Nichts verbindet so sehr wie eine gemeinsame Mahlzeit. Völker werden danach beurteilt, wie gastfreundlich sie sind, und ihre Speisen mit anderen teilen. Nichts prägt die eigene Kultur so sehr wie das, was in der Küche von der Großmutter zur Enkelin weitergegeben wird. Gleichzeitig wandern seit Jahrhunderten nicht nur Produkte wie Kartoffeln oder Tomaten von Amerika nach Europa. Auch Kräuter und Zubereitungen werden weltweit nachgemacht und weiterentwickelt, zum Beispiel Sushi, Curry, Brote und Basmati-Reis. Oft lässt sich gar nicht mehr nachvollziehen, wer was erfunden, von einem Land zum anderen gebracht hat, oder wer ein „Urheberrecht“ für sich beanspruchen kann.
Umso lächerlicher ist der seit Jahrzehnten tobende „Kampf“ zwischen Israelis und Palästinensern, wer denn den Hummus (Kichererbsenbrei) erfunden hat und für sich als „Nationalspeise“ beanspruchen darf. Tatsache ist, dass auf dem Gebiet der heutigen Türkei Kichererbsen schon vor 13.000 Jahren angebaut worden sind. Die biblische Ruth tunkte nach einer Reise ihr Fladenbrot in Hummus und nicht in Essig. Das hebräische Wort „Hometz“ (Ruth 2,14) ist an dieser Stelle falsch übersetzt worden.
In der Bibel spricht Gott seinem Volk, den Israeliten, ein Verbot aus: „Du sollst nicht das Zicklein in der Milch seiner Mutter kochen“ (zum Beispiel Exodus 23,19). Diesen Spruch kann man als Rezept betrachten, auch wenn die Mengenangaben und mögliche Gewürze fehlen. Tatsächlich bezieht sich das Verbot auf eine „Götterspeise“, die „Heiden“ im Libanon dem Gott Baal als Opfer darboten und danach verspeisten.
Kein Fleisch mit Milch
Bei den Juden entwickelte sich dieser Rezeptvers zu einem der teuersten und schwierigsten Speisegesetze überhaupt. Auf Schweinefleisch, Krabben, Aal oder Kamelfleisch kann man leicht verzichten, zumal derartige „unkoschere“ Zutaten in Supermärkten (in Israel) gar nicht erst angeboten werden. Aber die strikte Trennung von „Fleischigem“ und „Milchigem“ ist äußerst mühselig, nicht nur in koscheren Restaurants, wo man einen Milchkaffee nach einem Steak nicht bestellen kann. In den Heimen frommer Juden gibt es in der Küche zwei Waschbecken, zwei Kühlschränke und schlimmer noch, zwei Sets von Geschirr, Kochtöpfen und Besteck.
Diese Koschergesetze haben durch die Jahrhunderte dafür gesorgt, dass die Juden „unter sich“ blieben und sich nicht mit der Nachbarschaft vermischten. Gleichwohl sieht und schmeckt man anhand „typisch jüdischer Gerichte“ aus Polen, Indien, Jemen oder Marokko, dass die Juden in aller Welt gut integriert waren. Die lokalen Speisen, Gerüche, Gewürze und Zutaten haben sie aufgesogen und gemäß ihren „koscheren Bräuchen“ umgewandelt.
Dieser kulturell-kulinarischen Vielfalt begegnet man ausgerechnet im winzigen Israel, in das Juden aus über 170 Ländern eingewandert sind. Israelische Köche stehen vor der Herausforderung, Dutzende Traditionen in neue kulinarische Schöpfungen zu verwandeln. Der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. Und deshalb gilt die israelische Küche als so innovativ.
Die arabische Küche
Die „palästinensische“ Küche hat ebenfalls Wandlungen durchgemacht. Die Araber – und mit ihnen auch Juden und Christen – lebten Jahrhunderte lang im Osmanischen Reich, das von Algerien über Ägypten und den Jemen bis nach Bagdad im heutigen Irak reichte. Die Küche des Sultans von Istanbul war tonangebend. Aber örtliche Traditionen wurden ausgetauscht und in die Ferne getragen. So auch das in der Bibel erwähnte „Zicklein in der Milch seiner Mutter“. Erstaunlicherweise hat sich das nicht nur im Libanon als Festspeise erhalten, die bei keiner Hochzeit und bei keinem Staatsempfang fehlen darf. Entsprechend abgewandelte Rezepte dazu findet man auch im Iran oder in Ägypten.
Heute muss es nicht Zicklein sein. Lamm, Rind oder Hühnerfleisch können genauso gut verwendet werden. Das Fleisch sollte separat in Wasser vorgekocht werden, gewürzt mit vielen im Mörser zerschlagenen Kardamomkapseln, Lorbeer und Zwiebel.
Entscheidend ist die „Milch“. Die ist etwas Ungewöhnliches. Man findet sie bei Gewürzhändlern in arabischen Basaren. In schäbigen Kartons werden da weiße „Steine“ angeboten. Sie stinken wie „ungewaschene Füße“ – wie eine alte Frau einmal sagte – oder eben sehr streng nach Ziege. Bis heute wird dieses „Kischk“ in einem dreiwöchigen Prozess nach uralter Methode per Hand hergestellt. So wird kostbare Milch für den Winter konserviert – Kühlschränke sind eine moderne Erfindung.
Zunächst wird frisch gemolkene Milch in einer Ziegenhaut geschwenkt. Das „Rajeb” teilt sich in „Zebda“ (eine reiche Crème wie saure Butter) und „Schanina“ (Joghurt mit wenig Fett).
Die Masse mit dem berauschenden Duft saurer Milch wird mit Burgul (zerkleinertem Weizen) vermengt und zehn Tage lang immer wieder kräftig mit den Händen geknetet. Die Milch fermentiert mit dem Weizen und viel Salz, bis aus der Masse kleine Kegel geformt werden können. Die werden an der Sonne, meist auf den Flachdächern, getrocknet. Das Ergebnis ist ein weißer „Stein“, der ohne jede Kühlung „ewig“ hält. Er kann gerieben werden und wie Parmesankäse über Gerichte gestreut werden.
Für das klassische Gericht „Zicklein in der Milch“ wird der Stein am Abend in kochendes Wasser gelegt. Am nächsten Tag ist er so weich, dass er mit Hand oder in einem Mixer zerschlagen und gesiebt werden kann. Dieser Prozess wird so oft wiederholt, bis keine „Krümel“ mehr übrigbleiben. Das ist dann die Grundlage für eine stark nach Käse duftende Soße, in der am Ende das Fleisch unter ständigem Rühren noch einmal aufgekocht wird. Das Ergebnis ist „Mansaf“, wie die Jordanier ihr Nationalgericht nennen.
Die Araber wissen durchaus, dass sie hier eine uralte, biblische Tradition bewahren. Dieses ist vielleicht das beste Beispiel, wie einerseits kulinarische Traditionen gepflegt und weitergereicht werden. Andererseits vertieft es auch die kulturelle Kluft zwischen den Völkern, da für Juden dieses Gericht ein Tabu ist – ähnlich wie in Deutschland seit dem 8. Jahrhundert Pferdefleisch verpönt ist.
Von: Ulrich W. Sahm