Hamas haben. Benaja entscheidet, ihnen etwas von unserem Essen zu bringen und sie freizulassen, damit sie nach Hause zurückkehren können“, zitiert die Tageszeitung „Ma‘ariv“ den Eintrag in dem sozialen Netzwerk. Eilenberg folgert: „Wer über unsere Armee sagt, dass sie unmoralisch und verbrecherisch sei, ist blind, und wenn die Soldaten einer solchen Armee Verbrecher sind, dann bin ich ein stolzer ‚Verbrecher‘.“
Dan Nahum hat als Verbindungsoffizier für internationale Organisationen mehrfach Festnahmen in Hebron miterlebt. „Die israelische Armee ist nicht in Häuser gegangen, weil es ihr langweilig war, sondern weil es dort Kampfmittel und gefährliche Leute gibt, die man festnehmen muss, bevor sie in falsche Hände geraten oder, noch schlimmer, in einen Bus im Zentrum von Tel Aviv“, schreibt er. „Stimmt, manchmal muss man ein Bett zerstören, um festzustellen, dass es in der Matratze ein Gewehr gibt. Und manchmal muss man die Tür aufbrechen, wenn einem nicht geöffnet wird. Es stimmt auch, dass man manchmal die Tür und das Bett zerbricht und nichts findet.“ Er sei entsetzt über den Bericht von „Breaking the Silence“, der von Unwissen zeuge.
Palästinenserin wiederbelebt
Roi Barak wiederum erzählt von seinen Erfahrungen als Reservist im Zweiten Libanonkrieg von 2006. Er war mit seiner Truppe in ein Dorf einmarschiert, das als Hisbollah-Hochburg bekannt war. „Eines Tages bemerkten wir plötzlich eine Frau und ein kleines Mädchen, die sich auf unser Gebiet zubewegten.“ In jener Situation hätten alle unbeteiligten Bürger gewusst, dass es sich um ein Kampfgebiet handelte. Während des Aufenthaltes seiner Einheit habe sich niemand nach draußen gewagt.
„Zwei Möglichkeiten standen vor unserem Auge: entweder das Feuer eröffnen oder dafür sorgen, dass sie anhalten, und dabei die Truppe gefährden – und das haben wir tatsächlich getan. Wir nahmen die Frau und das Mädchen an der Stelle auf, an der wir stationiert waren, und sie hielten sich bei uns auf“, fügte Barak hinzu. Ein Soldat habe dem Mädchen unter Lebensgefahr Trauben gepflückt. „Derselbe Soldat gab ihr die letzten belegten Brote, die der Truppe geblieben waren. Dieser Soldat ist nicht durch Zufall mein Vater. Als wir den Ort verließen, baten wir sie, zwei Stunden zu bleiben, bevor sie aus dem Haus gehen, damit sie nicht zufällig getroffen werden – nicht von uns, sondern von den Hisbollah-Terroristen.“
Ferner lässt Barak die Nutzer an einem Vorfall aus dem Jahr 1998 in Hebron teilhaben. Soldaten hätten eine bewusstlose Palästinenserin aus einem brennenden Haus gerettet und sie wiederbelebt. Auch einem Angestellten der Stadt Hebron hätten sie geholfen. Der Israeli merkt an: „Ich hätte die Geschichten nicht geteilt, denn aus meiner Sicht haben wir genau das getan, was wir als Soldaten, als Israelis und als Menschen tun müssen. Aber weil in letzter Zeit Organisationen aufstehen, die durch zweifelhafte Vertreter subventioniert werden, empfand ich leider das Bedürfnis, das Selbstverständliche zu teilen.“
Ein Zehnjähriger mit einem Sprengstoffgürtel
Avichai Schorschan meldet sich unter der Überschrift „Auch ich breche das Schweigen“ zu Wort. Er berichtet, wie seine Truppe einmal vor dem jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchanah im Gazastreifen operierte. Jede palästinensische Familie, in deren Haus sie gingen, erhielt Lebensmittel als Geschenk zum Festtag.
Überdies beschreibt Schorschan, wie ein Versteck seiner Einheit in Gaza-Stadt entdeckt wurde: „Die Hamas zögerte nicht mit ihrer Antwort und schickte ein zehnjähriges Kind mit einem Sprengstoffgürtel zu uns. Entgegen den Richtlinien und der Anordnung, die besagt, dass man den Terroristen töten muss, entschied ein Kamerad von der Truppe, der zu jener Zeit an der Tür Wache hielt, nicht das Feuer zu eröffnen. Er ging in Deckung und befahl ihm, sich auszuziehen und den Sprengstoffgürtel abzulegen. Wir nahmen den Jungen fest, und nach Ermittlungen in Israel wurde er gesund und vollständig wieder freigelassen. (Nebenbei: Während der Ermittlungen stellte sich heraus, dass sein Bruder, ein ranghoher Hamas-Vertreter, ihm zehn Schekel gezahlt hatte, damit er sich bei uns in die Luft sprengt.)“ (eh)