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Eine Deutsch-Israelin erzählt

Das Massaker am 7. Oktober 2023 hat bewirkt, dass Juden in Deutschland misstrauischer gegenüber fremden Menschen geworden sind. Verena Schulz hat eine Frau in Frankfurt besucht.
Von Israelnetz
Leah Jischuv

In einer der schönen Altbauwohnungen in Frankfurt am Main serviert Leah frisch gebackenes Hefegebäck. Zu den Teigfladen gibt es eine leckere Soße aus Joghurt, selbst hergestelltem Kefir und Kräutern. Leah, die eigentlich anders heißt, ist Jüdin und lebt seit fast vier Jahrzehnten in Deutschland.

Bei ihren vielen Fahrten mit der U-Bahn hat die Deutsch-Israelin es sich angewöhnt, die Leute um sich herum genau zu beobachten. Wenn ihr Handy klingelt, weil ihre Kinder sie anrufen, spricht die Anfang 70-Jährige nun meistens Deutsch. Die Konversation auf Hebräisch zu führen, traut sie sich nicht, wenn Muslime zuhören. Wenn Deutsche in der Nähe sitzen, hat Leah eher den Mut, in ihrer Muttersprache zu telefonieren.

Leahs Tochter wohnt mit ihrer Familie in einem Häuserblock mitten in Frankfurt. Vor einiger Zeit wurde eine der Gemeinschafts-Mülltonnen mit dem Hakenkreuz beschmiert. Die Nachbarn verhielten sich sehr solidarisch gegenüber der jüdischen Familie und entfernten die Schmiererei. Leahs Tochter entschied sich, dem Hass ganz bewusst Frieden entgegen zu setzen. Zusammen mit ihren Kindern malte sie die Worte „Love and Peace“ auf die Tonne, umrahmt von bunten Herzen. 

Leah begrüßt die Reaktion ihrer Tochter sehr, doch wenn es ihre eigene Mülltonne gewesen wäre, hätte sie dem Hass nicht so mutig entgegentreten können. Sie würde ständig überlegen, wer der Täter gewesen sein könnte – und sich dadurch als Jüdin in Frankfurt noch weniger sicher fühlen.
Weder die Synagoge noch die jüdische Schule sind seit dem 7. Oktober stärker geschützt. Nur bei einer akuten Gefährdung würde die Stadt mehr Sicherheitspersonal bereitstellen. Durch die bestehenden Sicherheitsmaßnahmen fühlt sich Leah nicht wirklich geschützt: Ein Terrorist mit fester Absicht zur Tat würde sich davon nicht abhalten lassen, glaubt sie.

„Überleben ist unser Sieg“

In der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ stand vor Kurzem ein Kommentar zur aktuellen Freigabe von israelischen Geiseln, von Terroristen der Hamas als „Sieg“ gefeiert. Die Journalistin endete mit der eindrücklichen Aussage: „Der Sieg von Juden weltweit besteht darin, zu überleben!“ Leah bestätigt das.

Auf die Frage, woraus Juden immer wieder die Kraft schöpfen, aufzustehen und weiter zu leben, hat die ältere Dame eine interessante Antwort parat: Im Judentum gilt das Leben als heilig. Deshalb dürfen sie nicht aufgeben und wollen Resilienz zeigen, ganz egal, wie die Umstände sind. Auch Leah hat ihren Weg gefunden: Als Pädagogin aus Leidenschaft setzt sie sich unermüdlich dafür ein, dass jüngere und ältere Menschen die hebräische Sprache kennen und schätzen lernen.

Von der Milchwirtschaft zur Pädagogin

Als einziges Kind wurde sie in Aschkelon, einer kleinen Küstenstadt in Südisrael, geboren. Ihre Eltern waren nach dem Zweiten Weltkrieg aus Rumänien nach Israel eingewandert und lebten dort zunächst als „Pioniere“ des Landes in einem Zelt. Zu jener Zeit wurde Paaren erst dann ein Haus zugewiesen, wenn sie ihr erstes Kind erwarteten. Diese Häuser mussten jedoch noch gebaut werden. Leahs Vater half auf unterschiedlichen Baustellen mit, Israel bewohnbar zu machen.

Kurz vor Leahs Geburt konnte das eigene kleine Haus bezogen werden. Als die Tochter auf der Welt war, überlegte ihre Mutter, welchen Beitrag sie selbst zum Unterhalt der kleinen Familie leisten könnte. Selbst ein Kind von Landwirten, entschloss sie sich, eine Kuh zu kaufen und die Milch allen Nachbarn zum Kauf anzubieten. Schon bald war diese Milch so begehrt, dass vier Kühe angeschafft werden konnten.

Nach einiger Zeit zog die Familie in ein anderes Dorf, wo sie damit begann, eine Milchwirtschaft in größerem Umfang aufzubauen. Weil Leahs Mutter für ihre penible Reinlichkeit bekannt war, machte sich der Betrieb nach kurzer Zeit einen Namen als der beste weit und breit. Auch bei den Lebensmittelprüfern war er sehr geschätzt.

Trotz des erfolgreichen Betriebes sollte die Tochter etwas „Vernünftiges“ lernen. So entschied sie sich für ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Jerusalem, wo sie die Fächer Handarbeit und Werken für Lehramt studierte.

Foto: Privat
Leahs Frankfurter Wohnung schmücken eigene Handarbeiten, die an ihre Heimat erinnern

Nach dem Studium leistete die junge Frau ihren zweijährigen Militärdienst bei der israelischen Armee ab. Dort lernt man nicht nur, das Land zu verteidigen. Ein Schwerpunkt liegt auch darauf, durch unterschiedliche Berufe und Fertigkeiten Israel und seinen Einwohnern zu dienen.

Ein Leuchten lässt Leahs Gesicht um Jahre jünger erscheinen, wenn sie von diesem wichtigen Lebensabschnitt erzählt. Bis heute ist sie unglaublich dankbar für die Weichenstellung, welche die Zeit bei der Armee für ihr Leben bedeutet hat.

Pädagogin aus Leidenschaft

In den 70er Jahren kamen viele Neueinwanderer nach Israel, darunter nicht wenige Nordafrikaner. Das kleine Land sah sich dadurch vor erhebliche Herausforderungen gestellt, da diese Einwanderer meist kinderreiche Familien waren. Es handelte sich zum großen Teil um Analphabeten, die auch in ihrer Heimat wenig Bildung erhalten hatten. Um in Israel Fuß zu fassen, mussten beide Elternteile arbeiten, während die Kinder sich selbst überlassen waren.

Langeweile und fehlende schulische Bildung führten sie vielfach in den Sog von Kriminalität und einem Leben auf der Straße. Dem damaligen Verteidigungsminister Mosche Dajan lag viel daran, diese ungute Entwicklung zu stoppen. Das „Rezept“ gegen Jugendkriminalität sollte von nun an sein, die betroffenen jungen Menschen bei der Armee so zu fördern, dass sie aus dem Teufelskreis ausbrechen konnten.

Leah, die zu jener Zeit ihren Wehrdienst ableistete, bekam hier eine Chance, ihr pädagogisches Können unter Beweis zu stellen. Sie absolvierte ein Programm, welches den Teilnehmern ermöglichte, Neueinwanderern die Grundlagen der hebräischen Sprache beizubringen. Von nun an brachte die junge Lehrerin insbesondere Juden aus Nordafrika Hebräisch bei. Ihr strahlendes Gesicht zeigt, wieviel ihr diese Erfahrung noch heute bedeutet.

Die jugendlichen Neueinwanderer mussten erst lernen, dass ihr Alltag nun strukturiert verlaufen würde und sie selbst Verantwortung für ihr Leben übernehmen sollten. Doch Leah gelang es, eine gute Beziehung zu ihnen aufzubauen. Sie blieb mit vielen auch nach der Zeit des gemeinsamen Lernens freundschaftlich verbunden. 

Rückblickend sieht die Lehrerin ihren Armeedienst als sehr prägend für ihr weiteres Leben. Zum einen durfte sie in der Arbeit mit jugendlichen Analphabeten und deren Eltern ihr pädagogisches Potential erweitern und an Schwierigkeiten wachsen. Zudem lernte sie während ihres Wehrdienstes ihren zukünftigen Mann kennen. Nach einem halben Jahr waren die beiden ein Paar.

Neuanfang in Deutschland

Aufgrund der wiederkehrenden Kriege war das Leben nicht leicht für die Familie, weshalb Leahs Mann eines Tages den Wunsch äußerte, nach Deutschland zu ziehen. Der Fachmann in der Computerbranche bekam das Angebot, für eine Firma in der Nähe von Frankfurt zu arbeiten. Als vierköpfige Familie fassten sie 1987 den Entschluss, in Deutschland ganz neu zu beginnen. In Frankfurt machte eine dritte Tochter das Familienglück komplett. Durch ihre Töchter hatte Leah viele Kontakte und nahm nach einiger Zeit eine Stelle als Lehrerin für Hebräisch an der jüdischen Schule in Frankfurt an. Parallel dazu unterrichtete sie an der Jüdischen Volkshochschule interessierte Erwachsene.

Auch heute noch bereitet es der älteren Dame viel Freude, jüngere und ältere Menschen Hebräisch zu lehren. Überhaupt sind ihre große und eigentliche Leidenschaft die Menschen, wie sie mit funkelnden Augen erzählt. Ihrem Gegenüber begegnet sie mit Offenheit und Wertschätzung.

Jeden Samstagmorgen besucht Leah die Synagoge, wo sie nach der Betriebsamkeit der Woche zur Ruhe kommt. Die Lesungen aus der Tora geben ihr Kraft für ihren Alltag und sie genießt es, Freunde und Bekannte in der Synagoge zu treffen. Auch die Zeit mit der Familie ist ein wichtiges Element eines jeden Schabbats für Leah. In einer Zeit, wo Antisemitismus wieder zunimmt, lebt die Jüdin aus Israel in Deutschland damit auf ihre ganz eigene Weise Resilienz. 

Verena Schulz ist Erzieherin und lebt nördlich von Frankfurt am Main. Leah lernte sie kennen, als ihr Mann bei ihr Hebräischunterricht nahm.

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12 Antworten

  1. @Redaktion
    Vielen herzlichen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Es tut so weh, dass Juden hier in DE nicht öffentlich ihre Sprache sprechen und ihre Traditionen leben können. Ich bete für eine andere Zeit, in der Jüdisches Leben sein Recht hat.

    22
    1. Liebe Ella, selbst wir mit Zivilchourage schweigen jetzt öfters. Die Gefahr vor Messerangriffen ist zu groß geworden. Man denkt ja auch weiter. An unsere Kinder.
      Danke für beten. Shalom
      Nachtrag: Es richtet sich die Brutalität des Wortes und Übergriffe schon lange nicht mehr n u r gegen Israel, sondern gegen j e d e n Juden. Letzteres wie 1933/38/44

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      1. @Am Israel chai
        @Klaus
        Ja, ihr habt das Recht, aber leider oft unter lebensgefährlichen Bedingungen. Synagogen zu besuchen nur unter Polizeischutz, Kettchen und Kippa nicht mehr tragen ohne Angst zu haben. Dieses Kämpfen um das Recht, das meine ich. Das soll alles irgendwann wieder normal sein, wenn Gott mein Gebet erhört. Ich höre nicht auf, Gott um seinen Segen für euch zu bitten.

        12
    2. Aber wir haben es doch, dieses universelle Recht. Und wenn es auch einige Geister gibt, die uns dieses Recht absprechen,wer sind die denn schon, und was bilden die sich eigentlich ein, für wen halten die sich, daß sie sich anmaßen dürfen, anderen Menschen das Lebensrecht zu verweigern…..?
      Gesteht man uns das nicht zu,,dann nehmen und erkämpfen wir uns dieses Recht und damit basta !!! SHALOM ALEJCHEM

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  2. Danke für diesen Bericht.

    Ich denke bei den ersten Absätzen an den Austausch mit Sam, der hier im Forum äußerte, dass er sich als Jude in D sicher fühlt. Für mich ist seine Einschätzung nicht nachvollziehbar.

    1
    1. @Rts
      Wie lange haben Sie in Israel gelebt? Wieviel Anschläge und Kriege haben Sie dort miterlebt? Wieviel ihrer Freunde oder Familienangehörige sind dabei gestorben oder schwer verwundet worden?Haben Sie Gliedmaßen verloren? Israel ist nicht in der Lage uns zu beschützen,spätestens am 7.10. hat es die ganze Welt mitbekommen aber hier in diesem Forum wird Israel nur schön geredet und Deutschland wird verurteilt und mit Hass übersät. Ja,ich fühle mich hier deutlich besser beschützt. Es gibt sehr gute Gründe warum viele von uns NICHT in Isreal leben wollen, aber das würde keiner der Juden hier im Forum die permanent Müll über Deutschland ausschütten, zugeben.Scheinheiligkeit in Reinkultur.

      2
      1. @Sam
        Wenn man entscheidet in Deutschland zu bleiben, dann darf man nicht „Müll über Deutschland ausschütten“. Man sieht, dass Sie gute Universitäten besucht haben. Aber die Problemen, die Juden in Deutschland haben ab 2015 haben, zu verschweigen, ist nicht gut.

        1
        1. Lieber Toskaner, Sam hat gar
          Nicht behauptet, man dürfe kei
          Nen Müll über D schütten, son
          Der er sieht keinen Anlass da
          Für. Das ist ein Unterschied.
          Natürlich kann er wie jeder hier
          Auch was kritisieren was ihm
          Nun nicht passt. Im Rahmen dessen was hier erlaubt ist
          (Das meiste)

          0
      2. @Sam
        Ihren Post halte ich für nicht angebracht. Denn: Ich habe nie behauptet, dass es in Israel sicherer ist als in D. Ich habe nur behauptet, dass es für Juden in D nicht sicher ist. Gründe für diese Sichtweise habe ich schon genannt. Das halte ich nicht für ein „Müll ausschütten über Deutschland“, sondern für Fakten.

        0
  3. Vielen Dank für den Bericht. Der Zustand in Deutschland ist miserabel, für alle Menschen Jüdischen Glaubens und alle Pro-Israelischen Menschen aus anderen Religionen.
    Deutschland ist eine Katastrophe geworden, allerdings auch eine von vielen anderen dieser Welt.
    Die Welt ist zum Weinen.

    4
  4. Und ich dachte noch vor dem 07.10.23,
    Deutschland kann ein Zufluchtsort für alle Menschen jüdischen Glaubens sein!
    Sie sind willkommen!
    So sehr habe ich mich in eigenen Landleuten getäuscht, bei den linksorientierten Politikern war das klar!
    So wird von Flüchtigen unsere Gastfreundschaft missbraucht!

    3

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