JERUSALEM (inn) – In Pandemie-Zeiten ist es gewiss sinnvoll, sich am Kiosk den Saft oder die Cola in einem Pappbecher reichen zu lassen. Auch die Pizza kann auf einem Plastikteller und mit Plastikbesteck ohne Angst vor Ansteckung wegen schlecht abgewaschenen Geschirrs sorgloser genossen werden. Verständlich ist auch, dass jemand zum Picknick im Park oder Wald nicht sein Porzellan schleppen will. Aber dann sollte er auch eine große Plastiktüte mitbringen, um vor der Heimkehr all die Plastikteller einzusammeln, um sie zuhause in einer offiziellen Mülltonne zu entsorgen. Denn Plastik vergammelt nicht und kann noch nach Jahrhunderten Tiere und Pflanzen in der Natur schwer schädigen.
In Israel haben es sich Freiwilligen-Organisationen zur Aufgabe gemacht, an den Stränden und im Wald den hinterlassenen Abfall der Badenden oder der Picknick-Fanatiker einzusammeln, um ihn vernünftig zu entsorgen. Dennoch fallen Touristen die Unmengen Abfall im Lande auf, an den Straßenrändern oder zum Beispiel in den engen Gassen in der Altstadt von Jerusalem. Dort ist freilich das Abholen der Müllberge kompliziert, weil Spezialfahrzeuge benötigt werden, um die Treppen zu erklimmen und durch die Gassen zu passen.
In Israel hat jetzt das Finanzministerium beschlossen, Einweggeschirr aus Pappe oder Plastik spürbar zu verteuern. Niemand soll mehr recht Lust haben, tief in die Tasche zu greifen, um sich das Schleppen des normalen Geschirrs zum Campingplatz oder dem Stadtpark zu ersparen.
Kampf gegen Ultra-Orthodoxie?
Das war ein Zeichen der Regierung, den Kampf gegen die Umweltverschmutzung ernst zu nehmen. Doch dieser Beschluss von Finanzminister Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) hat, wie in Israel üblich, auch einen hochpolitischen Aspekt. Der ursprünglich aus der Sowjetunion stammende Lieberman ist bekannt für seinen unerbittlichen Kampf gegen die Ultra-Orthodoxie in Israel. Wo und wie er nur kann, versucht er ihnen zu schaden. So war die Verteuerung des Einweggeschirrs nicht nur ein segensreicher Versuch, das Land sauberer zu halten und den Klimawandel zu bekämpfen. Es war vor allem ein schmerzhafter Schlag gegen die Gewohnheiten frommer Juden.
Gemäß dem biblischen Spruch „Du sollst nicht das Zicklein in der Milch seiner Mutter kochen“ ist im Judentum eine strikte Trennung von Milch und Fleisch ein göttliches Gebot, das gewissenhaft eingehalten wird. Im Laufe der Jahrhunderte haben Rabbiner das Thema immer wieder diskutiert. So findet sich im Talmud eine große Diskussion, wo es darum geht, ob auch die Eier legenden Vögel nicht in Milch gekocht werden dürfen. Die Gelehrten kamen teilweise zum Schluss, dass Vögel kein Fleisch hätten, wenn sie keine Milch geben. Heute ist es so, dass bei frommen Juden zwei Kühlschränke in der Küche stehen, einer für „Milchiges“ und der zweite für „Fleischiges“. Ebenso verfügen sie zwecks Trennung über zwei Spülbecken.
Spülen gespart
Aber im Laufe der Zeit hat sich dank der billigen Einwegprodukte eingebürgert, sogar bei Festmahlzeiten im Familienkreis nur Plastikgeschirr aufzutischen. Nach dem Ende der Mahlzeit muss man nur einmal mit dem Arm über den Tisch wischen, um alle Schüsseln, Teller, Becher und das Besteck in eine Plastiktüte zu werfen. So erübrigt sich das mühselige Spülen des Essgeschirrs und dessen kompliziertes Einräumen, fein säuberlich getrennt nach „fleischig und „milchig“. Gerade Kinder sind da oft überfordert. Umweltbewusste Abgeordnete brachten deshalb die Idee auf, kinderreiche orthodoxe Familien auf Regierungskosten mit einer Geschirrspülmaschine zu beschenken. Immerhin könnte der Impfweltmeister Israel so vielleicht seinen Titel verlieren, auch Weltmeister im Verbrauch von umweltverschmutzendem Einweggeschirr zu sein.
Eine Lösung ist noch nicht gefunden. Auf jeden Fall löst es immer Unruhe aus, wenn ein weltlicher Staat in uralte religiöse Sitten und Gebräuche eingreift. Man stelle sich nur mal den Aufschrei der Kirchen vor, wenn ein Land wegen einer Umwelt-Mode auf die Idee käme, ihnen wegen des Klimawandels vorzuschreiben, beim Heiligen Abendmahl nur noch Leitungswasser auszuschenken und die Verwendung von Wein oder Traubensaft zu verbieten.
Von: Ulrich W. Sahm