Kaum ein Tag vergeht, an dem die „Roadmap“ nicht in den israelischen Medien erwähnt, kommentiert oder kritisiert wird. Wie ein Gespenst, kaum faßbar aber doch allgegenwärtig, spukt sie durch die Diskussionen am Rande des Golfkriegs. Wo Israelis und ihre Freunde ein Schreckgespenst befürchten, scheinen Palästinenser eine gute Fee und Diplomaten aus Ost und West ein Heinzelmännchen zu erhoffen, das endlich, endlich Ordnung in das blutige Durcheinander des Nahostkonflikts bringen wird. Aber was hat es mit dieser „Mapat HaDrachim“, wie „Roadmap“ ins Hebräische übersetzt heißt, überhaupt auf sich?
Die „Straßenkarte“ – so das deutsche Wort für „Roadmap“ – wird erstmals in einem Kommunikee erwähnt, das am 17. September 2002 vom sogenannten „Quartett“ veröffentlicht wurde. Vertreter der Vereinten Nationen, der USA, Rußlands und der Europäischen Union sprechen sich darin für eine umfassende Lösung des Nahostkonflikts aus. Unter der Aufsicht des Quartetts sollen innerhalb von drei Jahren schrittweise die Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern abgebaut werden.
Auf palästinensischer Seite ist
-> eine Reform der Sicherheitskräfte,
-> eine „freie, faire und glaubwürdige Wahl“
-> eine Verwaltungsreform und
-> eine Verbesserung der wirtschaftlichen und humanitären Lage vorgesehen.
Israel soll sich gleichzeitig
-> auf seine Positionen vor dem 28. September 2000 zurückziehen und
-> seine Siedlungstätigkeit einstellen.
Bis Ende 2003 soll ein Palästinenserstaat mit vorläufigen Grenzen und einer neuen Verfassung entstehen, bis 2005 ein Endstatusabkommen die Beziehungen zwischen den zwei unabhängigen Staaten regelt. Die Einbeziehung der arabischen Nachbarn Israels in diesen Prozeß wird ausdrücklich erwähnt.
In einer gemeinsamen Verlautbarung zum Nahen Osten unterstrichen führende Vertreter der EU und Rußlands am 11. November 2002 die Bedeutung der vorgeschlagenen Roadmap. Besonders betont wird die Friedensinitiative Saudi-Arabiens. Anfang 2002 hatten die Saudis auf einem Gipfel der Arabischen Liga in Beirut Israel für einen vollkommenen Rückzug auf die Waffenstillstandslinien von vor 1967 diplomatische Beziehungen, Handelsbeziehungen und Sicherheitsgarantien der arabischen Staaten angeboten. Außerdem nannten die europäischen Vertreter die Wiederaufnahme der palästinensisch-israelischen Sicherheitskooperation und den Kampf gegen „Terror in allen seinen Formen“ als wichtiges Anliegen.
Diese beiden Dokumente sind bekannt. Hinzu kommen eine ganze Reihe von Äußerungen der beteiligten Politiker und Diplomaten, aus denen man auf den Inhalt der Roadmap schließen kann. Der genaue Wortlaut der „Straßenkarte“ allerdings ist bislang nicht veröffentlicht, wodurch Spekulationen und Befürchtungen Tür und Tor geöffnet wird.
Nicht erst seit dem amerikanisch-britischen Gipfeltreffen Ende März in Camp David drängen die Briten auf eine sofortige Veröffentlichung des Dokuments als Grundlage für den weiteren politischen Prozeß im Nahen Osten. US-Präsident Bush und der britische Regierungschef Tony Blair sprachen bei der Zusammenfassung ihrer Gespräche davon, die Roadmap veröffentlichen zu wollen, sobald der als „Abu Mazen“ bekannte, von Yasser Arafat neu ernannte Premierminister Mahmoud Abbas sein neues Kabinett vorgestellt hat. Der britische Premier wird nicht müde, zu betonen, daß Bush der erste US-Präsident ist, der sich auf eine Zweistaatenlösung im israelisch-palästinensischen Konflikt festgelegt hat, und daß ein „unabhängiger Palästinenserstaat ein zentrales Anliegen britischer Außenpolitik“ ist.
Israel ist nicht nur die geforderte Supervision durch das Quartett unheimlich. Zu viele schlechte Erfahrungen mit ausländischen Beobachtern und „Unparteiischen“ sind in der Geschichte des Nahostkonflikts aus israelischer Sicht zu verzeichnen. Nicht nur unter der Hand, auch auf Aufklebern werden die Vereinten Nationen (UN) als „Unwanted Nobodies“ („Unerwünschte Niemande“) bezeichnet.
Hinzu kommt die unglückliche Verquickung des Krieges im Irak mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt. Aus Sicht der arabischen Straße ist beides ein Ausdruck der Aggression der „Koalition von Kreuzfahrern und Zionisten“. Die Anti-Kriegsdemonstrationen in Europa werden aus diesem Blickwinkel in Israel sehr kritisch beobachtet. Und schließlich waren es die Bemerkungen des britischen Außenministers Jack Straw, der die Demokratie Israel mit der Diktatur im Zweistromland in einem Atemzug nannte und für den „doppelten Standard“ im Blick auf die Durchsetzung von UNO-Resolutionen um Entschuldigung bat, die vom israelischen Außenministerium energisch zurückgewiesen werden.
Während einige palästinensische Vertreter eine sofortige Veröffentlichung des Quartett-Planes befürworten, streben Israels Diplomaten eine ganze Reihe von Änderungen an – ganz abgesehen davon, daß man in Jerusalem die strikte terminliche Festlegung nach den Erfahrungen mit den Abkommen von Oslo für eine Illusion hält.
Zu den von den Israelis gewünschten Modifikationen der Roadmap gehören
-> ein grundsätzlicher Wechsel in der palästinensischen Führung,
-> bilaterale Verhandlungen und ein Abkommen, sowie
-> die totale Auflösung der palästinensischen Terrorinfrastruktur vor Entstehung eines unabhängigen Palästinenserstaates,
-> das Recht der israelischen Armee, in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gegen Terror zu operieren und
-> eine klare Absage an die „Saudi-Initiative“ und den damit verbundenen Rückzug auf die Waffenstillstandslinien von 1967 als Eckpunkt der Verhandlungen.
Weiter erwartet Israel
-> absolute Ruhe als Vorbedingung für die Einstellung der Siedlungsaktivitäten,
-> daß in der Interimsphase keine Siedlungen geräumt werden müssen und
-> eine eindeutige Anerkennung Israels als „jüdischer Staat“ durch die PA.
Das Hauptproblem aus israelischer Sicht ist allerdings, daß sich das Quartett darin einig ist, daß die Roadmap nach ihrer Veröffentlichung „keine Verhandlungssache“ mehr ist, wie das selbst Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice ausdrückte. Deshalb will Jerusalem die Offenlegung der „Straßenkarte“ bis nach Abschluß des Irak-Krieges hinausziehen.