BERLIN (inn) – Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, stellt eine Parallele zwischen dem Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges und der Vorgeschichte des 7. Oktober 2023 fest. Primor, dessen Buch „Bedrohtes Israel – Ein Land im Ausnahmezustand“ im Mai erschien, sprach am Mittwoch im Rahmen der 37. Jüdischen Kulturtage auf dem Bebelplatz in Berlin, wozu er eigens aus Israel angereist war.
Dabei erzählte der 89-Jährige eine Anekdote aus seiner eigenen diplomatischen Karriere, mit der er auch sein Buch eröffnet: 1973, als der Jom-Kippur-Krieg mit dem Überfall Syriens und Ägyptens begann, arbeitete Primor an der Botschaft in Paris. Wenige Tage vor Kriegsbeginn hielt sich Israels Premierministerin Golda Meir in der französischen Hauptstadt auf. Sie übernachtete in der Residenz des Botschafters. Primor war damit beauftragt, die in der Botschaft für die Regierungschefin eingehenden Nachrichten mehrmals am Tag in die Residenz zu bringen.
Nachdem er das Material aus Israel von den Entschlüsslern in der Botschaft entgegengenommen habe, sei er zwei Etagen tiefer in sein Büro gegangen und habe es erst einmal selbst gelesen, berichtete Primor nun. „Sie waren nicht immer ganz koscher“, meinte die Interviewerin am Mittwoch scherzend zu ihm. „Ich bin doch kein orthodoxer Jude“, feixte Primor und gab zu: „Das war natürlich ein Verbrechen. Das habe ich auch jahrelang niemandem erzählt.“
„Warum soll ich Sorgen haben?“
Was Primor las, war beunruhigend: „Die meisten Depeschen, die da drin waren, sprachen von der Kriegsgefahr.“ Verteidigungsminister Mosche Dajan habe zwar gesagt, dass das nicht ernst zu nehmen sei. Dennoch seien alle Berichte Meir zugeschickt worden. Doch auch sie tat das Material ab. Zum israelischen Botschafter soll sie in Primors Gegenwart gesagt haben: „Wenn der große Dajan behauptet, dass man keine Sorgen haben soll, warum soll ich Sorgen haben?“
Avi Primor …
… wurde 1935 in Tel Aviv geboren. Seine Mutter war noch vor der Machtergreifung der Nazis aus Deutschland emigriert; sein Vater war Sohn niederländischer Olim. Primor legte in Israel eine mustergültige diplomatische Karriere hin, war in afrikanischen Ländern genauso tätig wie in Europa und in der Zentrale des Außenministeriums. 1991 verabschiedete er sich zunächst aus dem diplomatischen Dienst, bevor er 1993 noch einmal zurückkehrte, um Botschafter in Deutschland zu werden. Primor war auch Vizepräsident der Universitäten in Jerusalem und Tel Aviv.
Stattdessen habe sich Meir vor allem mit Bruno Kreisky beschäftigt, dem österreichischen Bundeskanzler, kritisierte Primor. Hintergrund: Kurz vor dem Krieg kam es in Österreich zu einem palästinensischen Terroranschlag, der zur Schließung eines Durchgangslagers für sowjetische Juden führte. Meir war über diese Entscheidung Österreichs empört und geriet bei einem kurzfristig angesetzten Treffen in Wien auch mit Kreisky persönlich aneinander (die Hintergründe lesen Sie hier).
„Ich erzähle das, weil wir damals kurz vor einem Krieg standen“, führte Primor am Mittwoch aus: „Und was hat die Premierministerin beschäftigt? Genauso war es 50 Jahre später wieder.“ Damit nahm er Bezug darauf, dass es auch vor dem Hamas-Massaker am 7. Oktober verschiedentlich Warnungen der Sicherheitskräfte gegeben hatte, die israelische Verantwortungsträger aber offenbar nicht ernst nahmen. In den Monaten vor dem Kriegsausbruch war das Land vor allem mit seinen innenpolitischen Problemen und dem heftigen Streit um die Justizreform beschäftigt.
Lage wird „täglich gefährlicher“
Primor machte am Mittwoch deutlich, dass er nichts von Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) und der aktuellen Regierung hält: Deren Ziel sei die Annexion des Westjordanlands, wo heute die israelischen „Rechtsextremen“ regierten; die Palästinensische Autonomiebehörde werde seit Kriegsbeginn von Israel „unterdrückt“. Die Lage in dem Palästinensergebiet werde „täglich gefährlicher“. Der frühere Botschafter befürchtet, dass dies auf Jordanien überschwappen kann, da dort eine große palästinensische Bevölkerung lebt mit familiären Verbindungen ins Westjordanland: „Je schlechter die Lage im Westjordanland, desto mehr wächst der Druck in Jordanien.“
Wenn man sich die Lage heute anschaue, gebe es „keine Möglichkeit“ für Frieden. Wie angespannt der Frieden selbst mit den Nachbarn Jordanien und Ägypten ist, mit denen Israel diplomatische Beziehungen unterhält, machte Primor an einem Beispiel deutlich: Er leitet einen trilateralen Studiengang für israelische, palästinensische und jordanische Studenten. Das Projekt gehe vorerst weiter, sagte der frühere Diplomat.
Die arabischen Studenten könnten sich auch mit den Israelis anfreunden, mit ihnen leben und arbeiten – „aber sie sprechen viel weniger über Politik als noch vor ein paar Jahren, weil sie selber unsicher sind“. Früher sei er selbst in die palästinensischen Gebiete und nach Jordanien gefahren, um die Studenten auszuwählen. Das mache er jetzt nicht mehr: Zwar würden die Universitäten ihn gerne empfangen; allerdings gäben sie schon seit Jahren an, nicht mehr für seine Sicherheit garantierten zu können.
11 Antworten
Sehr interessante Sicht auf zwei Ereignisse, die doch sehr unterschiedlich waren. Vieles Gesagte kann ich unterschreiben, aber wenn ich lese, dass die Autonomiebehörde „unterdrückt“ wird, sträuben sich mir die Nackenhaare. Abbas ist ein Komplize der Terroristen, ein unfähiger Präsident und ein korrupter Diktator. Mein Mitleid für ihn ist überschaubar.
@Antonia
Da geht es mir wie dir. Ich stand lang zwischen den Stühlen, wird WJL unterdrückt? Bei einer unserer Il-Reisen waren wir bei Faten Mukarker in Beit Jaka eingeladen, eine pal.Christin. Sie erzählte, dass sie gelernt habe, „ihre Feinde“ zu lieben, schimpfte aber im gleichen Atemzug über die Israelis. Durch ihr Grundstück wurde die Mauer gebaut, sie seien vom Wasser der Israelis abhängig… Ja, warum nur? Kein Wort darüber, dass in der Westbank Kinder Steine auf Soldaten warfen, Autoreifen in Brand setzten und Selbstmordattentäter wiederholt Israelis in den Tod rissen. Unsere Israel.Reiseführerin holte uns dann in Beit Jala ab und brachte uns wieder „auf Kurs“. Schon damals dachte ich, die Palästinenser reden nicht die Wahrheit, hier was dazu, dort was ab und schon hast du ein ganz anderes Bild.
Ja, die Lage ist gefährlich, aber das ist nicht die Schuld Israels. Auch wenn es momentan abwegig scheint, ich bete um Frieden.
Die Autonomiebehörde steht für Terror und für Mord an Juden. Aber ist doch schön, wenn man ein „armes Opfer“ aus Mördern machen kann.
Avi Primor: es gibt keine Möglichkeit für Frieden. Hat er Recht? Ja. Ein Beispiel: die Universitäten würden ihn gerne empfangen, aber seit Jahren schon kann Keiner für seine Sicherheit garantieren.
Ich habe zwar nicht vollständig die Meinung insbesondere was die Autonomiebehörde angeht, dennoch ist es interessant, die Zeiten zu vergleichen. Die Zeit 1973 gibt in sofern Hoffnung, weil es ein 1979 mit Camp David und eine Zeit des Friedens, auch mit Gorbatschow gab.
Heute jedoch sehe ich eine Zeit, die VIEL schlimmer ist als 1973:
China war damals mit dem Westen kooperativ, HEUTE ist China Teil des mörderischen Russlands.
China und RUS sind heute beide Freunde der Todfeinde Israels aus dem Iran, damals war es „nur“ die Sowietunion. Heute gibt es zwar keine UDSSR, aber HEUTE gibt es den mörderischen Putin-Krieg, der viel schlimmer ist als der Kalte Krieg.
Damals, 1973, gab es den Persischen Schar, heute gibt es das Mullah:Regime,
damals gab es zwar die Entnazifizierten, aber gescheite BRD-Politiker und Entspannungspolitik,
Heute gibt es keine BRD mehr, die mit Israel zusammenarbeitet, sondern nur noch eine CDU-Opposition, die Israel-freundlich ist, damals war Willy Brandt auch kein Israel-„lover“, aber die BRD war durch den Westen zumindest gebunden an die halbwegs Israel-freundliche westliche Welt.
HEUTE gibt es ein neues Deutschland, das mit Iran, UNRWA u.a. Israel bekämpft und heute gibt es ARD u. ZDF, die gegen Israel kämpfen. Damals 1973 gab es Deutsche in Ost und West, die begonnen hatten, sich mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen, heute werden die Nazis wieder gewählt, heute gibt es Frust, 1973 gab es Lust. Heute gibt es eine Israel-feindliche Welt, damals nur im Ostblock.
Traurige Welt 2024, bitter, mörderisch u. antijüdisch.
Sehr gut geschrieben, diese Vergleiche.
…..damals gab es Lust, heute nur noch Frust!😀
Primor machte am Mittwoch deutlich, dass er nichts von Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) und der aktuellen Regierung hält …
Das ist des Pudels Kern!
Und das hilft momentan niemanden, sondern es vertieft nur den Riss im Volk Israel und es ist Wasser auf die Mühlen derer in aller Welt, die allzu gern aus der Ablehnung der aktuellen Regierung Israels eine Ablehnung Israels selbst machen. Deshalb sind die Äußerungen Primors politische Brandstiftung, auch wenn er dies gar nicht will.
Israel muss sich jetzt der feindlichen Übernacht jenseits des eigenen Volkes mit aller Kraft und höchstmöglicher Einheit erwehren. Es braucht in dieser Situation wirklich keine interne Feindschaft. Diese kann in äußerlich friedlicheren Zeiten argumentativ ausgelebt werden.
Sehe dich ich genauso.
Leider richtig. Und die, die auf den Demos ihr Bibi muss weg schreien, helfen nur der Hamas. Und kapieren es nicht. Und die Geiseln bekommt man damit auch nicht zurück. Im Gegenteil, Sinwar fordert noch mehr und noch mehr und noch mehr. Irgendwann können sie dann ihre Forderungen aus dem Ausland fordern, weil ihr Staat nicht mehr existiert. Da ist nämlich das Ziel von Sinwar. Die Geiseln behält er trotzdem.
@ little brother
„Deshalb sind die Äußerungen Primors politische Brandstiftung, auch wenn er dies gar nicht will.“
Gerade er müsste aber wissen, wie seine Worte von Gegnern Israels für ihre Diffamierungskampagnen und zur Durchsetzung ihrer Ziele genutzt werden und von daher solche zur Missbräuchlichkeit geeignete Positionierungen unterlassen.
Ich maße mir nicht an über Israel zu richten, noch weiß ich alles, aber ich bete jeden Tag für Frieden im Heiligen Land und ein Israel, dass wieder fröhlich ist und sich sicher fühlt. Dann erst kann Versöhnung passieren und Heilung. *SHALOM!