Generalmajor (der Reserve) Jaakov Amidror nimmt kein Blatt vor den Mund. „Aus taktischen Gründen ist Scharons Plan falsch, weil er mehr israelisches Gebiet in die Reichweite palästinensischer Granaten und Raketen bringt und die Fähigkeit der israelischen Armee einschränkt, den Terror zu bekämpfen. Deshalb ist der Plan zur einseitigen Trennung idiotisch.“ Die (nicht existente) Reaktion der israelischen Armee auf den palästinensischen Raketen- und Granatbeschuss zeige außerdem, dass Israel bislang keine Antwort auf diese Bedrohung habe, als einzig das Gebiet zu kontrollieren, von dem die Bedrohung ausgeht.
Der Mann mit der gehäkelten Jarmulke auf dem Kopf macht aus seinen religiösen Überzeugungen kein Hehl, will aber seine Einschätzung des geplanten Rückzugs der israelischen Armee aus dem Gazastreifen auf rein professioneller Basis verstanden wissen. Jaakov Amidror, der einmal den militärischen Nachrichtendienst Israels geleitet hat, weist den Verdacht, er komme auf ideologischer Grundlage zu seinen Aussagen, weit von sich.
Der Gazarückzug verführt die andere Seite zu dem Schluss, sie könne alles erreichen, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Warum, fragt sich Amidror, sollten die Palästinenser künftig noch weiter verhandeln wollen, wenn Israel einseitig alles abgibt. Außerdem befürchtet er schon jetzt, vor allem von Seiten der EU, die Frage nach dem nächsten Schritt, die sich wieder nicht an die Palästinenser, sondern an Israel wendet: „Was werdet ihr als nächstes geben?“
Zum „historischen Fehler“ wird der Gazarückzug nach Einschätzung des ehemaligen militärischen Geheimdienstchefs aber, weil 74 Prozent der palästinensischen Bevölkerung ihn für eine Frucht des Terrors halten. „Ich bin mir darüber im Klaren, dass Israel den Gazastreifen nicht für immer kontrollieren wird“, erklärt Generalmajor Jaakov Amidror, und: „Natürlich hat eine Regierung das Recht, über die Grenzen des Landes zu entscheiden.“ „Aber ein Rückzug unter Feuer inmitten eines Krieges ist ein großer Fehler.“ Über Sinn und Unsinn der israelischen Siedlungspolitik will er gerne mit sich reden lassen – „aber die Siedler jetzt abzuziehen, signalisiert ein mangelndes Zutrauen, dass wir in der Lage sind, sie zu verteidigen.“ Deshalb „widerspricht der Gazarückzug der gesamten Philosophie der Terrorbekämpfung“.
Amidror, der zur Zeit des vierfachen Anschlags auf das Londoner Verkehrsnetz in der britischen Metropole war, wirft Israel vor, durch den Gazarückzug zu einer Atmosphäre beizutragen, in der Organisationen wie die Al-Qaida gedeihen. Er geißelt die sozialistische Nostalgie des britischen Premierministers Tony Blair, der die Wurzel allen Terrors in der Armut zu finden glaubt und sie durch Entwicklungshilfe meint heilen zu können. „Die Wurzel des Terrors ist die Erfolgskarriere Jasser Arafats“, donnert der israelische General, „und der Erfolg der Mudschaheddin in Afghanistan gegen die Sowjetunion.“
Als wäre es abgesprochen, bekommt Jaakov Amidror wenige Stunden später Schützenhilfe im britischen Nachrichtensender Sky News. Dort erklärt die ehemalige pakistanische Premierministerin Benasir Bhutto die Ursache islamistischen Terrors: „Es gibt eine Gruppe von Leuten, die glauben, sie hätten die Sowjetunion in die Knie gezwungen. Jetzt wollen sie ebenso den Westen bezwingen.“ Nach islamischer Sitte keusch mit Kopftuch verhüllt erklärt die Muslima: „Selbst wenn die Irak-Frage gelöst wäre, hätte sich der Westen noch immer mit Terror im Namen der Religion auseinander zu setzen.“
Wenn die israelische Armee erst einmal aus dem Gazastreifen abgezogen ist, wird sich die Sicherheitslage im Süden Israels dramatisch verschlechtern. Oberst Schuki Rimski war bis vor wenigen Wochen einer der israelischen Kommandeure im Gazastreifen und unterstützt die Einschätzung seines Kollegen Amidror. Wenn Gaza erst durch einen See- und Flughafen mit der Außenwelt verbunden ist, wird sich dort eine hochgerüstete Terrorbasis entwickeln. „Gebietskontrolle“ ist aus Sicht Amidrors und Rimskis der Schlüssel zur Sicherheit Israels.
(Bild: Haus in Neveh Dekalim nach palästinensischem Raketenangriff; Johannes Gerloff)