Ein Bekenntnis zur eigenen jüdischen Identität

An Purim feiern Juden die Klugheit und den Mut von Königin Esther, die das jüdische Volk vor seiner Vernichtung gerettet hat. Das Fest ist auch eine Bestärkung, für die jüdische Identität einzustehen.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Purim, das „Losfest“, ist ein Fest der Freude und Heiterkeit. Es werden keine Opfer gefordert, noch muss die Arbeit eingestellt werden. Essen und Trinken sind hingegen ein Gebot, wie auch die Wohltätigkeit für die Armen, denn mit der festlichen Purim-Mahlzeit sollen auch ihre Häuser mit Freude erfüllt werden.

Traditionell wird das Gebäck „Hamantaschen“ gegessen. Warum Hamantaschen? Warum Taschen? Eine Erklärung lautet: Haman, der Gegner der Juden, trug das Los, das er warf um den Tag für die Vernichtung der Juden zu bestimmen, in seinen Manteltaschen.

Eine andere Bezeichnung lautet Osnei Haman, auf Deutsch „Hamanohren“. Sie wird als Hinweis auf das Abschneiden der Ohren eines Verbrechers vor seiner Hinrichtung interpretiert. Denn viele glauben, dass Hamans Ohren abgeschnitten wurden, als er am Ende der Purim-Geschichte gehängt wurde.

Historischer Anlass im persisch-medischen Reich

Den historischen Anlass zum Purim-Fest finden wir in der Bibel, in der Megillat Esther, der Esther-Schriftrolle. Versetzen wir uns in die damalige Zeit, in das persisch-medische Reich von Kyros dem Großen. Kyros (auch Kyrus) gilt als Erlöser, das von G‘tt erwählte Werkzeug, sein Gesalbter: So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, zu Kyrus, den ich bei seiner Rechten ergriffen habe, um Nationen vor ihm zu unterwerfen – und die Hüften der Könige entgürte ich – um Torflügel vor ihm zu öffnen, und Tore bleiben nicht verschlossen. (Jesaja 45,1; Elberfelder Bibel)

Die ersten schriftlichen Berichte über die Völker, die im iranischen Hochland siedelten, datieren aus dem 9. Jahrhundert. Andere Quellen hingegen weisen darauf hin, dass die Besiedlung des Gebietes zwischen dem Tigris und dem Tal des Indus schon im 5. und 4. Jahrtausend vor der Zeitrechnung. begonnen hatte. Im 2. Jahrtausend lebten im iranischen Hochland indo-europäisch-stämmige Nomaden, die einst aus den Steppen südlich und östlich der Kaspischen See in das Land gekommen waren.

Vor den Persern siedelten bereits die Meder, ein Volk, das mit ihnen ethnisch und kulturell verwandt war, im Iran. Das Besiedlungsgebiet der Meder umschloss den Nordwesten des iranischen Hochlands westlich der Kaspischen See und südlich des Zagrosgebirges.

Edikt des Kyros

Im ausgehenden 6. Jahrhundert vor der Zeitrechnung begann für die Juden das Babylonische Exil. Dem war die Weigerung des Königs von Juda vorausgegangen, Steuern an Babylon zu zahlen, woraufhin Jerusalem im Jahr 587 durch den babylonischen König Nebukadnezzar II eingenommen wurde. Das jüdische Volk – hauptsächlich die Oberschichte und Gelehrte – wurde in die Gefangenschaft nach Babylon verschleppt, wo es bis zur Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros II. im Jahr 539 gefangen gehalten wurden.

Es war dieser Kyrus, der den Juden die Befreiung aus der babylonischen Verbannung verkündete:

Und im ersten Jahr des Kyrus, des Königs von Persien, erweckte der HERR, damit das Wort des HERRN aus dem Mund Jeremias erfüllt wurde, den Geist des Kyrus, des Königs von Persien, dass er durch sein ganzes Reich einen Ruf ergehen ließ, und zwar auch schriftlich: So spricht Kyrus, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat der HERR, der Gott des Himmels, mir gegeben. Nun hat er selbst mir ⟨den Auftrag⟩ gegeben, ihm in Jerusalem, das in Juda ist, ein Haus zu bauen. Wer immer unter euch aus seinem Volk ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem, das in Juda ist, und baue das Haus des HERRN, des Gottes Israels! Er ist der Gott, der in Jerusalem ist. Und jeden, der übrig geblieben ist, an irgendeinem Ort, wo er sich ⟨als Fremder⟩ aufhält, den sollen die Leute seines Ortes unterstützen mit Silber und mit Gold und mit Habe und mit Vieh neben den freiwilligen Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem. Da machten sich die Familienoberhäupter von Juda und Benjamin auf und die Priester und die Leviten, jeder, dessen Geist Gott erweckte, hinaufzuziehen, um das Haus des HERRN in Jerusalem zu bauen.  Und alle, die um sie herum ⟨wohnten⟩, griffen ihnen unter die Arme mit silbernen Geräten, mit Gold, mit Habe und mit Vieh und mit Kostbarkeiten, abgesehen von allen freiwilligen Gaben.  Und der König Kyrus holte die Geräte des Hauses des HERRN ⟨wieder⟩ heraus, die Nebukadnezar aus Jerusalem herausgeholt hatte und die er ⟨als Geschenke⟩ in das Haus seines Gottes gegeben hatte. Die brachte Kyrus, der König von Persien, in die Obhut des Schatzmeisters Midredat; und der zählte sie Scheschbazar, dem Fürsten Judas, vor.  Und das ist ihre Anzahl: 30 goldene Becken, 1 000 silberne Becken, 29 Messer, 10 30 goldene Becher, 410 silberne Becher von zweiter Wahl, 1 000 andere Geräte. Alle Geräte aus Gold und aus Silber waren 5 400. Das alles brachte Scheschbazar mit herauf, als die Weggeführten aus Babel nach Jerusalem heraufgeführt wurden.(Esra 1,1–11; Elberfelder Bibel).

Trotz gewonnener Freiheit gingen die Juden nur vereinzelt zurück und begannen mit dem Aufbau des väterlichen Erbes. Die wohlhabenden jüdischen Schichten entschieden sich hingegen zu bleiben. Anfangs mussten sie die Heimkehrer finanziell oder auch mit Waren unterstützen, denn vielen fehlten die Mittel, um sich eine neue Existenz aufzubauen.

Diese Unterstützung nahm allerdings zunehmend ab. Die politischen Gegner der jüdischen Heimkehrer, die Samariter, Ammoniter und andere gewannen an Einfluss bei der persisch-medischen Regierung. Kyros‘ Wort und Zusagen verloren an Relevanz. Die Lage der persischen Juden änderte sich dramatisch, denn sie gerieten zunehmend in einen Interessen- und Loyalitäts-Konflikt. Es stellte sich ihnen eine Grundsatzfrage: Welche Partei sollten die vornehmen Juden, die „im Tor des Königs“ saßen, ergreifen? Die persische oder die jüdische?

Jüdische Abstammung verschwiegen

Äußerlich traten die Juden als Perser auf, verschwiegen ihre jüdische Abstammung und erwiesen sich als dem König ergeben. Denn laut Midracsh, der Auslegung religiöser Texte im rabbinischen Judentum, nahmen die Juden in Susa (Schuschan) an den rituell unerlaubten Mahlzeiten am Hofe von König Ahasveros – gemeint ist vermutlich Xerxes I. – teil. Ihre Ergebenheit garantierte ihnen eine gewisse Freiheit, die sich allerdings als trügerisch herausstellen sollte, denn sie waren Sklaven.

Dies veranlasste Esther, folgendes zu sagen: Denn man hat uns verkauft, mich und mein Volk, um uns zu vernichten, umzubringen und auszurotten. Und wenn wir als Sklaven und Sklavinnen verkauft worden wären, hätte ich geschwiegen, denn das wäre keine Bedrängnis, die einer Belästigung des Königs wert gewesen wäre. (Esther 7,4; Elberfelder Bibel)

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Aus Furcht hatten die Juden lange ihre Abstammung verschwiegen, hatten sich maskiert um eine andere Identität vorzugeben, bis Mordechai die Bühne des Geschehens betritt:

Nun war da ein jüdischer Mann in der Burg Susa, sein Name war Mordechai, der Sohn Jaïrs, des Sohnes Schimis, des Sohnes des Kisch, ein Benjaminiter, der aus Jerusalem gefangen weggeführt worden war zusammen mit den Weggeführten, die mit Jechonja, dem König von Juda, gefangen weggeführt wurden, den Nebukadnezar, der König von Babel, gefangen weggeführt hatte.  Und er war Vormund von Hadassah, das ist Ester, der Tochter seines Onkels; denn sie hatte weder Vater noch Mutter. Und das Mädchen war von schöner Gestalt und von schönem Aussehen. Und als ihr Vater und ihre Mutter gestorben waren, hatte Mordechai sie als seine Tochter angenommen. (Esther 2,5–7; Elberfelder Bibel)

Mordechai als Jude bekannt

Als aus Persien und Medien schöne Jungfrauen an den Hof gebracht wurden, damit König Ahasveros seine Wahl für eine neue Ehefrau treffen konnte, hielt Mordechai seine Pflegetochter Hadassa an, ihre jüdische Identität zu verheimlichen. Damit handelte er, wie es unter den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen üblich war. Aber die Zeiten verschlechterten sich für die persischen Juden, denn die angestammten Perser wussten, wer Perser war, und wer nicht.

So wussten auch die Mitglieder von Mordechais Gruppe, die im „Tor des Königs“ saß, dass Mordechai Jude war. „Im Tor sitzen“ bedeutete eine Ehrenstellung: „Die im Tor sitzen, reden über mich“ (Psalm 69,13). Es sollte ein Ort des wahren Urteils und der Gerechtigkeit sein, aber dies war nicht immer so (Jesaja 29,21; Amos 5,10.12; Sacharja 8,16). Das Tor war zeitweise auch der Ort, wo der König Audienzen abhielt.

Dass der Jude Mordechai dem Befehl des Königs und Hamans, vor ihnen auf die Knie zu fallen, nicht unverzüglich nachkam, war unerhört und löste große Empörung aus: Ein Jude, der sich strikt weigerte, auf die Knie zu gehen! So etwas hatte es noch nicht gegeben und alle waren gespannt, welche Konsequenzen es für den Juden haben wird.

Die Menge versuchte, den bockigen Juden zu überzeugen, es ihnen gleich zu tun, doch Mordechai setzte alles aufs Spiel, denn er stand für seine Identität als Jude ein. Mit seiner konsequenten Weigerung, vor dem persischen König und Haman auf die Knie zu gehen, hatte Mordechai seine innere Befreiung als Jude vollzogen, allerdings mit weitreichenden Konsequenzen.

Konflikt gefährdete alle Juden

In der Folge gefährdete der offene Konflikt zwischen Haman und Mordechai das ganze jüdische Volk. Haman forderte nun nicht nur Mordechais Tod, sondern das Leben aller Juden im gesamten Reich seines Königs. Mit einem Los bestimmte Haman das Datum ihrer Ausrottung: den 14. Adar. Pur ist das persische Wort für Los, von dem sich der Name Purim ableitet.

Die Anweisungen für die Ausrottung der Juden wurden auf Betreiben von Haman als Gesetz verabschiedet und in alle Provinzen des riesigen Reiches versendet. Die Pogromstimmung ergriff auch die jüdische Bevölkerung von Susa. Hadassa, Mordechais Pflegetochter, lebte mittlerweile unter dem persischen Namen Esther in einem der Königspaläste.

Stern und Myrte

Der Name bedeutet „Stern“, auch „die Leuchtende, Strahlende“ oder auch „die Sternenträgerin. Der auch im deutschen Sprachraum beliebte Vorname Astrid ist eine Variante von Esther, Astera ist wahrscheinlich die ursprüngliche Form. Der Name ist verwandt mit dem babylonischen Ischtar und dem Namen der kanaanäischen Göttin Astarte.

Esthers hebräischer Name Hadassa bedeutet „Myrte“. Er bezeichnet eine beliebte und wohlduftende Heilpflanze, reich an ätherischen Ölen. Die Pflanze symbolisiert Lebenskraft. Und diese wird Hadassa im weiteren Verlauf unter Beweis stellen.

Mordechai fordert Hadassa auf, sich für ihr Volk beim König einzusetzen. Und, wenn es sein muss, ihr eigenes Leben dafür zu riskieren. Hadassa gehorcht ihrem Onkel, nimmt all ihren Mut zusammen und spricht beim König vor.

Die Ereignisse, wie sie im Buch Esther geschildert werden, haben sich in der jüdischen Geschichte viele Male auf ähnliche Weise wiederholt, die Protagonisten haben lediglich gewechselt. Haman gilt als Nachkomme des Amalek, des Erzfeindes Israels, der Prototyp des Judenhassers. Der numerische Wert der hebräischen Buchstaben, die Amalek buchstabieren, beträgt 240, es ist derselbe Wert wie das hebräische Wort für „Zweifel“ , ssafek.

In der Geschlechterliste Esaus, des Stammvaters der Edomiter, erscheint Amalek als Enkel Esaus und Sohn von Elifas und seiner Nebenfrau Timna. 1. Mose 36,16 listet ihn unter den Häuptlingen Edoms auf. Dem entspricht 1. Chronik 4,43, wo ein Rest Amaleks im Gebirge Seïr, also im Bereich Edoms, lokalisiert wird.

Die dunklen Absichten der Feinde Israels sind bis heute nicht vom Erdboden verschwunden, aber der Geist von Mordechai und Esther weht. Purim bestärkt uns in unserer jüdischen Identität und gibt uns die Zuversicht, dass die Errettung stets nah ist und die Feinde Israels überwunden werden können.

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5 Antworten

  1. Sehr geehrte, liebe Frau Tegtmeyer, was für ein interessanter Artikel. Sie haben sich viel Mühe gemacht und nichts ausgelassen zu beschreiben.
    Dankeschön. Toda raba. Und ja, wir tragen die Zuversicht in uns, dass die Errettung nah ist und die Feinde Israels überwunden werden können.
    Auch wenn die Zeichen der Zeit momentan wieder gegen uns stehen.
    Shabbat Shalom

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  2. Vielen Dank für die ausführliche Erklärung des Purimfestes.

    …Mit seiner konsequenten Weigerung, vor dem persischen König und Haman auf die Knie zu gehen, hatte Mordechai seine innere Befreiung als Jude vollzogen…

    Mit der konsequenten Weigerung, vor den Hamas einzuknicken, vollzieht Israel die äußere Befreiung als Jüdisches Volk und zeigt seine Existenzberechtigung.
    Haman und Hamas, beides klingt ähnlich und beide wollten die Juden vernichten.

    Ich wünsche den Israelis ein schönes Purimfest, ob in lauten oder leisen Tönen. Ich bete weiter für die Befreiung der Geiseln, damit das Volk wieder Frieden findet, singen und tanzen kann.

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  3. Purim sameah für Israel und alle Juden, ganz besonders für unsere Freunde hier im Forum. Mögen alle Verfolger und Mörder des jüdischen Volkes so enden wie Haman. Israel vivra,

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