JERUSALEM (inn) – Am Dienstag wurde zum Abschluss der 15-Uhr-Nachrichten angekündigt, dass der Sendebetrieb erst wieder am Mittwoch um 20 Uhr israelischer Ortszeit aufgenommen werde. Bis dahin sind die Israelis nachrichtentechnisch von sich selbst und von der Welt völlig abgeschnitten. Am Großen Versöhnungstag Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, darf gemäß biblischer Regeln kein „Feuer gemacht“ werden, also nicht einmal Licht an- oder ausgeknipst werden, weil dabei ein Funke entsteht. In Israel machen da alle Juden mit, gleichgültig ob orthodox oder atheistisch eingestellt.
Traditionell fährt an diesem Tag auch kein Auto. Die Autobahnen sind wie leergefegt. Kinder nutzen die Zeit, um laut quietschend auf den sonst mit Staus gefüllten Autobahnen und Durchgangsstraßen Fahrrad zu fahren. Im ganzen Land herrscht an diesem Tag ansonsten eine gespenstische Stille. Selbst bei Nachbarn, wo sonst obsessiv Fußball geschaut wird und das Gebrüll die Sportreporter die ganze Gegend beschallt, ist der überdimensionale Fernseher schwarz und ausgeschaltet.
Wachpersonal an Nahtstellen zwischen jüdischen und arabischen Vierteln
In Jerusalem und in anderen „gemischten“ Städten wurden Tausende Polizisten und Geheimdienstleute zusammengezogen. Sie sollen an den Nahtstellen zwischen arabischen und jüdischen Vierteln darüber wachen, dass sich kein Araber mit seinem Auto in die jüdischen Viertel „verirrt“.
Während es bei den Rundfunkfrequenzen nur piepst, sieht man im Fernsehen eine Tafel mit dem Wunsch einer „guten Unterschrift“ in Gottes „Buch des Lebens“. Das bezieht sich auf die Überlieferung, nach der Gott am Jom Kippur entscheidet, wessen Name in seinem Buch genannt wird. Hinzu kommt ein Hinweis, dass der Sendebetrieb erst am Mittwoch um 20 Uhr wieder aufgenommen werde. Eine Ausnahme bildet eine akute Gefahrensituation: Sollte etwa, wie 1973 geschehen, am Versöhnungstag ein Krieg ausbrechen, würden die Israelis über eine „stille Welle“ im Radio gewarnt.
Eigentlich endet der Jom Kippur am Mittwoch schon gegen 18:30 Uhr mit dem Sonnenuntergang. Die weiteren anderthalb Stunden wurden wohl hinzugefügt, damit die Techniker und Reporter von ihrem Zuhause in die Studios gelangen können.
Von: Ulrich W. Sahm