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Ein wahrer Nahostkenner

Der deutsche Korrespondent Ulrich W. Sahm verbrachte einen großen Teil seines Lebens in Jerusalem. Israelnetz verdankt dem nun verstorbenen Nahostkenner viel. Ein Nachruf
Von Elisabeth Hausen

„Jeden Tag, den ich länger hier lebe, verstehe ich weniger, was hier passiert.“ Das sagte Ulrich W. Sahm Anfang 2009 bei einem Vortrag in Heidelberg. Damals lebte der nun verstorbene Journalist schon fast 40 Jahre in Jerusalem und wusste nicht nur deshalb viel mehr als so mancher selbsternannter „Nahostexperte“, von denen einige noch keinen Fuß ins „Heilige Land“ gesetzt haben.

Als Diplomatensohn hatte Ulrich Wilhelm Sahm eine bewegte Kindheit und Jugend: Er ging in England und Frankreich zur Schule, lebte aber auch in der türkischen Hauptstadt Ankara und in Moskau. Sein deutsches Abitur indes machte er in der Odenwaldschule.

Die erste direkte Begegnung mit dem Thema „Israel“ beschrieb er 2005 in einem Interview des Christlichen Medienmagazins PRO: „An der internationalen Schule in Paris war ich der einzige Deutsche und es kam vor, dass französische Kinder mir die Hand in die Nase steckten und ‚Heil Hitler!‘ schrieen. Wer mir zu Hilfe kam, waren israelische Mitschüler. Mein bester Freund war damals ein Israeli. Seine Familie hat mich als Teenager erstmals zu einem Passahmahl eingeladen. Mit ihm bin ich dann auch einmal in die Synagoge gegangen. Tatsache ist, dass ich vieles über die deutsche Vergangenheit von jüdischen Freunden erfahren habe, die nett zu mir waren und mir erklärten: ‚Du bist der erste Deutsche in unserem Haus …‘ Das ist verrückt.“

Ungeplant zum Journalismus gekommen

So verschlug es den Studenten der Evangelischen Theologie, Judaistik und Linguistik 1970 nach Israel. An der Hebräischen Universität Jerusalem wollte er weiter Hebräische Literatur studieren. Pläne, darüber hinaus im Land zu bleiben, hatte er nicht. Doch ungeplant kam er zum Journalismus – und verlängerte seinen Aufenthalt.

Die Anfänge schilderte er in dem Interview: „Ich habe mich schon als Journalist betätigt, ehe ich überhaupt wusste, was ein Journalist ist. Meine ersten Artikel schrieb ich in Hebräisch. Für die israelische Tageszeitung ‚Ha‘aretz‘ schrieb ich Anfang der 70er Jahre Rezensionen moderner deutscher Literatur. Der eigentliche Stichtag, an dem ich Journalist wurde, war dann aber der 19. November 1977, der Tag, an dem der ägyptische Präsident Anwar el-Sadat nach Israel kam. Im Bus traf ich deutsche Kollegen, die zum Sadat-Besuch gekommen waren – und auch, um einen neuen Korrespondenten zu suchen.“

Sahm, der von Deutschen Uli und von Israelis Uri genannt wurde, arbeitete lange Zeit für den Nachrichtensender „n-tv“ und die Katholische Nachrichtenagentur (KNA). Seine Beiträge erschienen in Zeitungen wie dem „Weserkurier“ oder der „Mainzer Allgemeinen Zeitung“, aber auch bei der Schweizer Nachrichtenseite „Audiatur“.

Fruchtbare Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit mit Israelnetz war zunächst indirekt. Wir übernahmen Artikel von ihm von „n-tv“ oder „Audiatur“. Ab 2009 wurde das Miteinander enger. Der damalige Israelnetz-Korrespondent Johannes Gerloff und Ulrich Sahm lasen ihre Beiträge gegenseitig vor der Weitergabe an die Redaktionen. Das war fruchtbar. Bereits bei der Berichterstattung zum Tod von Jasser Arafat im November 2004 hatten die beiden eine Absprache: Während Gerloff zur Beerdigung nach Ramallah fuhr, verfolgte Sahm die Zeremonie vom Büro aus.

Wer ihn in Jerusalem besuchte, bekam Regale mit unzähligen Büchern zu sehen. Dabei nahm das Thema Kochen viel Raum ein. Und es blieb nicht bei der Theorie: Der Journalist stellte sich persönlich an den Herd, probierte auch mal neue Rezepte aus – und erzielte in der Regel ein schmackhaftes Erlebnis. Aus diesem Hobby entstand dann auch das Angebot für Besucher, bei einem mehrgängigen Menü Informationen über Nahost aus erster Hand zu erhalten.

Sehenswert war Sahms Arbeitszimmer: Am Fernseher und Radio verfolgte der Korrespondent die aktuellen Ereignisse in und um Israel mit. Deshalb war er oft einer der ersten, die Nachrichten erfuhren und auf Deutsch meldeten. Das Internet vervollständigte die Quellen für seine Artikel.

Persönliche Erlebnisse in Artikeln geschildert

Doch auch persönliche Erlebnisse flossen in seine Texte ein. Anschaulich beschrieb er seine erste Begegnung mit dem 2004 verstorbenen Palästinenserführer Jasser Arafat in Gaza:

„Arafat etablierte sein Hauptquartier am Strand von Gaza in einem üppigen neuen Gebäude. Dort habe ich ihn zum ersten Mal getroffen, als eine deutsche Delegation die Stadt besuchte. Im Speisesaal war ein Tisch quer für die Honoratioren aufgestellt. Von ihm gingen drei lange Tischreihen für Journalisten, Delegationsmitglieder und andere Gäste ab. Strategisch suchte ich mir einen Platz nur einen Meter von Arafat entfernt.

Kellner des American Colony Hotels in Jerusalem tischten auf. Sie brachten ein leckeres Hühnerschnitzel als Hauptspeise. Ich versuchte, den Gesprächen am Tisch der Honoratioren zu lauschen, konnte aber akustisch nichts verstehen. Hungrig machte ich mich an das Schnitzel. Kaum hatte ich ein Stück aufgegabelt, verspürte ich einen Schmerz in der Schulter. Arafat hatte eine Banane gegriffen und hielt sie wie eine Pistole. Damit prügelte er auf meine Schulter ein. Erschrocken schaute ich auf: ‚Mr. President?‘ Der eingefleischte Vegetarier sah mich an und sagte, ich sollte kein Fleisch essen.“

Archäologie als besonderes Thema

Auch wegen der Arbeit für die KNA spezialisierte sich Sahm im Laufe seiner Arbeitsjahre auf archäologische Themen. Ausgrabungen mit relevanten Entdeckungen gibt es in Israel viele.

Redakteure, die einen Originaltext von Ulrich Sahm zu lesen bekamen, mussten ihn zuerst einmal sprachlich bearbeiten. Denn in den Texten spiegelte sich wider, dass der Quereinsteiger seine Schulbildung vor allem im Ausland erhalten hatte. Beim Zählen kamen ihm etwa statt der deutschen zuerst die englischen Zahlwörter in den Sinn. In Jerusalem hielt er sich dann meist in einem hebräisch geprägten Umfeld auf.

Genau diese guten hebräischen Sprachkenntnisse wiederum unterschieden ihn von den meisten ausländischen Korrespondenten in Israel. Der Publizist Henryk M. Broder schrieb im Vorwort für Sahms 2010 erschienenes Buch „Alltag im Gelobten Land“ über ihre erste Begegnung im Jahr 1981: „An Sahm fiel mir damals zweierlei auf: Dass er nicht nur Hebräisch sprechen und lesen konnte, sondern darüber hinaus wirklich eine Ahnung von dem Land hatte; und dass er sogar im Jerusalemer Winter, der extrem streng sein kann, Sandalen trug. Ich wusste nicht, was ich mehr bewundern sollte.“

Kenntnisreiche Vorträge

Sein Wissen über Israel setzte Ulrich Sahm gewinnbringend nicht nur bei den erwähnten kulinarischen Treffen in Jerusalem ein. Er hielt auch viele Vorträge im deutschsprachigen Raum, vor allem in christlichen Gemeinden – obwohl er selbst der Religiosität skeptisch gegenüber stand. Dabei argumentierte er vehement und überzeugend für eine faire Sicht auf Israel und den israelisch-palästinensischen Konflikt. Durch seine langjährige Erfahrung konnte er Zuhörer, die an einer sachlichen Diskussion interessiert waren, ins Nachdenken bringen.

Beeindruckend fanden Teilnehmer seiner Vorträge aber auch sein äußeres Auftreten. Eine Zuhörerin, die ihn in Rendsburg erlebt, erinnert sich daran, dass er während des gesamten Vortrages Wein getrunken habe.

Broder stellte den Journalisten in dem Vorwort so dar: Sahm „regte sich immerzu auf, und zwar wirklich. Schon äußerlich eine Mischung aus Käpt’n Blaubär und Räuber Hotzenplotz ließ er seinem Ärger und seiner Wut freien Lauf. Entweder über die Dummheit der israelischen Regierung, wozu es immer genug Anlässe gab, oder über die Dummheit der Korrespondenten, die genau wussten, wie der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst werden müsste, den sie an der Bar des Hotels ‚American Colony‘ hautnah miterlebten“.

Seine Sicht auf den Nahen Osten hatte sich verändert, nachdem seine Tochter bei einem Terroranschlag schwer verletzt worden war. Dies führte dazu, dass mehrere Medien seine Perspektive als nicht mehr ausgewogen empfanden und sich von ihm lossagten.

Inspirierender Einzelkämpfer

Mit seiner Minderheitenposition zum israelisch-palästinensischen Konflikt war Ulrich Sahm ein einsamer Kämpfer. Nicht immer machte er es denjenigen, die noch zu ihm hielten, leicht. Aber wer sich darauf einließ, profitierte von seinen mitunter eigenwilligen Beiträgen. Mehr als einmal machte er uns auf Irrwege aufmerksam, die wir einzuschlagen drohten.

Ende 2022 kehrte er nach Deutschland zurück. In Bremen wollte er eine neue Heimat finden – und wieder schreiben. Zwei Artikel konnte Israelnetz im Sommer 2023 noch von ihm veröffentlichen. Der letzte befasste sich, wie könnte es anders sein, mit Archäologie.

Am 7. Februar ist Ulrich W. Sahm gestorben. Er wurde 73 Jahre alt. Seine eigene Widmung zum Buch „Alltag im Gelobten Land“ könnte eine Art Lebensmotto sein: „Dieses Buch widme ich meinen Lesern in den Zeitungen, den Zuschauern im Fernsehen und den Hörern im Radio, die mich durch ihre Kritik ermuntert haben, immer wieder neu hinzuschauen und jenen, die mich mit ihrem Lob angespornt haben, das Gelobte Land weiter zu erkunden.“

Israelnetz hat Ulrich W. Sahm viel zu verdanken. Möge die Erinnerung an ihn zum Segen sein.

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4 Antworten

  1. Danke für den Bericht. Möge uns allen Ulrich W. Sahm mit seinem bewegten Leben in Erinnerung bleiben.
    Seine Erfahrung in Frankreich, wo gerade die Israelis ihn als Deutschen am Besten akzeptierten, ist auch wichtig.
    Leider verlassen viele Nahostkenner u.a. gute Menschen diese Welt, es wird immer mehr finster, und wir müssen alle dafür kämpfen, dass es wieder mehr engagierte Menschen gibt, die auch in der Öffentlichkeit stehen. Das Verhältnis Deutschlands zu Israel muss wieder besser werden.

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  2. Ulrich Sam, der seiner Wut freien Lauf ließ, wenn er über die Dummheit der Korrespondenten, die genau wussten, wie der isralisch-palästinensische Konflickt gelöst werden würde, den sie an der Bar des Hotels „American Colony“ hautnah erlebten. „Schade dass man solche Leute heute kaum noch findet.“

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  3. Die Beiträge von Ulrich Sahm waren immer sehr informativ und es macht traurig, dass wieder eine Stimme nicht mehr zu hören ist. Was mich aber auch immer sehr nachdenklich macht ist, wenn immer nur die israelische Regierung kritisiert wird und die Feinde Israels , die ja letztendlich die Vernichtung wollen und immer daraufhin arbeiten, nicht erwähnt werden.
    „…..So weiß ich, dass Treue denen, die sie wahren, gefährlicher sein kann als Krieg und Cholera. Mich empörte es, daß Gott uns die Treue so schlecht lohnte, ja daß er uns bestrafte und nicht belohnte. Wir waren Wasserträger Gottes. Wenn er gerecht war, wie konnte er es dann zulassen, geschweige denn fordern, daß wir von Ewigkeit zu Ewigkeit seine Wasserträger seien?“ – Manès Sperber

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