TEL AVIV (inn) – Israelis und Palästinenser müssen sich Extremisten in der Region entgegenstellen und die gemäßigten Kräfte stärken. Das hat der UN-Sonderkoordinator für den Nahen Osten, Nickolay Mladenov, am Dienstag auf einer internationalen Konferenz in Tel Aviv gefordert. Veranstalter war die Organisation „Women Wage Peace“ (Frauen schaffen Frieden), der Jüdinnen und Araberinnen aus Israel, aber auch Palästinenserinnen angehören.
Konkret ging es Mladenov laut einem Bericht der Tageszeitung „Jerusalem Post“ darum, einen weiteren Krieg im Gazastreifen zu verhindern: „Ich bin stolz zu sagen, dass unsere Bemühungen der letzten drei Monate in Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung, den Palästinensern, den Ägyptern und jedem in der Region uns gezeigt haben, dass wir einen Krieg vermeiden können, wenn wir zusammenarbeiten.“ Frauen seien wichtige Verbündete bei der Unterstützung des Friedensprozesses, ergänzte der UN-Gesandte.
Er forderte die Teilnehmer auf, Druck auf israelische und palästinensische Politiker auszuüben, damit sie an den Verhandlungstisch zurückkehren. „Wir müssen Hindernisse für Frieden entfernen. Wir müssen die Hindernisse niederreißen, die uns spalten.“
Die israelische Oppositionsführerin Zippi Livni (Zionistisches Lager) sagte, das Haupthindernis für Frieden sei die aktuelle Führung. Diese könne aber ersetzt werden. Regierungschef Benjamin Netanjahu verhindere zwar einen Krieg mit der Hamas, aber auch Frieden, fügte die ehemalige Außenministerin hinzu.
Arzt aus Gaza: Männer durch Ego motiviert
Die Gruppe „Women Wage Peace“ wurde 2014 nach der israelischen Militäroperation „Starker Fels“ gegründet, die sich gegen die Terrorinfrastruktur im Gazastreifen richtete. Nach Angaben einer Sprecherin nahmen an der Konferenz etwa 1.000 Menschen teil.
Auch ein palästinensischer Arzt, der bis vor ein paar Jahren im Gazastreifen lebte, war für den Kongress nach Israel gereist: Eseldin Abu al-Aisch. Bei der Operation „Gegossenes Blei“ zur Jahreswende 2008/09 verlor er drei seiner Töchter durch einen israelischen Luftangriff. Die Familie zog später nach Kanada, er selbst arbeitet als Professor an der Universität Toronto. Trotz der schmerzlichen Erfahrungen bleibt er offen für das Gespräch mit Israel.
Vor der Konferenz sagte er der israelischen Tageszeitung „Yediot Aharonot“: „Die Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt liegt darin, die Frauen verhandeln zu lassen. Es muss mehr Frauen um den Tisch geben. Sie bringen der Welt Leben und verstehen, was Leben ist. Ich bin sicher, dass sie dort Erfolg haben werden, wo Männer gescheitert sind.“ Männer seien durch ihr Ego motiviert; sie hätten es 100 Jahre lang vergeblich versucht. „Ich bin sicher, dass letztlich die Frauen Erfolg haben werden, aber selbst wenn nicht, wird es nicht in Gewalt ausarten.“
Die jüngste Eskalation in Südisrael kommentierte er mit den Worten: „Der militante Weg wird dem palästinensisch-israelischen Konflikt kein Ende setzen.“ Als der Interviewer darauf hinwies, dass Netanjahu die Eskalation aufgehalten habe, entgegnete Abu al-Aisch, die aufgeflogene verdeckte Operation tief im Gazastreifen habe die Ereignisse entfacht. „Es gab einen Wunsch, Frieden herbeizuführen durch Bemühungen von den Ägyptern und den Katarern. Die Menschen in Gaza warteten auf Ruhe, bis dieser Vorfall kam und alles zerstörte.“
Gewalt auf beiden Seiten verurteilt
Zu dem Brandterror und den Versuchen, den Grenzzaun zu durchbrechen, sagte der Arzt: „Wenn jemand den Zaun überquert und nach Israel eindringt, dann verdient er es, bestraft zu werden, aber die Soldaten dürfen nicht Zivilisten und Kindern in Gaza schaden. Die jüngsten Ereignisse erinnern mich daran, dass wir die Lektion nicht gelernt haben, dass jeder ein Ego hat und dass es interne Probleme im Staat Israel gibt. Vor jedem Wahlkampf gibt es Aufrufe, in einen Krieg zu ziehen, um mehr Sitze zu erlangen.“
Abu al-Aisch verurteilte Gewalt auf beiden Seiten, auf israelischer Seite gehört für ihn dazu auch die Ausweitung von Siedlungen. Zudem bekundete er sein Mitgefühl für die leidenden Israelis in dem Gebiet an der Gaza-Grenze. Doch hoffe er, dass diese Bewohner auch „den Schmerz von mehr als zwei Millionen Palästinensern empfinden werden, die seit mehr als zehn Jahren ohne fließendes Wasser leben, ohne Elektrizität, ohne Arbeit und ohne Freiheit“. Er sehe das Leiden in Sderot, doch man müsse auch das palästinensische Leiden in Betracht ziehen. „Die Leben von Israelis sind gleich viel wert wie die von Palästinensern.“
Trotz aller Eskalationen bleibt Abu al-Aisch optimistisch, was die Aussichten auf Frieden angeht: „Ich weiß, dass die Lage sehr schwer ist und sich verschlimmern kann, aber ich habe die Hoffnung, dass die Leute eines Tages aufwachen werden – wie 1994 mit dem Oslo-Abkommen – und dass es eine gute Führung geben wird, nicht wie Netanjahu, jemand, der die Rechte der Palästinenser als Volk anerkennen wird, wie die Palästinenser, die das Volk Israel und den Staat Israel anerkannt haben.“
Als Arzt stellte der Palästinenser in dem Interview auch eine Diagnose: „Der Patient leidet, und der Patient ist der Palästinenser und der Israeli. Man muss darüber nachdenken, wie man den Patienten heilen kann und ihn nicht die ganze Zeit beschuldigen. Wir sind permanent in einem Kreislauf, in dem wir uns gegenseitig beschuldigen. Wir haben keine andere Wahl, als miteinander in Gleichheit, guter Nachbarschaft und gegenseitiger Hilfe zu leben.“
Von: eh