Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und der dadurch verursachte Krieg prägen das zu Ende gehende Jahr in Israel. Verhandlungen über die noch verbliebenen Geiseln bleiben ohne Ergebnis, Proteste gegen die israelische Regierung sind an der Tagesordnung. Der Krieg wird an mehreren Fronten geführt, Hamas und Hisbollah sind allerdings schwächer als zu Jahresbeginn, Israel hat mehrere Terrorführer eliminiert. Unter dem Krieg leiden Wirtschaft, Kultur und Sport. Erfolge gibt es dennoch.
Kriegsgeschehen
Im Gazastreifen operiert die israelische Armee im Jahr 2024 teilweise effizient, muss aber auch Rückschläge hinnehmen. Vereinzelt feuern Terrorgruppen Raketen auf Südisrael ab. Und es gibt Fehlschläge wie die versehentliche Tötung von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation World Central Kitchen oder einen Brand in einem Zeltlager, der offenbar durch ein der Armee nicht bekanntes Waffendepot der Hamas ausgelöst wurde.
Doch auch positive Meldungen sind zu vermerken: Mit Hilfe der israelischen Armee können palästinensische Waisenkinder das Kriegsgebiet verlassen, sie werden nach Bethlehem gebracht. Eine Polio-Impfkampagne im Gazastreifen koordiniert Israel mit den internationalen Organisationen UNICEF und WHO. Erstere lobt die Zusammenarbeit.
Im Norden intensivieren die israelischen Streitkräfte ihre Kämpfe gegen die Hisbollah-Miliz. Fast ein Jahr nach dem Beginn des fast täglichen Beschusses – seit dem 8. Oktober – beginnt eine Bodenoffensive mit hohen Verlusten. Eine Feuerpause, die einen Rückzug der Terrorgruppe ins Gebiet nördlich des Flusses Litani fördern soll, beendet die Kampfhandlungen im November vorerst. Dabei darf Israel auf etwaige Verstöße der Hisbollah reagieren, was auch geschieht.
Aus dem Jemen beschießen Huthi-Terroristen Handelsschiffe und auch Ziele in Israel. Das israelische Militär reagiert mit Operationen gegen Häfen und andere Infrastruktur der Miliz, zuletzt Anfang Dezember.
In Syrien bombardiert Israel immer wieder Milizen oder Terrorinfrastruktur, die mit dem Iran verbunden sind. Nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad Anfang Dezember intensiviert die Luftwaffe ihre Angriffe.
Der Iran greift Israel erstmals direkt an. Im April wird dabei ein Beduinenmädchen durch Splitter verwundet, die Siebenjährige kann Ende Juli das Krankenhaus verlassen. Mehr als 90 Prozent der über 300 Geschosse werden abgefangen. Dabei erhält Israel Unterstützung von einer internationalen Koalition, an der sich unter anderen die USA, die Vereinigten Emirate, Ägypten, Jordanien und auch Saudi-Arabien beteiligen. Als Reaktion bombardiert die Luftwaffe militärische Ziele im Iran. Bei einem weiteren iranischen Großangriff im Oktober ist das einzige Todesopfer ein Palästinenser.
Terror
Terroranschläge erschüttern Israel auch in diesem Jahr. Am Allenby-Übergang zu Jordanien werden drei Israelis erschossen. In Jaffa eröffnen Terroristen das Feuer auf Passagiere der Stadtbahn, sieben Menschen werden bei dem Attentat ermordet. Im Gazastreifen töten Palästinenser eine palästinensische Mitarbeiterin eines Hilfswerkes.
Bei einem Attentat im Westjordanland erschießen Palästinenser zwei israelische Araber, unter ihnen eine christliche Apothekerin. Die Angreifer sind zwei Ärzte und ein Krankenpfleger. Weitere Anschläge verüben Terroristen etwa in Ra’anana, bei Hebron und nahe Jerusalem.
Angriffe im Ausland
Die Zahl der antisemitischen Vorfälle nimmt in vielen Ländern drastisch zu, auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Berlin schlägt ein Muslim einen israelischen Mitstudenten krankenhausreif. Der Großvater des Opfers wurde 1972 beim Attentat auf Israels Olympiamannschaft ermordet. Versuchte Anschläge auf das Generalkonsulat in München und auf die Botschaft in Berlin werden vereitelt.
Geiseln
Eines der Hauptkriegsziele im Gazastreifen, die Befreiung von Geiseln, erreicht die israelische Armee nur in sieben Fällen. Verhandlungen scheitern an der Verweigerungshaltung der Hamas. Oft an mehreren Abenden in der Woche protestieren Tausende Israelis gegen die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud), dem sie eine falsche Prioritätensetzung vorwerfen.
Mehrmals gelingt es der Armee, Leichen von Geiseln nach Hause zu holen. Eine von ihnen ist Shani Louk, die auch die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Besonders erschütternd ist die Hinrichtung von sechs Geiseln durch die Hamas. Sie wurden in einem niedrigen Tunnel ohne Licht und mit wenig Luftzufuhr festgehalten. Die Hamas teilt mit, dass sie ihre Richtlinien geändert habe und Geiseln töten werde, wenn die Gefahr bestehe, dass sie von der Armee befreit werden.
Vorher können die Menschen in Israel dreimal über gute Nachrichten jubeln: Im Februar befreien Soldaten zwei Männer aus der Geiselhaft. Im Juni gelingt in einer riskanten Aktion die Rettung von vier Entführten aus zwei Wohnungen im Gazastreifen. Eine von ihnen ist No’a Argamani, deren Mutter Krebs im Endstadium hat. Etwa drei Wochen später stirbt die Mutter. Ihr letzter Wunsch, die Tochter noch einmal wiederzusehen, hat sich erfüllt. Im August wird ein Beduine aus einem Terrortunnel befreit.
Militärische Erfolge gegen Terroristen
Im Laufe des Jahres schaltet das israelische Militär mehrere Führer der Hamas und der Hisbollah aus. Nicht immer bekennt sich Israel zu den gezielten Angriffen. So kommt im Juli Hamas-Führer Ismail Hanije bei einer Explosion in seinem Quartier in der iranischen Hauptstadt Teheran ums Leben.
Bei anderen Anführern der Terrorgruppe ist die Lage klar: Der Tod von Saleh al-Aruri im Januar und von Jahja Sinwar, dem Planer des Massakers vom 7. Oktober, im Oktober geht auf Israels Konto. Die Armee meldet auch, dass Mohammed Deif im Juli bei einem Angriff ums Leben gekommen sei. Die Hamas bestätigt das zunächst nicht. In den vergangenen mehr als zwei Jahrzehnten hatte Israel mehrfach vergeblich versucht, Deif gezielt zu töten.
Gegen die Führungselite der Hisbollah geht Israel mit lange geplanten Aktionen vor: Zeitgleich explodieren am 17. September an vielen Orten im Libanon und auch in Syrien Pager, die Kommandeure der Terrormiliz eigentlich vor israelischen Angriffen warnen sollten. Einen Tag später geschieht das gleiche mit Funkgeräten. Zahlreiche Hisbollah-Funktionäre werden an Hand oder Kopf verletzt.
Am 27. September wird Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah bei einem Angriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet. Sein potentieller Nachfolger Haschem Safieddine stirbt Mitte Oktober ebenfalls durch israelischen Beschuss.
Innenpolitik
Die Justizreform, die bis zum 7. Oktober das Jahr 2023 prägte, gerät vorerst in den Hintergrund. Eine Niederlage erleidet die Regierung im Januar: Der Oberste Gerichtshof kassiert das fünf Monate zuvor verabschiedete Angemessenheits-Gesetz.
Im März beendet Oppositionspolitiker Gideon Sa’ar (Neue Hoffnung) das Bündnis mit Benny Gantz (Staatslager). Gantz verlässt später das Kriegskabinett, das Netanjahu infolgedessen auflöst. Sa’ar wiederum schließt sich der Koalition an. Im November entlässt Netanjahu Verteidigungsminister Joav Gallant (Likud). Außenminister Israel Katz (Likud) übernimmt Gallants Posten, Sa’ar wird neuer Außenminister. Unterdessen schließen sich die linksgerichteten Parteien Avoda (Arbeitspartei) und Merez zu einem Bündnis mit dem Namen „Die Demokraten“ zusammen.
Diplomatie
Viele UN-Abstimmungen richten sich gegen Israel. Südafrika erhebt Anklage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen „Völkermordes“ im Gazastreifen. Andere Länder wie Nicaragua und Irland schließen sich dem an. Nachdem führende irische Politiker mehrfach den „Völkermord”-Vorwurf geäußert haben, kündigt Israel an, die Botschaft in Dublin zu schließen.
Zuvor hatte Irland gemeinsam mit Spanien und Norwegen den „Staat Palästina“ anerkannt. Der Internationale Strafgerichtshof wiederum erlässt Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant wegen „Kriegsverbrechen“. Dabei stellt er die israelischen Politiker mit Hamas-Führern gleich, die das Terrormassaker zu verantworten haben.
Doch es gibt auch diplomatische Erfolge: Zum vierten Mal spricht Netanjahu vor dem US-Kongress – als zehnter israelischer Politiker. Damit ist er der ausländische Politiker mit den meisten Reden vor dem Gremium. Staatspräsident Jizchak Herzog besucht Albanien. Dessen Regierung hatte während der Nazizeit seine jüdischen Bewohner beschützt.
Das afrikanische Land Malawi eröffnet eine Botschaft in Israel. Paraguay verlegt seine diplomatische Vertretung zum zweiten Mal von Tel Aviv nach Jerusalem. In der israelischen Hauptstadt weihen zudem Indigene eine Botschaft ein.
Wirtschaft
Die Tourismusbranche leidet besonders unter dem Krieg. Fluglinien stellen ihre Verbindungen nach Israel ein, Hotelgäste bleiben aus. Auch die Boykottstimmung macht sich bemerkbar: In Frankreich wird der jüdische Staat zunächst von einer Verteidigungsmesse ausgeschlossen. Nach Protesten darf er dann doch teilnehmen. Die Landwirtschaft leidet unter dem Arbeitermangel: Viele Israelis sind eingezogen, Ausländer fehlen.
Der Hightechsektor ist ebenfalls gebeutelt, beweist aber Widerstandskraft. Die US-Weltraumbehörde NASA bedient sich israelischer Kameratechnik. Der aufstrebende Chipentwickler Nvidia verdankt seinen Erfolg israelischer Fachkenntnis.
Archäologie
Israel ist bekanntlich ein Land, in dem archäologische Funde an jeder Ecke möglich sind. Besondere Entdeckungen in diesem Jahr sind ein Römerlager, Münzen aus der Zeit des jüdischen Aufstandes und ein 3.300 Jahre altes Schiff. Ein Verteidigungsgraben bestätigt eine biblische Beschreibung.
Kultur
Die Kulturszene ist besonders betroffen von einer anti-israelischen Gesinnung. Bei Veranstaltungen wie der Berlinale bringen Künstler ihren Unmut über das Vorgehen der Armee im Gazastreifen zum Ausdruck.
Die israelische Sängerin Eden Golan übt für den Eurovision Song Contest in Malmö vorsorglich ihren Auftritt mit Buhrufen. Das kann sie gebrauchen, sie stößt auf viel Hass – und belegt trotz aller Widerstände am Ende den 5. Platz. Die Schauspielerin Schira Haas gewinnt eine Auszeichnung in Monte Carlo. Ein ein wichtiger Beitrag ist der Film „Screams Before Silence“ von Sheryl Sandberg: Er klärt über sexualisierte Gewalt am 7. Oktober auf.
Sport
Auch israelische Sportler erfahren auf internationaler Ebene Ablehnung. Das Eishockeyteam wird wegen Sicherheitsbedenken von der Juniorenweltmeisterschaft ausgeschlossen. Nach Protest darf Israel doch teilnehmen – und gewinnt ein Teilturnier. Bei den Schwimmweltmeisterschaften in Katar wird eine israelische Siegerin ausgebuht.
Der Tiefpunkt des israelfeindlichen Geschehens rund um den Sport ist die Hetzjagd nach Fans des Fußballvereins Maccabi Tel Aviv im Anschluss an ein Spiel bei Ajax Amsterdam. Spätere Untersuchungen widerlegen die Behauptung, der spontane Volkszorn sei durch Provokation von israelischer Seite ausgelöst worden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Initiatoren hatten dafür gesorgt, dass anti-israelische Aktivisten mit Bussen aus anderen Teilen des Landes in die niederländische Hauptstadt fahren.
Vor den Olympischen Sommerspielen in Paris fordert der palästinensische Verband vergeblich einen Ausschluss Israels. Die israelischen Delegationsmitglieder sind noch höheren Sicherheitsvorkehrungen ausgesetzt als ohnehin. Der Druck ist groß, aber für den jüdischen Staat werden es mit sieben Medaillen die erfolgreichsten Spiele überhaupt. Bei den Paralympischen Spielen erlangen israelische Athleten zehn Medaillen.
Bei den French Open in Paris gewinnt der Rollstuhl-Tennisspieler Guy Sasson seinen Wettbewerb. Der Fechter Juval Freilich ist beim Grand Prix in Katar erfolgreich. Und der 15-jährige Kartfahrer Guy Albag belegt bei einem Juniorenrennen in der Slowakei den ersten Platz. Bei der Siegerehrung zeigt er ein Bild seiner Schwester Liri, die als Geisel nach Gaza verschleppt wurde.
Panorama
Was sonst noch war: Jerusalem wird in diesem Jahr die erste Millionenstadt Israels. Erstmals seit mehr als 30 Jahren regnet es zwei Wochen lang jeden Tag. Eine Fünfjährige überlebt einen Sturz aus dem achten Stockwerk. Im Negev bringt das erste legale Kamelrennen Beduinen und Juden zusammen. Die israelische Botschaft in Berlin ehrt zum Jahresempfang „Helden des Südens“.
Persönlichkeiten
Am 7. Februar starb Ulrich W. Sahm im Alter von 73 Jahren in Bremen. Der Nahostkorrespondent hatte mehr als 50 Jahre lang in Jerusalem gelebt und auch Israelnetz mit seinen Artikeln bereichert.
Walter Bingham vollendete am 5. Januar sein 100. Lebensjahr. Er ist vom „Guinness Buch der Rekorde“ als ältester praktizierender Journalist der Welt anerkannt. Bingham stammt aus Deutschland. Er kam mit einem Kindertransport nach England und wanderte mit 80 Jahren nach Israel ein.