MÜNCHEN (inn) – Genau 45 Jahre nach dem Terroranschlag auf israelische Sportler während der Olympischen Spiele 1972 in München bietet die Stadt nun eine Gedenkstätte für die Opfer. Am Mittwoch kamen etwa 30 Angehörige zur Einweihung nach München – zum Teil betraten sie erstmals seit dem schrecklichen Geschehen die Stadt. Der israelische Präsident Reuven Rivlin und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier wohnten der Zeremonie bei.
Die in einen kleinen Hügel eingelassene Stätte im Olympiapark, die aussieht wie ein Quereinschnitt, vermittelt auf den ersten Blick, was der Terrorakt bedeutet: Eben einen Einschnitt. Dies gilt zunächst einmal für das Leben der Angehörigen, die ihre Lieben verloren; dann aber auch für die Olympischen Spiele, zu deren Selbstverständnis der Friede gehört.
Der Erinnerungsort ist von drei Seiten zugänglich, fünf kleine Stufen führen hinab zu einer keilförmigen Säule, wo die Namen der zwölf Terror-Opfer zu lesen sind. Am Tag der Einweihung enthüllte jeweils ein Angehöriger nach und nach diese Gedenktafeln. Darauf sind neben Portraits auch Bilder von persönlichen Gegenständen zu sehen, die die Terror-Opfer mit den Spielen verbinden – etwa ein Sprachführer.
Im hinteren Teil ist eine Videoleinwand installiert, auf der eine Präsentation zum Tatgeschehen und zum historischen Kontext abläuft. Die ganze Stätte lädt ein zum Verweilen, Erkunden, Besinnen – Trauern.
Leerstelle beseitigt
Auf diese Weise füllt sie gewissermaßen eine Leerstelle, die die zwei Gedenkorte, die es bislang gab, nicht ausfüllen konnten. Eine Journalistin aus München, die sich vor Ort auskennt, erklärt es so: Die Gedenktafel in der Connollystraße 31, wo der Terrorakt am frühen Morgen des 5. September seinen Anfang nahm, ist unscheinbar. Es kommt vor, dass Menschen trotz Wegbeschreibung an ihr vorbeilaufen. Das 1995 errichtete Denkmal des Bildhauers Fritz Koenig, faktisch ein Querbalken auf einem Sockel, nutzen Kinder schonmal zum Kraxeln.
Vor allem aber erklären diese beiden Stellen nicht die näheren Umstände, schildern den Tatverlauf nicht – bieten keine Erklärung. Und genau dies ist wichtig, wie Bundespräsident Steinmeier in der an die Einweihung anschließende Feierstunde betonte. Die Erinnerung auch an schreckliche Ereignisse in der deutschen Geschichte helfe dabei zu verstehen, „woher wir kommen“. Das habe Konsequenzen für die Gegenwart: Der Schutz Israels und der Kampf gegen Antisemitismus gehörten zum deutschen Selbstverständnis. „Nur wenn Juden in Deutschland sicher sind, zuhause sind, ist Deutschland vollkommen bei sich.“
Die Stätte sei dann aber auch ein Zeichen für die Angehörigen, betonte der Bundespräsident: „Wir treten dem Terror auch dadurch entgegen, indem wir den Opfern zur Seite stehen. Wir sagen: In Eurer Trauer seid Ihr nicht allein.“ Die Schaffung dieses Erinnerungsortes sei indes überfällig gewesen, merkte Steinmeier weiter an. „Viel zu lange fehlte dieser Ort.“
Gedenkstätte mit Verzug
Überhaupt war an diesem Tag oft die Vokabel „überfällig“ zu hören. Kritik wie diese gehörte allerdings nicht zum Geist dieses Tages – ein Geist, den die Angehörigen selbst vorgaben. Ein Tag der Dankbarkeit sollte es sein, betonte die Witwe von Andrej Spitzer, Ankie Spitzer: Dankbarkeit dafür, dass der jahrzehntelange Kampf um das Gedenken – „ein langer, einsamer Weg“ – Früchte trägt.
Vielleicht war es auch dem Geist der Dankbarkeit geschuldet, dass in ihrer Stimme keine Bitterkeit zu hören war, als sie an ihre Gefühlswelt an jene Zeit im September 1972 erinnerte: „The heiter Games“ seien damals zwar weitergegangen, doch ihre Welt habe an diesem Tag aufgehört, sich weiterzudrehen.
Gewissermaßen passten zu dem Willen, Kritik hintanzustellen, auch die Umstände des Auftrittes von Ronald S. Lauder. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses betrat die Bühne in dem Glauben, eine Ansprache zu halten. Tatsächlich war für ihn ein Kurzpodium vorgesehen, bei dem er eine Frage beantworten sollte. Als er dran war, ließ er diese links liegen. Anstatt dessen sprach er das Thema des Verzugs an, allerdings mit einer Verve, zu der an diesem Tag sonst niemand bereit gewesen war. „Die toten Israelis wurden vergessen!“, beklagte er. In seiner Ansprache machte er den Zuhörern unter anderem deutlich: „Terroristen sind keine Freiheitskämpfer!“
Aus Zeitgründen konnte Lauder nicht zuende reden, und so war nicht unmittelbar klar, ob er mit diesem Satz auf konkrete Vorfälle anspielte. Dem aufmerksamen Beobachter wird allerdings der Besuch Steinmeiers in Ramallah in den Sinn gekommen sein. Dort brachte der Bundespräsident dem Palästinenserführer und Terroristen Jasser Arafat seine Ehrerbietung, legte an dessen Grab einen Kranz nieder. Das ist insofern spannend, als die Terrorgruppe Schwarzer September, deren Mitglieder 1972 die Terrortat verübten, mit Arafats Palästinensischer Befreiungsorganisation (PLO) verbunden war.
Die acht Terroristen wollten mit ihrer Geiselnahme im Olympischen Dorf die Freilassung von mehr als 230 Terroristen in israelischer Gefangenschaft erpressen. Zudem forderten sie die Freilassung der RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof.
Am frühen Morgen des 5. September drangen sie über den Sicherheitszaun in das Gelände des Olympischen Dorfes ein. Dort nahmen sie elf Mitglieder der israelischen Auswahl als Geiseln. Zwei der Athleten wurden in den ersten Stunden getötet. Neun weitere starben am Abend bei einer missglückten Befreiungsaktion auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck; bei der Schießerei starb auch ein deutscher Polizist. Fünf der Terroristen wurden ebenfalls an diesem Abend getötet.
Offene Anliegen
Mit der neuen Gedenkstätte erleben die Angehörigen, wie sie es formulierten, ein Stück weit Befriedigung – das Beharren auf die Gedenkstätte habe sich ausgezahlt. Doch der Kampf geht weiter: Im Raum steht die Frage nach der Kompensation durch Deutschland, aber auch nach einer Gedenkminute während der Eröffnung Olympischer Spiele. Bei den Spielen in Rio de Janeiro im Jahr 2016 gab es immerhin erstmals einen Ort der Trauer für Menschen, die bei Olympischen Spielen getötet wurden.
Auf diese Aspekte ging der israelische Präsident Rivlin in seiner Rede ein. Israel warte noch immer auf eine Gedenkminute, betonte er im Beisein des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach. „Unsere Brüder waren nicht nur Söhne des Staates Israel – sie waren Söhne der olympischen Familie. Eine Familie, die jahrelang die Fürsorge verweigerte.“
Rivlin war nach der Einweihung indes nach Dachau bei München gefahren, um dort das frühere Konzentrationslager zu besuchen. Was für ein Schock der Terroranschlag von 1972 – ausgerechnet in Deutschland, nur drei Jahrzehnte nach dem Holocaust – für die Israelis war, verdeutlicht ein Satz des damaligen Innenministers Josef Burg mit Bezug auf beide Orte: „Bis heute meinten wir immer, dass Dachau in der Nähe von München liege. Von nun an liegt München leider in der Nähe von Dachau.“ Für München gibt es nun einen angemessenen Ort der Erinnerung und der Trauer.
Von: Daniel Frick