Auch auf Twitter sind es dann und wann die kleinen Gesten, die Großes sagen. Das werden sich Mitglieder der Fatah-Partei am 28. November vergangenen Jahres gedacht haben. An jenem Tag war es für sie an der Zeit zu zeigen, welches Pfund sie auf ihrer Seite wissen: Auf dem Twitter-Konto der Partei veröffentlichten sie ein Bild der schwedischen Außenministerin Margot Wallström, eingefärbt in den Farben der palästinensischen Flagge. „Wallström hat ihr persönliches Profilbild mit einer palästinensischen Flagge hinterlegt“, schrieben sie augenzwinkernd dazu.
Ob der Sozialdemokratin diese Geste gefallen hat, sei dahingestellt. Ihr Profilbild hat sie natürlich nicht derart eingefärbt; ihre Worte und Taten umso mehr. Kein Chefdiplomat dieser Welt vertritt die Sache der Palästinenser derzeit lautstärker als die 61-Jährige. Gleich einen Monat nach dem Amtsantritt im Oktober 2014
erkannte Schweden als erstes Mitglied der Europäischen Union „Palästina“ per Kabinettsbeschluss als Staat an. Andere EU-Länder hätten sich zu einem solchen Schritt im Grundsatz schon bereiterklärt, sagte Wallström damals. „Wir sind jetzt bereit, auf dem Weg voranzuschreiten.“
Unbeirrter Einsatz
Folgerichtig empfing die gelernte Bankkauffrau am 15. Januar 2015 den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmud Abbas. Wenige Tage zuvor war ein Besuch Wallströms in Israel wegen diplomatischer Spannungen
nicht zustande gekommen. Die Visite von Abbas zeigte, dass Schweden ihn zu den „moderaten Kräften“ zählt, denen es die Hand reichen will. Dass er den Terrorismus von Palästinensern gegen Israelis nur selten verurteilte, sondern im Gegenteil rhetorisch förderte, fällt dabei offenbar nicht ins Gewicht.
Nachdem die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ zehn Monate später, am 13. November, Terroranschläge in Paris verübt und 130 Menschen getötet hatte, sah Wallström eine weitere Gelegenheit, für die Palästinenser zu sprechen. „Um gegen Radikalisierung vorzugehen, müssen wir zurückkommen auf die Lage, wie wir sie etwa im Nahen Osten vorfinden, in der nicht zuletzt die Palästinenser sehen, dass es keine Zukunft gibt: Wir müssen entweder die hoffnungslose Lage hinnehmen oder auf Gewalt zurückgreifen“,
sagte sie im schwedischen Fernsehen.
Während ihr diese Worte wenige Tage später besagte Twitter-Geste einbrachten, wuchs in Israel der Unmut. Das Außenministerium warf der Schwedin „politische Blindheit“ vor. „Jeder, der sich an einem törichten Versuch beteiligt, Angriffe vom extremistischen Islam mit den Schwierigkeiten zwischen Israel und den Palästinensern in Verbindung zu bringen, führt sich selbst, sein Volk und die internationale öffentliche Meinung in die Irre“, sagte der außenpolitische Sprecher Emmanuel Nahschon.
Wallström ließ sich von dieser Reaktion nicht beirren und legte wenige Wochen später nach: Am 13. Januar dieses Jahres
warf sie dem jüdischen Staat vor, im Kampf gegen die palästinensische Terrorwelle „außergerichtliche Tötungen“ vorzunehmen. Aus israelischer Sicht war damit das Maß voll: Das Außenministerium erklärte sie noch am selben Tag zur Persona non grata, zur unerwünschten Person.
Nicht nur Israelis, sondern auch Juden in Schweden blicken fassungslos auf diese Entwicklung; so etwa Lena Posner-Körösi, die seit 1999 Präsidentin des Rates der schwedisch-jüdischen Gemeinden ist und damit für die 20.000 Juden im Land spricht. Die Psychologin kennt Wallström seit 20 Jahren persönlich. Gegenüber Israelnetz erklärt sie, sie habe mit Wallström direkt nach ihrer Äußerung zu den Pariser Anschlägen gesprochen. „Sie konnte nicht verstehen, warum wir so aufgebracht waren. Sie sagte, sie habe weder Juden noch Israel erwähnt. Ich sagte: ‚Wenn Sie die Palästinenser erwähnen und deren Lage, brauchen Sie nichts weiter zu sagen. Denn die andere Seite der palästinensischen Lage ist Israel. Und Israel ist ein jüdischer Staat!‘.“ Aber diese Erklärung habe nicht gefruchtet. „Sie hat es einfach nicht kapiert. Wenn ich es meinen beiden Söhnen erkläre, verstehen sie es. Alle verstehen es. Es muss hier einen blinden Fleck geben.“
Politik mit Tradition
Das Vorgehen Wallströms und die Reaktionen darauf werfen die Frage nach den Beweggründen dieser Außenpolitik auf. Ein Erklärungsversuch von Posner-Körösi nimmt die außenpolitische Tradition des skandinavischen Landes in den Blick. Insbesondere ist damit Olof Palme gemeint, der das Land von 1969 bis 1976 und von 1982 bis zu seiner Ermordung 1986 regierte. Der Sozialdemokrat übte Kritik am Vietnam-Krieg – weshalb die USA ihren Botschafter aus Schweden abzogen –, vermittelte für die Vereinten Nationen im Iran-Irak-Krieg, bemühte sich weltweit um Abrüstung und tat sich als Fürsprecher für die „Dritte Welt“ hervor. „Schweden war immer sehr stolz darauf, die Schwachen zu schützen – egal, wer es ist oder was sie machen“, erklärt Posner-Körösi. „Und die Palästinenser wurden in Schweden immer als schwach gesehen, während die Israelis die Starken waren.“
Diese Sicht sei ohnehin zu kritisieren, da sie ein schwarz-weißes Denkmuster auf die verwachsene Lage in Nahost anwende. Hinzu komme nun jedoch, dass Wallström dieses Denken auf die Spitze treibt. „Sie glaubt: Wenn es einen Friedensvertrag mit den Palästinensern gibt, bricht der Weltfrieden aus. Das ist eine vollkommen absurde Vorstellung.“
Gleichheit über alles
Wallström selbst hat ihre Außenpolitik als „feministisch“ charakterisiert. Tatsächlich sieht sich das ganze rot-grüne Kabinett um Regierungschef Stefan Löfven als „feministische Regierung“. „Feministisch“ bedeutet demnach, Gleichheit zu schaffen – bei Männern und Frauen, aber auch in der Welt. In diesem Geist erfolgte auch die Anerkennung „Palästinas“: Ziel des Schrittes sei es gewesen, die Verhandlungspartner „weniger ungleich“ zu machen und damit neue Verhandlungen anzustoßen, heißt es in einer Erklärung.
Ein weiterer Faktor für Schwedens Nahostpolitik liegt in den weltpolitischen Ambitionen des Landes begründet. Darauf weist Per Jönsson hin, Nahostexperte an der schwedischen Denkfabrik „Institut für Außenpolitik“. „Schweden möchte eine Rolle in der Weltpolitik spielen, indem es sich als Friedensvermittler positioniert, gerade auch im Nahostkonflikt.“ Doch tatsächlich habe sich Schweden als Vermittler aus dem Spiel gebracht; im Grunde sei dies bereits mit der Anerkennung „Palästinas“ der Fall gewesen, da dies die israelische Seite verprellt habe.
Zu den Ambitionen Schwedens zählt auch ein Sitz im UN-Sicherheitsrat für die Periode 2017–2018. „Schwedens Kandidatur ist ein konkreter Ausdruck des Wunsches der Regierung, den Kurs der Weltpolitik zu beeinflussen“, sagte Wallström in einer Grundsatzrede Anfang 2015. Die Wahlen für fünf der insgesamt zehn nicht-ständigen Mitglieder stehen im Juni an. „Aus diesem Grund bemüht sich Schweden um die Stimmen der arabischen Länder“, erklärt Jönsson. Auch daher rühre der Einsatz für die Palästinenser.
Die Bemühungen waren zunächst erfolgreich. Wallström sollte sogar am 9. März 2015 in Kairo eine Rede vor der Arabischen Liga halten. Die Diplomatin war bereits vor Ort, wurde dann aber wieder ausgeladen – angeblich wegen Kritik an Verstößen der Saudis gegen Menschenrechte. Der eigentliche Grund sei aber die Aufkündigung eines Waffendeals gewesen, erklärt Jönsson. „Kritik am Umgang mit den Menschenrechten hören die Saudis ständig. Das war nicht der Grund für die Ausladung. Das Ende des Waffendeals war ausschlaggebend.“
Fest steht, dass Wallströms Außenpolitik zu einer diplomatischen Krise zwischen Schweden und Saudi-Arabien geführt hat. Offiziell haben beide nach einem Monat wieder eine Normalisierung der Beziehungen verkündet. Jönsson glaubt jedoch, dass der Unmut auf saudischer Seite wegen des aufgekündigten Waffendeals weiter fortbesteht. „Sowohl die Israelis als auch die Araber zu verprellen – das ist ziemlich ungewöhnlich“, kommentiert Jönsson die Ergebnisse schwedischer Diplomatie.
Übung in Gelassenheit
Gerade die Episode mit Saudi-Arabien zeigt: Schwedens Außenpolitik ist geprägt durch eine Mischung aus globalem Geltungsdrang und einem kompromisslosen Idealismus. Das kommt bei der Bevölkerung gut an. „Die Mehrheit der Schweden findet es toll, dass die Außenpolitik so idealistisch geprägt ist“, meint Jönsson.
Die Juden im Land sind davon sicherlich ausgenommen. Für sie ist außerdem problematisch, dass sie mit Antisemitismus konfrontiert sind – der Rabbi von Malmö steht etwa unter Polizeischutz. Letztlich mag die Einstellung Posner-Körösis tragend sein, die als Mischung aus Resignation und Gelassenheit einzustufen ist. „Es ist mir mittlerweile egal. Israel wird auch ohne diese schwedische Regierung klarkommen. Sie hilft dem Land nicht, aber sie macht es auch nicht viel schlimmer.“ (df)
Den Artikel „Europas Speerspitze gegen Israel“ finden Sie auch in der Ausgabe 2/2016 des „Israelnetz Magazins“. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915151 oder via E-Mail an info@israelnetz.com oder online unter www.israelnetz.com.