Seit vergangenem Mittwoch fiebert ganz Israel mit, was aus dem „Geiseldeal“ wird: Dabei geht es darum, 98 Menschen zurückzubringen, die die Terror-Organisation Hamas größtenteils am 7. Oktober 2023 brutal aus ihrem Leben in Südisrael riss und in den Gazastreifen verschleppte.
Dass der Deal überhaupt ermöglicht wurde, schreiben sich sowohl der amtierende US-Präsident Joe Biden als auch sein Nachfolger Donald Trump, der am heutigen Montag eingeführt wird, auf ihre Fahnen.
Viele Israelis bezeichnen die Vereinbarung erwartungsvoll „als das einzig Richtige“, viele andere dagegen wütend und zerknirscht als den „schlecht-möglichsten Deal“.
Für den Deal gibt es gute Gründe
a) Nach 15 Monaten kommt ein Teil der verbliebenen israelischen Geiseln frei.
b) Die Waffenruhe führt zu einem vorläufigen Ende der Kriegshandlungen in Gaza; damit sterben dort keine Zivilisten mehr und es fallen keine Soldaten.
c) Die Zivilisten können in ihre Häuser zurückkehren beziehungsweise in das, was davon übrig geblieben ist.
Mindestens genauso viele Gründe sprechen gegen den Deal
a) Der Deal erstreckt sich über mehrere Wochen und Phasen. In den ersten sechs Wochen sollen 33 Geiseln freikommen, erst nach 16 Tagen soll über die weiteren verhandelt werden. Viele befürchten, dass die Hamas sich nicht an die Abmachung hält, wirklich alle Geiseln zurückzugeben, oder dass der innenpolitische Druck in Israel so groß wird, dass die Regierung eine Wiederaufnahme von Kampfhandlungen beschließt. Bereits vor der Rückgabe der ersten drei Geiseln am Sonntag bekam die israelische Öffentlichkeit die Manipulation seitens der Terror-Organisation deutlich zu spüren: Sie übergab die Namen der freizulassenden Geiseln nach dem vereinbarten Zeitpunkt, so dass auch die Waffenruhe später in Kraft trat.
b) Für eine israelische Geisel lässt Israel 30 bis 50 sogenannte „Sicherheitshäftlinge“ frei. Viele von ihnen haben israelisches Blut an den Händen, knapp 300 von ihnen sind zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Nur ein Teil soll ins Exil, nach Katar und in die Türkei, gebracht werden, ein anderer Teil jedoch kehrt zurück nach Gaza, in das Westjordanland und nach Ostjerusalem. Frühere ähnliche Deals zeigen, dass mehr als 50 Prozent von ihnen wieder terroristisch aktiv werden und künftig zahlreiche Menschenleben fordern.
c) Trotz deutlicher Schwächung ist die Hamas nach wie vor die regierende Macht im Gazastreifen. Das demonstrierte sie für alle Welt sichtbar bei der Übergabe der Frauen an das Internationale Rote Kreuz. Die Armee kann keine Terroristen mehr fassen und die Hamas wird die Zeit und neue Hilfsgelder erklärtermaßen nutzen, um ihr Terrornetzwerk zu stärken, neu aufzubauen und aufzurüsten.
Gegner werfen zudem ein, dass der jetzige Deal eine Belohnung für die Terroristen sei. Nach ihrer Auffassung ermutigt er sie, künftig wieder Geiseln zu nehmen, um die eigenen Gefangenen freipressen zu können. Darunter könnten namhafte Terroristen sein, die viele Israelis ermordet haben.
So absurd es klingt – beide Seiten haben Recht. Die Entscheidung für die Umsetzung des Deals spaltet die israelische Gesellschaft und die Regierung kann in dieser Sache nur falsch entscheiden. Doch am Sonntagabend hing gefühlt ganz Israel vor den Bildschirmen. Selbst Gegner des Abkommens fieberten mit, als Emily Damari (28), Romi Gonen (24) und Doron Steinbrecher (31) in die Obhut der Armee übergeben wurden.
Abschied in Gaza-Stadt
Entgegen der Vereinbarung teilte die Hamas die Namen der drei freizulassenden Frauen erst am frühen Sonntagmorgen den Israelis mit, 18 Stunden nach der vereinbarten Zeit. Nicht nur für die Familien der Geiseln war das Psychoterror; das gesamte Land bekam einen Eindruck davon, auf welchen Nervenkrieg es sich in den kommenden Wochen einzustellen hat.
Gegen 17 Uhr wurden die Frauen in Gaza-Stadt von Dutzenden bewaffneten und maskierten Hamas-Terroristen sowie Tausenden Zivilisten umringt, die sich um und auf den Geländewagen des Internationalen Roten Kreuzes scharten und mit erhobenen Gewehren in Siegerposen tanzten. Was den drei jungen Frauen dabei durch den Kopf ging und wie sie sich fühlten, werden sie vielleicht in den kommenden Wochen mitteilen.
Als ihre Mütter sie etwa eine Stunde später in Südisrael in Empfang nahmen, war die Freude in der Öffentlichkeit unbändig. Ein Armeehubschrauber flog die sechs Frauen ins Scheba-Krankenhaus nahe Tel Aviv, wo die Familien sehnsüchtig auf die Freigelassenen warteten. Vor dem Krankenhaus hatten sich Tausende Israelis versammelt, um den Frauen ihre Freude und Unterstützung zu versichern. Und auch wenn die Armee versuchte, die Frauen vor dem Trubel zu schützen, war es wohl für beide Seiten heilsam, dass das trotz der großen Bemühungen nur mäßig gelang.
Inmitten der Menschenmenge vor dem Krankenhaus sagte ein Freund von Damari euphorisch im Fernsehen: „Emily ist ganz die Alte. Ich hab sie gesehen. Und sie hat uns gesehen. Das ist das Wichtigste. Der Fahrer durfte nicht halten, aber sie hat gesehen, dass wir da waren. Nur darum geht es. Wir werden alles dafür tun, dass ihr eine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben möglich ist.“
Die Soldaten, das medizinische Team und das gesamte Volk wurden in den vergangenen Tagen angewiesen, wie die Rückkehrerinnen zu empfangen seien: Berührung nur nach vorheriger Absprache, sie sollten Ruhe bekommen und die Möglichkeit, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und fernab der Medien ihre Familien zu treffen und „anzukommen“. Immer wieder wurde in israelischen Medien wiederholt: „Auch wenn alle mitfiebern: Es sind Menschen, die vor ihrer Gefangenschaft niemand kannte und die jetzt das ganze Volk in den Arm nehmen möchte. Aber wir müssen uns daran erinnern: Sie gehören nicht uns und wir wollen, dass sie wieder lernen, ihr Leben selbst zu bestimmen.“
Bilder für die israelische Seele
Vermutlich sind es die einzigen Bilder, mit denen sich die Israelis vorerst begnügen müssen und die am Sonntagabend immer und immer wieder in der Berichterstattung abgespielt wurden. Doch sie sind bedeutend für die israelische Seele: Da ist die Szene, als die Soldaten die Frauen empfangen, eine Soldatin offensichtlich Romy Gonen fragt, ob sie diese in den Arm nehmen darf und sie dann so fest umarmt, dass kein Auge der Betrachter trocken blieb.
Das Bild, wie Emily Damari mit dem Handy ihrer Mutter einen Videoanruf mit ihren Geschwistern durchführt, die im Krankenhaus auf sie warten. Lachend hält Emily ihre verbundene Hand hoch, an der ihr seit dem Hamas-Überfall zwei Finger fehlen. Als die Terroristen damals ihren Hund erschossen, trafen sie auch die Hand der jungen Frau.
Die Bilder, wie Doron Steinbrecher weinend ihren Eltern und Geschwistern in den Armen liegt. Wie Damari war auch sie aus ihrem Haus in Kfar Asa gekidnappt worden.
Zudem die einprägsame Episode, wie eine Fernseh-Moderatorin erzählt, dass Gonen bei der Begegnung mit den Müttern auf Damaris Mutter zukam und ihr sagte: „Wir waren die ganze Zeit zusammen. Deine Tochter hat mich so gestärkt. Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit ohne sie überstanden hätte.“
Dieser Geist ist es, so sind sich die Israelis sicher, den das Volk aktuell braucht. „471 Tage waren sie in den Händen der Hamas. 471 lange Tage“, sagt Clara Merman einer Moderatorin auf dem Geiselplatz in Tel Aviv. Merman war selbst wochenlang in den Händen der Hamas und wurde im November 2023 im Rahmen eines ersten Abkommens freigelassen: „Diese Zeit, 53 Tage, schien mir wie eine Ewigkeit. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie es für die jungen Frauen sein muss, so lange dort gewesen zu sein.“
Jair (45) und Eitan (38) Horn befinden sich immer noch in den Tunneln von Gaza und gehören nicht zu denen, die in den ersten Wochen freikommen werden. Ihr Vater Itzik Horn sagte dem israelischen Fernsehen: „Wir sind überglücklich, dass die Mädchen zurückgekommen sind. Zu sehen, dass sie auf ihren Beinen stehen, gibt mir Hoffnung, dass wir auch meine Söhne bald in die Arme schließen können.“
Bei aller Euphorie, weiß Merman eines bestimmt: „Die Rückkehrer brauchen Ruhe. Wir müssen ihnen nicht alles auf einmal zumuten. Wir wissen nicht, ob sie wissen, was ihren Freunden und Verwandten damals passiert ist. Wir wollen sie umarmen. Alle.“ Lächelnd fügt sie hinzu: „Aber bitte nicht alle auf einmal.“ Und auch sie wiederholt den Appell ans Volk: „Bitte lasst sie erst einmal ankommen.“
7 Antworten
„Ein hoher Preis für die Geiseln“. Das ist unsere Meinung. „So absurd es klingt – beide Seiten haben Recht“. Das stimmt auch und das bedeutet, dass auch wir, die gegen jede Verhandlung mit Terroristen sind, Recht haben.
Die Rückkehr in ein normales Leben wird unsagbar schwer werden. Ich wünsche dass Romy, Doron und Emily sich im Kreis der Familie und Freunde wieder stabilisieren können. Die körperlichen Beschwerden sind das eine, die psychischen werden die schwerwiegenden sein. Nicht umsonst greift das Krankenhaus auf Behandlung von Holocaust-Überlebenden zurück.
Ja, so sehr man für die Frauen froh ist und für weitere Personen, ihre Angehörigen, wirklich froh.
ABer der Deal ist sehr, sehr ungut. Das hätte so nicht durchgehen sollen. Eine andere Lösung hätte gefunden werden müssen.
Für was hat Israel jetzt 16 Monate gekämpft! Über 800 Soldaten/Soldatinnen verloren … sehr viele Menschen in Israel sind gestorben, verletzt worden usw. Um jetzt für 3 Menschen – bitte nicht falsch verstehen, ich bin wieviele sicher sehr froh, dass sie frei sind – die so schweres die lange Zeit ausgehalten haben. Jetzt 95 Terroristen freizugeben; für 3 Menschen. Insgesamt sollen , die Zahlen sind unterschiedlich, 1000 – 1500 Terroristen freigegeben werden – für man weiß ja nicht wieviele noch leben und wieviele es wirklich sind. Und, was genauso schlimm ist, die Sache geht dann, wann immer wieder los, von den freigegebenen Terroristen werden sicher eine ganze Anzahl wieder zu aktiven Terroristen werden usw. Das hätte Israel nicht tun sollen, auch wenn auf der Regierung vom Volk und von den unverständigen Nationen soviel Druck ausgeübt wird. Von den Milliarden, die für das Geschehen, die Aufrüstung usw. ausgeben worden ist und ausgegeben werden muss noch, ganz zu schweigen. Denn das was Menschen geschehen wiegt noch mehr, denke ich. Ich habe jetzt hier absichtlich die arab./paläst. Menschen nicht erwähnt, das hat seinen Grund. Außerdem ist es genug an Text. Bleiben wir im Gebet für Israel, wie immer es aussieht. Dem Gott Israels ist nicht unmöglich – ob ER ein Ja zu diesem Deal hatte, hat – ich habe meinen Zweifel …
Gaza wird mit seinem großartigen Volk und seiner Widerstandskraft wieder auferstehen, um wieder aufzubauen, was die Besatzung zerstört hat, und den Weg der Standhaftigkeit fortsetzen, bis die Besatzung besiegt ist“, heißt es in einer Erklärung der Hamas, die am 2. Tag eines Geiselnahme-Waffenstillstandsabkommens mit Israel veröffentlicht wurde. (Times of Israel).
Das heißt für mich nichts anderes als: Weitermachen mit ihrer Ideologie, Israel vernichten zu wollen. An eine friedliche Koexistenz ist nicht zu denken, bevor die Hamas nicht zerstört ist. Und das ist sie definitiv auch nach 15 Monaten Krieg nicht.
Dieser Deal ist ungut mit hohem Preis und trotzdem für den Augenblick richtig.
Drei junge Frauen leben und sind zu Hause. Sie haben eine reale Chance als Israelis im Land Israel zu leben und sich gut zu entwickeln. Gott segne sie auf diesem Weg!
Der Rest ist jetzt erst einmal Spekulation.
Nicht der Deal ist gut, sondern Gott, der diesen Frauen durch einen völlig ungerechten Deal einen Weg zurück ins Leben geschenkt hat. ER, der Gott Israels, wird auch weiter das tun, was schon Joseph erlebte und seinen Brüdern bezeugte: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ (1. Mose 50,20)
Vielen Dank für Ihren sehr guten Artikel, Frau Hofer, dem ich leider zustimmen muss.
Als Betroffener bin ich dankbar für den Deal. Endlich, endlich, ENDLICH ein Deal. Als Familienmitglied, Freund oder Bekannter einer betroffen Person sehe ich es wohl ebenso. Als Politiker wiederum kann ich erleichtert sein, einen Deal hinbekommen, unschuldige Menschenleben gerettet und Familien wieder zusammengeführt zu haben. Aber gaaanz am Ende der Diskussion wird eine Bilanz nicht ausbleiben dürfen. Dass nämlich über 800 andere Familien (die der gefallenen Soldaten u.a.) nun um ihre Kinder trauern. Einerseits.
Dass dafür hunderte von Feinden Israels freigegeben wurden, die von den ihren als Helden gefeiert werden und sich wieder gegen Israel wenden werden, was wieder viele Tote zur Folge haben wird. Andererseits. Das Lebensrestrisiko in Israel ist leider wesentlich größer als in anderen westlichen Staaten. Und ich bin dankbar, dass ich keinen Deal entscheiden muss. Er kann nur schlecht sein und ich mich lediglich für das beste Schlechte entscheiden.
Alle Geiseln müssen schnellstmöglich zurückgeholt werden, damit Israels Seele wieder heilen kann. Auch wenn der Preis dafür hoch ist!
Israel ist stark! Die Israelis verfügen insgesamt über eine unglaubliche Resilienz und eine sehr demokratische Grundhaltung. Aber die Geiseln müssen nachhause gebracht werden!! Das ist die Grundvoraussetzung, für alles was in den nächsten Jahren an Herausforderungen auf Israel zukommt. Für den gesamten Friedensprozess.
Und die Hamas muss endgültig zerschlagen werden! Mit der Hamas wird es keine friedliche Koexistenz beider Völker geben!
Den 3 jungen Frauen wünsche ich alles, alles Gute und viel Kraft und viel Liebe ihrer Angehörigen, damit sie dieses Trauma zu verarbeiten!